Hamburg. Während Gorleben als Endlager für Atommüll ausscheidet, kommen Gebiete im Norden infrage. Interaktive Karte zeigt mögliche Standorte.
Aus rein geologischer Sicht ist ein Teil Hamburgs nach Erkenntnissen der Bundesgesellschaft für Endlagerung für ein Atommüll-Endlager geeignet. Wie aus dem am Montag veröffentlichten Zwischenbericht Teilgebiete hervorgeht, befindet sich im östlichen Teil der Hansestadt das für ein Endlager passende Tongestein, auch in Schleswig-Holstein und Niedersachsen gibt es geologisch geeignete Untergründe.
Insgesamt haben den Angaben zufolge in Deutschland 90 Gebiete günstige geologische Voraussetzungen für ein Endlager für hoch radioaktiven Atommüll. Die interaktive Karte der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zeigt, wo ein Endlager geologisch möglich wäre.
Atom-Endlager: Zwischenbericht beurteilt nur Geologie
Berücksichtigt man die Überlagerung einiger Gebiete, wären 54 Prozent Deutschlands nach mindestens einem geologischen Kriterium – Tongestein, Steinsalz oder kristallines Wirtsgestein, also vor allem Granit - für ein Endlager geeignet. Eine Vorfestlegung auf einen Standort ist damit aber nicht verbunden.
In den kommenden Jahren werden die möglichen Standorte nach und nach weiter eingegrenzt, indem weitere Kriterien – etwa die Bevölkerungsdichte – berücksichtigt werden. Johannes Müller, energiepolitischer Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion, erklärte, jetzt gelte es "gemeinsame Verantwortung" für die Folgen des "gesamtgesellschaftlichen Fehlers" Atomkraft zu übernehmen.
Die Standortsuche könne "nur wissenschaftlichen, insbesondere geologischen, Kriterien folgen und eben nicht politischen Kräfteverhältnissen. Darüber hinaus ist der Dialog mit Menschen in den betroffenen Regionen essenziell und glücklicherweise auch als Teil des Findungsprozesses vorgesehen. Wir stehen deshalb uneingeschränkt zum beschlossenen Standortauswahlgesetz."
Große Teil Norddeutschlands als Endlager geeignet
Das Teilgebiet mit Hamburg umfasst auch die Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt und ist insgesamt knapp 63.000 Quadratkilometer groß. Weitere Teilgebiete – auch mit anderen geologischen Kriterien – liegen etwa in Bayern und Baden-Württemberg.
Der Salzstock Gorleben in Niedersachsen ist nicht darunter. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace lobte die Entscheidung der BGE, Gorleben von der Liste der möglichen Endlager zu streichen, als "guten und entscheidenden Schritt", so Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace.
Der lange Streit um das Endlager Gorleben – eine Chronologie
- 1977: Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) gibt Gorleben als den möglichen künftigen Standort für ein zentrales sogenanntes Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) für abgebrannte Brennelemente bekannt. Dazu soll auch ein Endlager gehören. Binnen Wochen formiert sich Protest gegen die Pläne.
- 1979: Aufgrund des großen Widerstands verzichtet die Regierung in Hannover darauf, in Gorleben ein großes NEZ bauen zu wollen. An der Erkundung des Salzstocks Gorleben als mögliches Endlager aber hält sie fest. Erste Arbeiten beginnen im Frühjahr 1979.
- 1980: Tausende Atomkraftgegner gründen bei Gorleben die „Freie Republik Wendland“ und bauen ein Hüttendorf, das eine Ikone der Umweltschutzbewegung wird. Dieses wird nach etwa einem Monat von der Polizei in einem Großeinsatz geräumt und abgerissen.
- 1982: In Gorleben startet der Bau eines Zwischenlagers, in dem Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll untergestellt werden sollen. Es kommt zu weiteren teils gewaltsamen Protesten.
- 1983 und 1984: Im Oktober 1983 stimmt die Bundesregierung der unterirdischen Erkundung des Salzstocks Gorleben zu. Im Oktober 1984 findet ein erster Atommülltransport aus dem Atomkraftwerk Stade in eines der Zwischenlager von Gorleben statt. Es folgt der erste „Tag X“ von Atomkraftgegnern, die ihn stoppen wollen.
- 1986: Am Salzstock Gorleben beginnt im März der Bau von zwei Schächten für ein sogenanntes Erkundungsbergwerk. Klagen vor Gerichten stoppen die Arbeiten aber. Die Fertigstellung des Bergwerks wird erst 1996 nach zehnjähriger Bauzeit beendet.
- 1995: Im April 1995 startet ein erster Castor-Transport mit hochradioaktivem Atommüll aus dem Akw Philippsburg in Richtung Gorleben. Tausend Atomkraftgegner stellen sich ihm entgegen, es gibt Besetzungen und Anschläge auf Bahnanlagen. Der Schutz des Castors ist der bis dahin größte Polizeieinsatz in Deutschland.
- 1996: Ein zweiter Castor-Transport, diesmal mit Abfällen aus der Wiederaufbereitung deutscher Brennelemente in Frankreich, erreicht im Mai 1996 Gorleben. Wieder gibt es teilweise gewaltsamen Protest. Sitzblockaden und brennende Barrikaden halten den Transport auf. Anschließend mehren sich in Bund und Land die Stimmen, die einen „Energiekonsens“ suchen wollen.
- 2000: Die damalige rot-grüne Bundesregierung und die Betreiber der deutschen Atomkraftwerke vereinbaren den Atomausstieg. In diesem Zusammenhang soll die Erkundung des Salzstocks Gorleben für maximal zehn Jahren unterbrochen werden, um weitere Fragen zur Eignung zu klären. Im Oktober werden die Arbeiten gestoppt.
- 2001 und 2002: Weitere Castor-Behälter machen sich auf den Weg nach Gorleben in das Atommüll-Zwischenlager. Im Dezember 2002 legt ein vom Bundesumweltministerium eingesetzter Arbeitskreis Endlagerstandortsuche (AkEnd) Vorschläge für eine Suche nach einem Endlager vor, bei der mehrere Standorte verglichen werden.
- 2009: Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung vereinbart im Oktober 2009 grundsätzlich, die vor einigen Jahren gestoppten Erkundungsarbeiten in Gorleben wieder zu starten. Die Arbeiten werden letztlich ab Oktober 2010 allmählich wieder aufgenommen, zwischenzeitlich jedoch teilweise erneut wieder unterbrochen.
- 2011: Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Vertreter der Bundesländer vereinbaren im November 2011 im Rahmen des Atomausstiegs nach Fukushima eine „ergebnisoffene“ bundesweite Endlagersuche. Details sollen in einem Gesetz geklärt werden.
- 2013: Die Bundesregierung und die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen einigen sich auf einen Kompromiss für das Gesetz, das den Ablauf der geplanten nationalen Endlagersuche festlegen soll. Eine Kommission soll Empfehlungen vorbereiten.
- 2016: Die Bund-Länder-Kommission zur Endlagersuche stellt ihre Vorschläge für den Neustart des Auswahlverfahrens vor. Demnach sollen diverse Standorte geprüft werden, Gorleben bleibt aber im Rennen. Atomkraftgegner kritisieren dieses Ergebnis scharf.
- 2017: Nach jahrzehntelangen Konflikten beschließt der Bundestag 2017 das Endlagersuchgesetz. Die Standortentscheidung soll bis 2031 in einem ergebnisoffenen wissenschaftlichen Prozess fallen.
- 2020: Die Bundesgesellschaft für Endlagerung schließt Gorleben als Standort aus.
Der Greenpeace-Experte mahnte jedoch an, "die weitere Produktion von Atommüll in Deutschland umgehend zu beenden", denn für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gebe es nur die Wahl zwischen "schlechten und noch schlechteren Lösungen". So fielen bei Urenco in Gronau "bei der Urananreicherung jährlich noch immer mehrere tausend Tonnen an, die derzeit nach Russland exportiert werden".
Umweltminister Albrecht: wichtige erste Etappe auf dem Weg zum Endlager
Auch Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) nannte die vorgelegte Karte eine "wichtige erste Etappe auf dem langen Weg zur Endlagerung hochradioaktiver Stoffe". Dass auch Gebiete in Schleswig-Holstein aufführt werden, kommt für Albrecht grundsätzlich nicht überraschend. Schleswig-Holstein verfüge über Salzstöcke und Gebiete mit Tonvorkommen.
„Dass diese Regionen zunächst als Potenzialflächen aufgeführt werden, liegt auf der Hand, sagt aber noch nichts über ihre tatsächliche Eignung aus“, sagte der Minister. Entscheidend sei, dass die Bestimmung der Flächen aufgrund wissenschaftlicher Verfahren erfolgte, nicht politisch. „Entsprechend muss das Verfahren jetzt auch wissenschaftlich weitergeführt werden.“
Anti-Atom-Bündnis kritisiert neuen Zwischenbericht
Das Bündnis "Ausgestrahlt" bemängelt bereits jetzt mangelnde Transparenz im Auswahlverfahren für ein Endlager: Die BGE habe den Zwischenbericht "von Fachleuten hinter verschlossenen Türen" erarbeiten lassen, erklärte Ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay. Schon jetzt seien "Versuche politischer Einflussnahme" zu erkennen.
Auch die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg sieht das Verfahren kritisch. Die Entscheidung gegen Gorleben sei überfällig gewesen: "Wenn wir jetzt trotzdem nicht nur in Jubel ausbrechen, liegt es daran, dass auch das gegenwärtige Verfahren schon der Überarbeitung bedarf, kaum dass es gestartet ist", so Martin Donat, Sprecher der Initiative.
Minister kritisiert Bayerns Totalverweigerung
Das geplante Endlager soll unterirdisch entstehen. 2031 soll der Standort gefunden sein, von 2050 an sollen Behälter mit strahlendem Abfall eingelagert werden. Schon vor Veröffentlichung des Zwischenberichts hatte die bayerische Landesregierung Ärger auf sich gezogen, weil sie den Suchprozess angezweifelt und darauf gepocht hatte, dass der Untergrund in Bayern nicht geeignet sei. Tatsächlich weist der Bericht auch große Teile Bayerns als geologisch grundlegend geeignet aus.
Mit Blick auf Bayern sagte Albrecht: "Wir alle haben den Strom aus Atomkraftwerken verbraucht, das gilt besonders für Bayern. Nun gilt es, einen geeigneten Standort für den Abfall dieser Energieerzeugung zu finden, und wir haben uns gesetzlich mit allen Ländern auf ein Verfahren geeinigt. Das muss nun gelten.“ Ebenso wie Albrecht wiederholte auch Müller die Kritik am Freistaat und betonte, auch Bayern sei "an Recht und Gesetz gebunden und wird sich dem Prozess stellen müssen".
Söder kritisiert Wegfall Gorlebens – und kündigt eigene Experten an
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kündigte an, es werde im Verfahren „keine Totalblockade“ geben, der Freistaat werde das Verfahren aber „sehr konstruktiv und kritisch begleiten“, sagte der CSU-Chef am Montag in München. Dazu werde die Staatsregierung auch auf eigene wissenschaftliche Expertisen zurückgreifen.
Dass fast zwei Drittel von Bayern zu geologisch geeigneten Gebieten erklärt wurden, kritisierte Söder ebenso, wie den Wegfall des Salzstocks Gorleben aus der Auswahl für eine Endlagerstätte. Er betonte, die Vorgabe, ein Endlager für eine Million Jahre sicherstellen zu können, erlaube keine Alternative zu geologischen Barrieren. Dies sei für den zerklüfteten Granit in Bayern etwa nicht ohne technische Maßnahmen machbar.