Hamburg. „Habe in meinem Leben noch anderes vor“: FDP-Frontfrau kündigt überraschend Rückzug an. Zwei Kandidaten für Nachfolge.
Eine halbe Stunde sprach sie über Wege aus der Krise, über Positionen, über Ausblicke. Es ging um die Aufarbeitung der für die FDP verlorenen Bürgerschaftswahl. Dann verließ Katja Suding für einen Moment das Rednerpult, goss sich am Präsidiumstisch Mineralwasser ins Glas, trank seelenruhig – und trat zurück ans Mikrofon.
Was die Führungsfrau der FDP sodann sagte, glich einem politischen Donnerhall: „Für mich ist jetzt Schluss.“ Bis auf eine Handvoll Eingeweihter hatte das Gros der 150 anwesenden Mitglieder damit nicht gerechnet.
Katja Suding: Kompletter Rückzug aus der großen Politik
Diese Überraschung zu Beginn des 112. FDP-Landesparteitags im Hotel Grand Elysée am Sonnabend hat Langzeitfolgen: Katja Suding kündigte ihren kompletten Rückzug aus der großen Politik an. Die Entscheidung betrifft sowohl den Landesvorsitz der Hamburger FDP als auch ihre Funktion als stellvertretende Bundesvorsitzende.
Bis zu Neuwahlen im Frühjahr 2021 will die 44 Jahre alte Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin ihre Aufgaben weiterhin wahrnehmen und eigenen Angaben zufolge „Gas geben“. Viele Jahre gab Suding der FDP ein Gesicht – über Hamburg hinaus.
Lang anhaltender Applaus zum Abschluss für Suding
„Ich gehe ohne jeglichen Groll“, sagte sie dem Hamburger Abendblatt. „Ich gehe in Frieden und im inneren Einklang mit mir selbst.“ Zum Abschied gab es – nach erster Verblüffung – lang anhaltenden Applaus. Die Nachfolgediskussion hat begonnen.
Katja Suding, Mutter von zwei Kindern und Wohnsitz in den Elbvororten, ist seit 2014 FDP-Landesvorsitzende und seit 2015 stellvertretende Bundesvorsitzende. Ihr Mandat im Deutschen Bundestag will sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021 behalten, jedoch nicht erneut kandidieren. Hinter den Kulissen war ihr zuletzt mangelnde Präsenz in Hamburg wie Berlin nachgesagt worden. Kritiker meinen hinter vorgehaltener Hand, sie habe zudem im Bundestag kaum Akzente gesetzt. „Das Gegenteil ist richtig“, entgegnete sie dem Abendblatt. „Nichts und niemand hat mich vertrieben.“
Wer kommt für Sudings Nachfolge infrage?
Später traten zwei Parteimitglieder ans Mikrofon, denen auf Anhieb die besten Chancen für Sudings Nachfolge eingeräumt werden: Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein sowie Wieland Schinnenburg. Beide äußerten Bedauern über den Schritt, dankten Suding, sagten jedoch nichts Konkretes über persönliche Ambitionen und mögliche Kandidaturen.
Es war zu spüren, dass der Juristin von Treuenfels-Frowein (58) trotz des Wahlausgangs ob ihrer Courage die Herzen des Plenums gehörten. Sie ist durch ein im Wahlkreis Blankenese errungenes Direktmandat einzige FDP-Repräsentantin in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Auf hanseatisch höfliche Art deutete von Treuenfels-Frowein inhaltliche Differenzen innerhalb der Hamburger Liberalen an. So sei die frühe Aussage während des Bürgerschaftswahlkampfes zugunsten einer „Deutschland-Koalition“ aus SPD, CDU und FDP ein Fehler gewesen. Im Gegenzug sei ihre Partei von den regierenden Sozialdemokraten ob des Verhaltens der Thüringer FDP seinerzeit „wie Schmuddelkinder“ behandelt worden.
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Politische Donnerhall war bis nach Berlin zu hören
Etliche Mitglieder sprachen sich am Rande des fast siebenstündigen Parteitags dafür aus, dass von Treuenfels-Frowein als Nummer eins der Hamburger FDP in den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr ziehen solle. „Wir müssen uns nun alle ein bisschen sortieren“, sagte sie selbst. „Wir brauchen jetzt alles, aber keine Personaldebatte.“
Dem schloss sich außerhalb der öffentlichen Diskussion der Altonaer Bezirksvorsitzende Carl-Edgar Jarchow an, eine graue Eminenz der FDP. „Katjas Entscheidung ist respektabel – auch menschlich“, sagte das Landesvorstandsmitglied. Seine Partei habe nun die Chance, sich neu aufzustellen. Zuvor werde es wohl „hier und da rumpeln und Klüngeleien geben“.
Der politische Donnerhall vom Rothenbaum war bis nach Berlin zu hören. Nicht alle an der Parteispitze wussten vorher Bescheid. Zu den Informierten gehörte der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner.
Via Twitter befand er: „Menschen sollen Piloten ihres Lebens sein und nicht Passagiere. Du bist Pilotin, liebe Katja.“ Er habe bei der Nachricht jüngst „wehmütig reagiert“ und spüre Respekt vor Suding. Andere vermuten eine „veränderte Lebenssituation“ als Triebfeder des Rückzugs.
Suding: Weiß noch nicht, was ich beruflich machen werde
Kurz nach der noch bis Frühjahr amtierenden Landesvorsitzenden trat im Grand Hotel Elysée der Zahnarzt und Rechtsanwalt Wieland Schinnenburg (61) ans Rednerpult. Er gehört dem Bundestag seit 2017 an, war bereits 2006/07 Landeschef der Hamburger FDP, trat damals allerdings ob innerparteilicher Querelen unerwartet zurück.
Sudings Rückzug kommentierte er so: „Nach einem derart einschneidenden Ereignis kann man nicht sofort zur Tagesordnung übergehen.“ Für die FDP forderte er „mehr Transparenz, mehr Teamwork und mehr Geschlossenheit“. Unmissverständlich fügte er hinzu: „Die Partei braucht eine bessere Führung. Daran werde ich mich gerne beteiligen.“ Wer will, kann diese Aussage als Bewerbung für den Parteivorsitz verstehen.
Katja Suding reinigte das Rednerpult
Katja Suding wird dann keine führende Rolle mehr spielen. „Die Politik war für mich ein Mandat auf Zeit“, sagte sie dem Abendblatt. „Ich habe in meinem Leben noch etwas anderes vor.“ Sie freue sich mit Spannung darauf, neue Wege zu gehen. Wohin diese beruflich und persönlich führen werden? „Ich habe wirklich noch keinen blassen Schimmer.“
Im Anschluss an ihre Überraschungsrede leistete Suding einer Bitte des Versammlungsleiters an alle Redner Folge: Sie reinigte das Pult sorgsam mit Desinfektionsmittel. Wer wollte, konnte das als symbolischen Akt sehen.