Hamburg. In Kürze beginnt der Rückbau des Hochhauses in Bahrenfeld. Ein Architekt dokumentiert noch einmal das Besondere des Gebäudes.
Die Neue Mitte Altona, der Umzug des Fernbahnhofs nach Diebsteich, das Holsten-Quartier – im Westen der Stadt ist so viel Umbruch wie selten. Angesichts der Großbaustellen gehen weitere Vorhaben fast unter. Dabei wird sich das Gesicht der Friedensallee in den kommenden Jahren radikal wandeln.
Auf der Grenze zwischen Ottensen und Bahrenfeld entstehen bald die Kolbenhöfe. Derzeit stehen nur noch die Fassaden der alten Backsteinfabrik, in der der Automobilzulieferer Kolbenschmidt bis 2009 produzierte. Bis 2022/2023 sollen rund 420 Wohnungen entstehen, aber auch Flächen für lokales Kleingewerbe, Gastronomie und Büros – ein Stück Ottensen 2.0.
Im Westen des leer geräumten Areals dämmert der Weiße Riese seinem Ende entgegen, wie das das Euler-Hermes-Hochhaus im Stadtteil heißt. Der Architekt Philipp Schürmann wohnt unweit des Gebäudes und dokumentiert nun dieses Stück Hochhauskultur für die Nachwelt. „Das ist ein Herzensprojekt. Ich bin seit Langem von der Architektur des Baus fasziniert“, sagt Schürmann. „Jeder kennt es, aber niemand beachtet es so richtig.“ In Kürze wird es ganz aus Hamburgs Skyline verschwinden – auf dem rund 20.000 Quadratmeter großen Areal entsteht ein neues Wohnquartier. Kurz vor seinem Abriss möchte Schürmann dem Gebäude Aufmerksamkeit schenken.
Schürmann plant eine Dokumentation in Buchform
Über ein sogenanntes Jobshadowing, das die Hamburg Kreativ Gesellschaft organisierte, hospitierte er 2017 für einen Tag beim Kreditversicherer Euler Hermes, der das Haus seit seiner Fertigstellung 1981 nutzte. „Ich war wirklich froh, dass ich damals in das Gebäude kam“, erzählt er. Und Schürmann hatte Glück. Der Facility Manager ermöglichte ihm einen Ausflug aufs Dach in 85,6 Metern Höhe und gewährte tiefere Einblicke in den Stahlbetonbau.
Anfang Mai 2020 nun nahm Schürmann Kontakt zum Projektentwickler Quantum auf, der Abriss und Neubau plant, und stieß auf offene Ohren. „Ich möchte dieses Gebäude auf meinen Fotos für die Nachwelt erhalten“. Schürmann plant eine Dokumentation in Buchform und befindet sich schon mit dem Deutschen Architektur Verlag im Gespräch. Auch das Architekturarchiv und der Denkmalverein Hamburg unterstützen ihn bei seinen Recherchen und haben ihm die Pläne zur Verfügung gestellt.
Komplette Plansätze mit Zeichnungen vom gesamten Gebäude
Zunächst sichtete er die Zeichnungen im Archiv vor Ort und kontaktierte dann das Architekturarchiv. Dessen Mitarbeiter sicherten später die Pläne. „Ansonsten wären sie vernichtet worden“, erzählt Schürmann. Es waren komplette Plansätze mit Zeichnungen vom gesamten Gebäude bis in die Details vorhanden. „Damit hätte man das Gebäude noch einmal bauen können“, sagt Schürmann.
Inzwischen hat sich der Bürobau arg gewandelt. Vom geschäftigen Treiben ist in dem Haus, das einstmals für 1400 Mitarbeiter konzipiert war, nichts mehr zu spüren. Längst sind die Büros ausgeräumt, der Bau des Architekten Titus Felixmüller in Teilen schon entkernt. Schürmann dokumentiert nicht nur die Nutzung des Baus, sondern vor allem seine Abwicklung. Auf seinen Fotos sind etwa Graffiti zu sehen, die von Partys stammen, bei denen die Beschäftigten Abschied von ihrem Hochhaus genommen haben.
Architektur des Weißen Riesen wirkt bis heute spektakulär
Die Architektur des Weißen Riesen wirkt bis heute spektakulär – es sprengt in Bahrenfeld durch seine gigantische Größe jede Form. „Sein Äußeres besticht durch seine Symmetrie und die klare Architektursprache“, findet Schürmann. Das Innenleben hingegen sei eher unauffällig. „Die 21 Etagen sind maximal gleichförmig.“ So spektakulär wie die Haustechnik ist auch der Energieverbrauch: Was in den Siebzigerjahren möglich war, wurde im Weißen Riesen Wirklichkeit – bis hin zu zentralen Seifenspendern.
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Weniger Aufmerksamkeit richteten die Erbauer auf den Energieverbrauch. Entsprechend schlecht fällt die Klima- und Kostenbilanz heute aus, nun das Todesurteil für das Gebäude. Euler Hermes hatte auch „aufgrund der miserablen Dämmung und der damit verbundenen immens hohen Heizkosten“ kein Interesse an einer Weiternutzung, sagt ein Sprecher von Quantum. „Eine extrem aufwendige energetische Sanierung steht wirtschaftlich in keinem Verhältnis. Dafür hätte das Hochhaus bis aufs Stahlgerüst entkernt beziehungsweise teilabgerissen werden müssen.“ Schon Anfang 2015 entschied sich der Bezirk für den Neubau eines Wohnquartiers.
Rückbau startet mit Demontage der Fassade
Der Rückbau dürfte sechs Monate dauern und hat nun mit der Demontage des Fassade begonnen. Es wird der größte Abbruch eines einzelnen Hochhauses in Hamburg seit der Sprengung des Millerntorhochhauses Mitte der 1990er-Jahre. Bagger werden dann das Gebäude vom Dach nach unten „wegknabbern“. Schürmann hofft, dass der Weiße Riese noch einen „würdevollen Abschied“ bekommt – etwa im Rahmen einer Kulturinszenierung.
Schon in früheren Jahren war das Hochhaus Leinwand für Kurzfilmfestivals. Architekt Schürmann wünscht sich aber auch eine Diskussion, wie Hamburg in Zukunft mit seinen Gebäuden und Denkmälern umgehen soll. „Ich möchte das Hochhaus ein letztes Mal ins Bewusstsein rufen.“