Hamburg. Ein Jahr nach der Mega-Demo geht FFF wieder auf die Straße. Ein Gespräch über Massenprotest in Corona-Zeiten und eine eigene Partei.

Vor einem Jahr, am 20. September 2019, brachte Fridays for Future (FFF) in Hamburg rund 100.000 Menschen auf die Straße. Wegen der Corona-Pandemie musste der Klimastreik dann weitgehend ins Internet verlegt werden, es gab nur vereinzelte kleinere Aktionen.

Jetzt geht es wieder los: Am 25. September planen die Klimaschützer in Hamburg im Rahmen des globalen Klimastreiks die nächste Groß-Demo. Wie viele Menschen erwartet werden und wie das mit dem nötigen Abstand zu organisieren ist, warum die Präsenz auf der Straße so wichtig ist und weshalb sie nicht für den Bundestag kandidieren, erzählen die beiden Hamburger FFF-Sprecher Annika Rittmann und Florian König im Interview.

2019 war Ihr Jahr – im September gingen in Hamburg rund 100.000 Menschen für Klimaschutz auf die Straße. 2020 ist angesichts der Corona-Pandemie eher schwierig für Fridays for Future, oder?

Annika Rittmann: Die Demonstration am 20. September war für uns ein Höhepunkt, was die Sichtbarkeit auf der Straße betrifft – politisch hat sie aber nicht viel verändert. Wir merken natürlich, dass es in diesem Jahr schwieriger ist, eine Demonstration zu organisieren – und dass Klimaschutz in der Öffentlichkeit weniger Relevanz zu haben scheint. Beide Krisen – die Klima- und die Corona-Krise – werden nicht zusammengedacht. Wir machen trotzdem weiter. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um uns wieder Gehör zu verschaffen.

Also waren Sie bei allem Erfolg der Groß-Demo vor einem Jahr doch enttäuscht?

Florian König: Es war definitiv ein Tag, der uns bis an unser Lebensende in Erinnerung bleiben wird. Unsere Bemühungen wurden mit einer riesigen Versammlung belohnt, aber wir haben schon an dem Nachmittag die Meldungen aus Berlin bekommen, wie es da um das Klimapaket steht. So bleibt der Tag für uns ambivalent.

Sie haben den Klimastreik in den vergangenen Monaten weitgehend ins Internet verlagert. Aber ohne die Sichtbarkeit auf der Straße hat er nicht so viel Kraft entfaltet, oder?

Rittmann: Natürlich ist es so, dass man online in dem großen Angebot des Netzes eher untergeht. Deshalb ist es für uns so wichtig, jetzt wieder auf die Straße zu gehen. Wenn wir vor dem Rathaus stehen, erzeugt das auch auf die Politik mehr Druck als eine Online-Aktion.

Am 20. September 2019 demonstrierten in Hamburg etwa 100.000 Menschen – hier ein Blick auf den Jungfernstieg.
Am 20. September 2019 demonstrierten in Hamburg etwa 100.000 Menschen – hier ein Blick auf den Jungfernstieg. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services

König: Online erreichen wir auch nur eine bestimmte Zielgruppe. Es ist ja nicht verwunderlich, dass die Corona-Krise jetzt akut bei vielen Menschen im Vordergrund stand. Wir haben von Anfang an versucht klarzumachen, dass es ganz viele Verflechtungen zwischen diesen beiden Krisen gibt. Viele soziale Fragen werden durch die Corona-Krise aufgeworfen, die sich uns durch die Klimakrise in ähnlicher Weise aber noch viel drastischer stellen. Klimaschutz hört ja nicht bei Emissionsbegrenzung auf, sondern es geht auch um Gerechtigkeit: Es gibt große Unterschiede zwischen de­nen, die Emissionen verursachen, und denen, die die Folgen ausbaden müssen – auf nationaler Ebene aber auch weltweit. Viele Länder im globalen Süden, die wenig zur Klimakrise beitragen, leiden am meisten unter ihr – und das wird sich noch verstärken.

Was Fridays for Future gegen die Klimawoche hat

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    „Wir sind wieder da“, heißt es zur Demons­tration am kommenden Freitag. Was ist geplant?

    Rittmann: Uns ist ganz wichtig zu betonen, dass dies keine klassische Großdemonstration ist. Es wird keine Menschenmengen geben, die gedrängt auf engem Raum stehen. Auf dieser Veranstaltung gilt höchster Infektionsschutz. Deshalb starten am Freitag um 14 Uhr drei dezentrale Protestzüge vom Berliner Tor, vom Altonaer Bahnhof und von der Lombardsbrücke zu einem gemeinsamen Kundgebungsort an der Ludwig-Erhard-Straße.

    König: Wir haben 10.000 Teilnehmer für die Endkundgebung angemeldet, die Zubringer-Demonstrationen sind entsprechend kleiner. Wenn sie sich am Ende gegen 15.30 Uhr auf der Ludwig-Erhard-Straße versammeln, gilt ein Abstandsgebot von zwei Metern und strikte Maskenpflicht. Außerdem gibt es Videoleinwände und ein großes Lautsprechersystem mit professionell aufgezeichneten Durchsagen. Angesichts der großen Zahl der Menschen werden sie sich auf der Straße über eine Strecke von 1,5 Kilometern dies- und jenseits des Michels verteilen.

    Rittmann: Zu Beginn der Kundgebung werden wir die Menschen noch mal im Detail auf die Corona-Regeln hinweisen. Sie sind uns ganz, ganz wichtig. Unsere Ordner sind da streng, wir wollen dort niemanden ohne Mund-Nasen-Schutz sehen. Auf dem Boden der Ludwig-Erhard-Straße werden wir Blöcke für jeweils 250 Menschen markieren. Die Ordner achten darauf, dass diese Obergrenze in keinem Block überschritten und der Abstand eingehalten wird. Sollten mehr Menschen als die angemeldeten 10.000 kommen, werden zusätzliche Blöcke markiert. Wenn die Zubringerdemos dezentral starten, werden wir schon einen guten Überblick über die Zahl der Teilnehmer haben und können flexibel reagieren.

    Was passiert auf der Bühne? Sie haben ja sonst oft viele namhafte Bands und Künstler.

    Rittmann: Der Fokus wird dieses Mal auf den Reden liegen, die Endkundgebung beschränkt sich auf eine Stunde. Wir setzen auf die Inhalte, die wir rüberbringen wollen. Da geht es um die Klimacharta von Wirtschaftsminister Peter Altmaier und die Frage, wie Klimakrise und Corona ineinandergreifen. Zu den Rednern gehört der bekannte Klimaforscher Mojib Latif. Es wird auch eine Band spielen – wer das ist, ist derzeit noch in der Absprache.

    Haben Sie den Eindruck, dass Klimaschutz in der Corona-Pandemie bereits bei den Plänen zum ökonomischen Wiederaufbau mitgedacht wird?

    König: Bisher kann man nicht allzu zufrieden sein. Aus Politik und Wirtschaft ist eher der Ruf nach einem Zurück zur Normalität zu hören. Doch das darf es nicht geben, für uns wäre das zugleich die Rückkehr in einen Alarmzustand. Wenn wir nur eine kleine Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben wollen, dann müssen sofort die entscheidenden Weichen gestellt werden und nicht erst, nachdem die Wirtschaft in einigen Jahren wieder nach alter Norm aufgebaut wurde.

    Immerhin hat die Bundesregierung in ihren Konjunkturhilfen keine Abwrackprämie beschlossen. Schreiben Sie sich das auch als Erfolg auf die Fahne?

    Rittmann: Das Konjunkturpaket bleibt weit unter unseren Forderungen. Da können wir nicht feiern, dass es keine Abwrackprämie gibt. Das zeigt letztlich ja nur, wie gering die Ansprüche immer noch sind.

    König: Nichtsdestotrotz erkennen wir an, dass sich in dieser Frage die Vernunft durchgesetzt hat. Das wäre noch vor einigen Jahren nicht denkbar gewesen. Die Menschheit hat aber das Problem, dass ihr die Zeit wegläuft. Wenn wir in dieser Dekade die Emissionen nicht auf nahe null zurückfahren, insbesondere im Verkehr, dann werden wir das 1,5-Grad-Ziel reißen. Das können wir uns aber nicht leisten, weil kurz hinter den 1,5 Grad verschiedene Kipppunkte liegen und die Folgen irreversibel sind. Danach steuern wir eher auf eine Welt zu, die durchschnittlich drei oder vier Grad wärmer ist. Das bedeutet nicht nur, dass das Wetter hier wärmer ist, sondern vor allem, dass die Polkappen in Gänze abschmelzen, die Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen und wir Flüchtlingsströme in Milliardenhöhe haben, weil Lebensräume zerstört werden. Deshalb muss trotz Corona auch die erste Hälfte dieser Dekade im Zeichen des Klimaschutzes stehen.

    Einzelne Fridays-for-Future-Vertreter haben angekündigt, für Parlamente zu kandidieren. Was halten Sie davon, und wie sieht es bei Ihnen aus?

    Rittmann: Ich habe nicht vor, für den Bundestag zu kandidieren. Keine im Bundestag vertretene Partei verfolgt wirklich konsequent das 1,5-Klimaschutz-Ziel. Für die meisten unserer Aktivisten ist es deshalb ausgeschlossen, für eine dieser Parteien zu kandidieren.

    Ist die Gründung einer eigenen Partei eine Option?

    Rittmann: Es reicht nicht, wenn nur eine Partei für konsequenten Klimaschutz eintritt und mit den anderen dann Kompromisse eingeht. FFF will auf der Straße Druck auf alle Parteien aufbauen.

    Wie bringen Sie sich in die Klimawoche ein, die jetzt startet?

    Rittmann: Wir sind bei einigen Veranstaltungen auf dem Plenum, ansonsten aber nicht beteiligt. Die Klimawoche fokussiert zu stark auf das Erreichte und die Erfolge des rot-grünen Senats. Das geht uns nicht weit genug.

    Für die Demonstration am kommenden Freitag, 25. September 2020, sucht Fridays for Future noch dringend Ordner. Wer helfen möchte und über 18 Jahre alt ist, kann sich eintragen:http:///fffutu.re/Helfen2509HH