Hamburg. Nach dem Brand im Camp Moria zeigen sich Hamburgs Politiker entsetzt. Senat erklärt Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten.
Tausende Menschen flüchten vor den Flammen, während das Feuer im völlig überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos wütet: Es sind erschreckende Bilder, auf die am Mittwoch auch viele Hamburger Politiker mit Entsetzen reagiert haben. Viele plädieren für die Aufnahme von Geflüchteten in Hamburg.
Die Linken-Bürgerschaftsfraktion und die Seebrücke Hamburg hatten auf Twitter zu einer Demonstration am Mittwochabend aufgerufen: Statt der erwarteten 500 Menschen versammelten sich laut Polizei trotz regnerischen Wetters bis zu 1600 Teilnehmer am Neuen Pferdemarkt, um für die schnelle Überführung von Geflüchteten nach Hamburg zu demonstrieren. Der Demonstrationszug führte über die Reeperbahn bis zum Fischmarkt, bei der Abschlusskundgebung sprach der Veranstalter von 2400 Teilnehmern.
Eine Evakuierung des Lagers sei wegen der dort herrschenden unhaltbaren hygienischen Zustände schon vor dem Feuer nötig gewesen, und spätestens jetzt überfällig, so Redner. Bei dem Brand in der Nacht zum Mittwoch war das Camp, in dem statt der vorgesehenen 3000 Flüchtlinge mehr als 12.000 Menschen untergebracht waren, fast vollständig zerstört worden.
Hamburger Senat erklärt Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten
Hamburgs rot-grüner Senat hat sich nach dem Brand bereiterklärt, weitere Geflüchtete in der Hansestadt aufnehmen. „Die Bilder aus Moria sind erschreckend. Europa und Deutschland müssen handeln. Wir in Hamburg sind bereit, Geflüchtete aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen“, sagte Senatssprecher Marcel Schweitzer am Mittwoch.
Eine Zahl nannte Schweitzer nicht. Nach bisherigen Vereinbarungen mit der Bundesregierung nimmt Hamburg bis zu 150 Geflüchtete auf – nämlich bis zu 50 unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche sowie begleitete minderjährige Geflüchtete, die besonders krank und behandlungsbedürftig sind, mit ihren Kernfamilien von bis zu 100 Personen. Die ersten davon seien bereits in Hamburg angekommen.
Andy Grote: Bilder vom Feuer in Moria zwingen zum Handeln
Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) reagierte via Twitter auf das Feuer im griechischen Flüchtlingslager. "Die Bilder vom Feuer in Moria sind erschreckend und zwingen zum Handeln." Der SPD-Politiker kritisierte den Bund, der zu langsam agiere. "Jetzt ist es Zeit für schnelle, weitere Hilfe!", schreibt er in seinem Twitter-Beitrag.
Hamburger Grüne zu Brand in Moria: Schande für die gesamte EU
Am Mittwochmittag hatten die rot-grünen Regierungsfraktionen bereits ihr Angebot bekräftigt, bei der Aufnahme besonders gefährdeter Flüchtlinge über den Königsteiner Schlüssel hinauszugehen. Sie fordern vom Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sofortiges Handeln.
„Die Lage ist noch unübersichtlich, aber die erschreckenden Bilder aus dem Camp in Moria machen deutlich, dass auch die Europäische Idee von Solidarität und Mitgefühl in Flammen aufzugehen droht", sagte Jennifer Jasberg, Vorsitzende der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. Der Umgang mit Geflüchteten in den Camps Griechenlands sei eine Schande für die gesamte Europäische Union. Jasberg: "Wir haben in Hamburg, ebenso wie viele andere Länder und Kommunen in Deutschland, wiederholt angegeben, dass wir zur Aufnahme von geflüchteten Menschen aus dem Mittelmeerraum bereitstehen und bekräftigen diese Bereitschaft."
SPD Hamburg: Leid der Menschen in Moria wird sich verschärfen
Auch der SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf betonte, dass der Brand von Moria "ein Schlaglicht auf das Versagen der europäischen Wertegemeinschaft" werfe. "Wir haben in Hamburg mehr als einmal und zuletzt im Januar deutlich gemacht, dass wir bereit sind, ein Kontingent von geflüchteten Kindern und Familien von den griechischen Inseln aufzunehmen, die von den schlechten Zuständen vor Ort besonders betroffen sind", sagte der SPD-Politiker.
Kienscherf erwartet vom Bundesinnenminister, "dass er seiner Verantwortung gerecht wird". Denn allein der Bund sei für aufenthaltsrechtliche Fragen und Vereinbarungen mit anderen Ländern zuständig. "Es wird Zeit, dass wir in dieser Frage europäisch handeln", sagte er. "Nach den Bildern aus dem brennenden Moria, die uns in der Nacht erreicht haben, und Berichten über Covid-19-Erkrankungen ist bereits jetzt klar, dass sich das Leid und die Situation der Menschen vor Ort weiter verschärfen wird.“
Katja Suding: Schreckliches Erwachen mit Bildern aus Moria
Auch die Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Suding, die am Wochenende ihren kompletten Rückzug aus der großen Politik angekündigt hatte, zeigte sich entsetzt. Auf Twitter schrieb die FDP-Frau: "Was für ein schreckliches Erwachen mit den Bildern aus Moria! Die Würde des Menschen ist unantastbar, und zwar überall."
Linken-Fraktion: Hamburg soll 1000 Flüchtlinge aufnehmen
Der Appell der Linken-Bürgerschaftsfraktion lautet: "Wir müssen endlich helfen." Längst seien die Zustände im Flüchtlingslager Moria menschenunwürdig. Nun irrten Tausende Menschen obdachlos auf der Insel herum, heißt es in einer aktuellen Mitteilung. „Tagtäglich setzen wir das Leben der Menschen dort aufs Spiel, nach dem verheerenden Feuer ist ihre Lage noch verzweifelter“, sagte die Linken-Flüchtlingsexpertin Carola Ensslen.
Die Linken-Fraktion kritisiert, dass Hamburg, Deutschland und Europa viel zu lange tatenlos zugesehen habe, welche humanitäre Katastrophe sich auf Lesbos abspiele. Ensslen: „Der Covid-Ausbruch im Lager und nun der Brand lassen kein Abwarten zu." Ihrer Ansicht nach muss Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher sofort das Signal an Bundesinnenminister Seehofer senden, dass Hamburg mindestens 1000 Geflüchtete aufnimmt.
Demo am Neuen Pferdemarkt unter dem Motto "Hamburg hat Platz"
Auf Twitter riefen Ensslens Fraktionskolleginnen Christiane Schneider und Cansu Özdemir ebenso wie die Seebrücke Hamburg zu einer Demonstration am Mittwochabend auf. Unter dem Hashtag #HamburgHatPlatz schrieben die Hamburger Linken-Politikerinnen: "Jetzt muss endlich gehandelt werden! Alle auf die Straße. Mit Wut und Abstand."
Die Demonstranten wollen sich um 18 Uhr im Arrivatipark (Budapester/Neuer Pferdemarkt) treffen. Am Sonnabend soll ab 14 auf dem Rathausmarkt demonstriert werden.
Plan International fordert Evakuierung des Camps
Die Kinderrechtsorganisation Plan International Deutschland fordert die Evakuierung des Camps Moria. „Dabei müssen Kinder durch die Europäische Mitgliedsstaaten und Deutschland priorisiert behandelt und gemeinsam mit ihren Familien in Sicherheit gebracht werden“, sagte Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan International Deutschland, in Hamburg. In einem Zustand von Chaos und Panik wie bei diesem Feuer litten Kinder ganz besonders. "Es ist nicht abzusehen, welches Trauma die Mädchen und Jungen dadurch erleiden", so Röttger.
Nach Ansicht von Plan International müsse Deutschland nun die Aufnahmeanzahl an die hohe Aufnahmekapazitäten der Bundesländer anpassen, ohne Rücksicht darauf, ob andere Mitgliedsstaaten sich überhaupt oder mit einer geringeren Anzahl beteiligten. Röttger: "Die Europäische Union hat sich dazu verpflichtet, bisher erreichte humanitäre Werte zu schützen. Dies funktioniert nicht, indem man restriktive Abschottungspolitik betreibt und die Augen davor verschließt, welche Konsequenzen sie für die Menschen – insbesondere für Kinder – hat."
Linke in Schleswig-Holstein fordern Rücktritt von Seehofer
Auch das Land Schleswig-Holstein hat sich bereit erklärt, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. "In dieser extremen Notsituation muss die Bundesregierung diese Angebote aufgreifen und sofort die Aufnahme von Flüchtlingen von der Insel Lesbos in die Wege leiten", sagte Marianne Kolter, Landessprecherin der Linken in Schleswig-Holstein. "Wir haben Platz und können helfen, tun wir es. Wir rufen auf, beteiligen Sie sich an den spontanen Solidaritätsaktionen für die Menschen aus Moria."
Der Landessprecher Hanno Knierim übte massive Kritik an Horst Seehofer. Dieser habe Hilfe aktiv blockiert und Bundesländern sogar direkt die Aufnahme weiterer Geflüchteter verboten, so Knierim. "Nun ist die Katastrophe komplett. Das Lager brennt, die Menschen sind ohne Perspektive, und das nachdem erst kürzlich ein Ausbruch von Corona im Lager gemeldet wurde." Innenminister Seehofer trage mit die Verantwortung dafür, dass nicht gehandelt wurde. „Es wird Zeit für ihn zu dieser Verantwortung zu stehen und seinen Hut zu nehmen", sagte der Linken-Politiker.
Schleswig-Holsteins Innenministerin: Menschen brauchen schnell Hilfe
Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) hat angesichts des verheerenden Brandes im griechischen Flüchtlingslager Moria das Angebot erneuert, Flüchtlinge aus dem Lager aufzunehmen. „Mit dieser Situation kann Griechenland nicht mehr alleine fertig werden“, sagte die Ministerin. „Die Menschen brauchen jetzt schnell Hilfe. Schleswig-Holsteins bereits früher unterbreitetes Angebot, Flüchtlingskinder und ihre Familien aus dem überfüllten Lager aufzunehmen, gilt selbstverständlich auch und gerade jetzt. Über alles Weitere wird zu reden sein.“
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, erklärte am Mittwoch bei Twitter: „Wir haben Griechenland in der Vergangenheit geholfen und wir werden selbstverständlich auch jetzt helfen“. Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe dies bereits angeboten. Auf die Frage, ob Seehofer jetzt bereit sei, Ländern und Kommunen, die sich schon länger zur Aufnahme von Geflüchteten aus Moria bereiterklärt hatten, dies zu gestatten, sagte der Sprecher in Berlin: „Die aktuelle Situation stellt uns vor Herausforderungen, aber das ist kein Grund, unsere bisherige Rechtsordnung infrage zu stellen.“
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein, Aminata Touré, sagte, die Bundesregierung bestehe nicht nur aus Bundesinnenminister Seehofer. „Wenn er die Aufnahme aus Lesbos durch Bundesländer blockiert, ist es an dem Rest der Bundesregierung, ihren Bundesinnenminister zur Räson zu bringen und die Aufnahmeanträge der Bundesländer zu ermöglichen, statt zu stoppen.“ Langfristig brauche es eine europäische Antwort zur Verteilung von Geflüchteten, „aber wer jetzt nicht handelt, macht sich mit schuldig.“
Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert, Aufnahmen zu organisieren
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert die niedersächsische Landesregierung auf, jetzt aktiv zu werden und Aufnahmen organisieren. Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass die europäische, die deutsche und auch die niedersächsische Politik von Abwarten, Zurückhaltung und gegenseitiger Verantwortungszuweisung geprägt gewesen sei. Das spiegelt sich nach Ansicht des Flüchtlingsrats auch in den Zahlen. Seit April habe Deutschland lediglich 465 Menschen aus den griechischen Elendscamps aufgenommen, heißt es in einer aktuellen Mitteilung. Nur 43 davon blieben in Niedersachsen.
„Die bisherige Aufnahme war reine Symbolpolitik, die nichts am Leid der vielen Tausend an den europäischen Außengrenzen geändert hat", sagte Sascha Schießl, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen. "Die schrecklichen Ereignisse in Moria zeigen noch einmal auf bedrückende Weise, dass eine Kehrtwende und ein Umdenken dringend notwendig sind. Auch die niedersächsische Landesregierung muss jetzt handeln und Plätze bereitstellen!“
AfD Hamburg: „Wir können nicht alle Probleme der Welt lösen“
Ganz anders äußerte sich die Hamburger AfD-Bürgerschaftsfraktion. „Selbstverständlich muss den Migranten vor Ort geholfen werden – aber nicht, indem wir alle nach Hamburg holen", sagte migrationspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Alexander Wolf. "Wir können nicht alle Probleme dieser Welt lösen – als räumlich begrenzter und wachsender Stadtstaat schon gar nicht."
Wolf mahnte, dass die Regierungskoalition sich nicht über geltendes Recht hinwegsetzen dürfe. "Und wir dürfen uns auch nicht erpressen lassen", so der AfD-Politiker. "Rot-Rot-Grün betreibt eine verantwortungslose und gefährliche Politik gegen die eigenen Bürger."
Erzbischof Heße: Brand in Moria war „Katastrophe mit Ansage“
Der Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Stefan Heße, hat der Politik nach dem verheerenden Feuer im griechischen Flüchtlingslager Moria Versagen vorgeworfen. „Man muss es wohl so offen sagen: Es handelt sich um eine Katastrophe mit Ansage“, erklärte der Vorsitzende der Migrationskommission und Hamburger Erzbischof am Mittwoch.
Aus der Kirche und der Zivilgesellschaft habe es immer wieder deutliche Appelle gegeben, die unerträglichen Zustände vor allem im überfüllten Lager Moria zu beenden. Immer wieder sei gefordert worden, vor allem Kinder und Familien aus dem Lager rasch in Deutschland oder anderen EU-Staaten aufzunehmen.
„Passiert ist bislang erschreckend wenig“, kritisierte Heße. Die Aufnahme von einigen alleinreisenden Kindern und Jugendlichen sowie behandlungsbedürftigen Kindern und deren Familien sei nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. „Mehr denn je stehen Deutschland und Europa in der Pflicht, die desaströsen Verhältnisse auf Lesbos zu beenden und Schutzsuchenden eine menschenwürdige Aufnahme zu ermöglichen“, erklärte Heße.
Die bisherigen politischen Blockaden müssten überwunden werden. „Wenn nicht alle Mitgliedstaaten dazu bereit sind, muss eine humanitäre Koalition der Willigen vorangehen. Europa kann es sich nicht länger erlauben, die Augen zu verschließen“, betonte Erzbischof Heße.
Grüne Jugend Hamburg: Die Hansestadt kann mindestens 1000 Menschen aufnehmen
Auch die Grüne Jugend Hamburg bezog Stellung: "Die Bundesregierung ist mit ihrer inhumanen Geflüchtetenpolitik verantwortlich für das unvorstellbare Leid in Moria und den anderen Lagern. Sie muss heute handeln und alle Menschen aus Moria nach Deutschland evakuieren und sicher unterbringen. Wir dürfen uns jedoch nicht nur auf den Bund verlassen. Alle Politiker*innen, auch hier aus Hamburg, müssen jetzt alles tun, was möglich ist", sagte Madeleine Cwiertnia, Sprecherin der Grünen Jugend Hamburg. Sprecher Leon Alam ergänzt: "Hamburg hat Erfahrung damit, im Angesicht größter humanitärer Not das Notwendige zu tun und nicht erst den Bund um Erlaubnis zu fragen. Im Zweifel muss auch ein Rechtsstreit mit dem Bund riskiert werden. In den Notunterkünften in Hamburg könnten aus dem Stand mindestens 1000 Menschen aufgenommen werden. Es ist längst überfällig, aber nach der letzten Nacht umso dringender."