Hamburg. Der Angeklagte behauptet, dass das 83-jährige Opfer ihn mit einer Schere angegriffen habe. Staatsanwaltschaft glaubt ihm nicht .
Es gab einen Streit. Eine Eskalation und einen Kampf. Und schließlich sei da vor allem die Angst um das eigene Leben gewesen. Wenn der des Mordes angeklagte Riza Y. von seiner letzten Begegnung mit dem Rentner Harry P. erzählt, schildert er den 83-Jährigen als beleidigenden, aggressiven, bewaffneten Mann. Als einen Wüterich, der ihn mit üblen Beschimpfungen überzogen, ihn mit einer Schere bedroht und immer wieder geschrien habe: „Ich bringe dich um!“ Er habe sich wehren müssen, ist die Quintessenz der Aussage des 54-Jährigen. Und: Er sei kein Mörder.
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Sie wirft dem Schneidermeister im Prozess vor dem Schwurgericht vor, seinen Bekannten Harry P. am 20. März diesen Jahres in dessen Wohnung an der Mokrystraße in Wilhelmsburg erstickt und ihm dann 99.950 Euro geraubt zu haben. Der Angeklagte habe das Opfer unter dem Vorwand, eine gebrauchte Nähmaschine von ihm kaufen zu wollen, besucht und dort das Verbrechen verübt, lauten die Vorwürfe. Das Opfer wurde zwei Tage später hingestreckt neben seiner Nähmaschine gefunden. Gut 50.000 Euro, die Harry P. in seiner Waschmaschine versteckt hatte, blieben unangetastet.
Mord an Rentner: Angeklagter spricht von Notwehr
Riza Y. ist ein eher zierlicher Mann, der mit ruhiger Stimme spricht. Er habe den Rentner Harry P. seit vielen Jahren gekannt, erzählt der 54-Jährige. Er berichtet, dass der Ältere seit Jahrzehnten keinen Kontakt zu seinen leiblichen Kindern gehabt und sich stattdessen eines Ziehsohnes angenommen habe. Diesen habe er zunächst als Erben eingesetzt, ihn dann aber des Diebstahls beschuldigt und sich mit überworfen. Allgemein sei gekannt gewesen, dass der Rentner einiges Geld zu Hause habe.
Die Initiative, dass Riza Y. den Rentner zu Hause besuchen solle, sei von dem 83-Jährigen ausgegangen, schildert der Angeklagte weiter. „Er sagte: Schneider, wann kommst du mal vorbei und schaust meine Nähmaschine an?“ Bei der letzten Begegnung habe Harry P. wiederholt von „dreckigen Türken“ gesprochen. „Dann hat er mich geschubst.“ Es sei ein Gerangel entstanden.
„Plötzlich hatte er eine Schere in der Hand. Er schrie: ,Ich bring dich um.’ Ich war völlig schockiert. Warum greift der mich an?“ Noch nie zuvor sei er in eine körperliche Auseinandersetzung geraten, betont der Angeklagte mit tränenerstickter Stimme. Nun aber habe er sich gegen den aggressiven Rentner wehren müssen, damit dieser ihn nicht mit der Schere habe treffen können.
Angeklagter unter Tränen: "Völlig verloren gefühlt"
„Er schrie: ,Du dreckiger Türke, ich bringe dich um. Ihr seid alle gleich.’“ Da sei sein Blick auf ein Stück länglichen Stoff gefallen, den er vorher benutzt habe, um die Nähmaschine auszuprobieren, erzählt der Angeklagte. „Den Stoff habe ich genommen, den wollte ich an seinen Mund halten. Ich dachte, vielleicht beruhigt er sich.“
Doch der Rentner habe nicht von ihm abgelassen und ihm immer wieder gedroht, er werde ihn töten, und dabei mit der Schere herumgefuchtelt. „Ich wusste weder ein noch aus. Ich war schockiert, dass ich in so eine Situation geraten war. Als wir am Boden lagen, habe ich ihm den Stoff auf den Mund gedrückt, damit er nicht weiter schreit.“ Er habe sich „völlig verloren gefühlt“, schildert Risa Y. unter Tränen.
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Angeklagter fürchtete, 83-Jähriger könnte ihm Schaden zufügen
Der Stoff habe wohl eine Weile über dem Gesicht des 83-Jährigen gelegen. „Mit einem mal war der Harry, der geschrien hatte, der mich beleidigt hatte, dieser Harry war mit einem Mal still. Auch die Hand mit der Schere bewegte sich nicht mehr.“ Er habe registriert, dass der Wohnungsbewohner regungslos war, und gedacht: „Ich möchte nur hier weg. Als ich aufstand, gab er noch Geräusche von sich. Ich dachte, er lebt.“
Weil der Rentner ihm eigentlich körperlich überlegen gewesen sei, habe er gefürchtet, so der Angeklagte, dass Harry P. wieder aufstehen und ihm Schaden zufügen könne. „Ich stand unter Schock. Ich bin dann los.“ Und als er später, im Dunkeln, nochmal zu der Wohnung des 83-Jährigen gefahren sei, habe er sich vergewissert. Er habe zu seinem Sohn gesagt, sie brauchten keine Angst zu haben. „Bei Harry brennt ja Licht.“ Umso mehr sei es ein erneuter „Schock“ gewesen, als er zwei Tage später von der Polizei erfuhr, dass man den Wilhelmsburger tot aufgefunden habe. Der Prozess wird fortgesetzt.