Hamburg. Pilotprojekt für alle neuen Verfahren zunächst in fünf Kammern. Komplette Umstellung bis zum 1. Januar 2026.
Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) spricht von einem „richtigen Paradigmenwechsel“ und vergleicht die Einführung der elektronischen Akte bei den Gerichten mit dem Übergang von der Schreibmaschine zum PC. Doch der Start in Hamburg ist sehr überschaubar: In fünf der rund 100 Kammern des Landgerichts werden alle neu eingehenden erstinstanzlichen Verfahren jetzt rein elektronisch geführt.
„Die ersten sieben elektronischen Akten sind bereits eingegangen“, sagte Landgerichtspräsident Marc Tully bei der Präsentation des neuen Systems. Hamburg nutzt das Anwendungsprogramm „elektronisches Integrationsportal“ (eIP), das in Zusammenarbeit mit den Ländern Bayern, Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz entwickelt wurde.
Rechtsverkehr soll ausschließlich auf elektronischem Weg abgewickelt werden
Der Rechtsverkehr zwischen Gericht und Rechtsanwälten soll in Zukunft ausschließlich auf elektronischem Weg abgewickelt werden. Zudem bietet das System Richtern Vorteile bei der Aktenführung. So können Kommentare zu den Schriftsätzen auf einer zusätzlichen Folie vermerkt werden, ohne das Originaldokument zu verändern. „Das sind die gelben Zettel, die wir jetzt noch auf die Seiten der Papierakte kleben“, so Tully.
Eine Volltextsuche ermöglicht schnelles Auffinden bestimmter Passagen. Zudem können mehrere Menschen – Richter, Mitarbeiter der Geschäftsstellen, Rechtspfleger – gleichzeitig mit einer Akte arbeiten, wo immer sie sich aufhalten. „Das ist gerade in Corona-Zeiten für Mitarbeiter, die im Homeoffice sind, ein großer Vorteil. Wenn kofferweise Akten nach Hause geschleppt werden müssen, ist flexibles Arbeiten kaum möglich“, sagte Gallina.
Digitalisierung verändert auch den Charakter der Verhandlungen
Die Digitalisierung verändert auch den Charakter der Verhandlungen. Über Großbildschirme können einzelne Dokumente von allen Prozessbeteiligten eingesehen werden. Möglich wird auch, kurzfristig eingereichte Schriftsätze von Anwälten mithilfe von Dokumentenkameras einzulesen. Bis zum Jahresende sollen 130 Gerichtssäle – 65 Prozent – mit Bildschirmen und entsprechender Technik ausgestattet werden. „Der Start der elektronischen Akte kommt recht spät. In den meisten Anwaltssozietäten ist sie längst Standard“, sagte Christian Lemke, Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer. Lemke forderte Gallina und die Gerichte auf, bei der „überfälligen Digitalisierung“ nicht nachzulassen.
Tully betonte, dass bei der Einführung der elektronischen Akte besonders darauf geachtet worden sei, dass die richterliche Unabhängigkeit gewahrt bleibe. Arbeit und Bearbeitungsdauern dürfen und könnten auch nicht kontrolliert werden. „Ich kann genauso wenig in eine elektronische Akte reingehen, wie ich mir eine Papierakte einfach ansehen kann. Big Brother gibt es bei uns nicht“, sagte der Gerichtspräsident.
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Ganz ohne Papier wird es auch in Zukunft nicht gehen: Klageschriften und Zeugenladungen müssen postalisch zugestellt werden. Im ersten Halbjahr 2021 soll die elektronische Akte auch in einigen Senaten des Hanseatischen Oberlandesgerichts und mehreren Abteilungen des Amtsgerichts sowie der Fachgerichte eingeführt werden. Bis zum 1. Januar 2026 muss die E-Akte in allen Gerichten Standard sein. Das schreibt das entsprechende Bundesgesetz vor.