Hamburg. Der 50-Jährige entwickelte eine künstliche Netzhaut. Jetzt erhielt er im Rathaus den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis.
Es ist seine verblüffende Vielseitigkeit, die Botond Roska zu einem Hoffnungsträger macht. Auf der Suche nach Therapien für erblindete Menschen, die durch eine genetisch bedingte Erkrankung der Netzhaut ihr Sehvermögen verloren haben, nutzt der 50-Jährige sein Wissen als Mediziner, Neurobiologe und Mathematiker. Als wäre das nicht schon genug, kennt er sich auch noch mit Genetik und Virologie aus.
Was er daraus macht, hat ihm schon etliche Auszeichnungen und jede Menge Fördergeld für seine Forschung beschert. Am Montag kam eine besondere Ehre hinzu: Im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses erhielt Roska den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft.
Der gebürtige Ungar, der in Basel arbeitet, wurde international bekannt mit seinen Studien zur Netzhaut (Retina). Dieses Nervengewebe kleidet die Innenseite des Auges aus. Eine zentrale Rolle spielen dort die sogenannten Stäbchen und Zapfen: Sie wandeln das eintreffende Licht in elektrische Impulse um, die dann anschließend über den Sehnerv ins Gehirn geleitet werden. Das Gehirn erzeugt aus diesen Informationen ein Bild. „Die Netzhaut ist ein nach außen verlagertes Stück des Hirns. Ihr komplexes Netzwerk aus Nervenzellen verarbeitet die Signale ähnlich wie ein Computer“, sagt Roska.
Körber-Preisträger Roska nutzt harmlose Viren
Ihm gelang es in jahrelanger Arbeit mit Kollegen, etliche Erkrankungen der Netzhaut auf genetische Defekte in einzelnen Zellen zurückzuführen. Fast 300 solcher spezifischen Erbgutveränderungen sind inzwischen bekannt. Roska widmet sich etwa der Retinitis pigmentosa, der häufigsten genetischen Augenerkrankung. Sie führt bis zur Erblindung, gilt bislang als unheilbar. Roska zufolge leiden weltweit zwei Millionen Menschen daran. In Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf mindestens 30.000 bis 40.000 geschätzt.
Als therapeutischen Ansatz erprobt Roska hier die sogenannte Optogenetik, ein Verfahren, das er zwar nicht begründet hat, aber für die Augenheilkunde nutzbar machen will. Dabei werden Nervenzellen genetisch so verändert, dass sie auf Licht reagieren. Roska nutzt harmlose Viren als Transportvehikel.
Mit ihnen schleust er Gene für einen Lichtsensor in noch intakte Zellen der Netzhaut ein, was im Tierversuch ein zumindest teilweise wiederhergestelltes Sehen bewirkt hat. Inzwischen laufe eine klinische Studie mit fünf Probanden, so die Körber-Stiftung. Nach ihren Angaben arbeitet ein Team von Roska zudem an einer neuen Therapie der altersbedingten Makuladegeneration, die ebenfalls noch nicht heilbar ist.
Im Jahr 2018 gelang es dem Augenforscher und seinem Team, eine vollständige künstliche Retina zu züchten. An solchen sogenannten Netzhaut-Organoiden testet Roska, ob bestimmte Gentherapien funktionieren. Die Auszeichnung mit dem Körber-Preis nannte er am Montag „eine große Ehre und Freude“: „Einerseits wird dieser Preis uns ermöglichen, unsere Forschung voranzutreiben, um die menschliche Netzhaut besser zu verstehen und Therapien zu entwickeln. Andererseits trägt er dazu bei, die Aufmerksamkeit auf die Blindheit zu lenken, eines der größten Probleme der Menschheit“, so Roska.
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) würdigte den neuen Körber-Preisträger als „Pionier der Netzhautforschung“, der „die Grundlagen der Augenheilkunde maßgeblich erweitert hat“. Seine Arbeit sei ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass das Verständnis der molekularen Grundlagen von Erkrankungen neue Behandlungsperspektiven eröffnet. Die Forschung Roskas „weckt die Hoffnung, dass eine bisher nicht heilbare Erkrankung, die zur Erblindung führt, in Zukunft geheilt werden kann“, sagte Tschentscher. Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) pries Roska als einen „der renommiertesten Augenforscher der Welt“ und wünschte ihm Erfolg bei seinem „großartigen Beitrag im Kampf gegen die Erblindung“.
Prof. Martin Spitzer, Direktor der UKE-Augenklinik, sagte, Roska betreibe „faszinierende Grundlagenforschung“. Seine Arbeiten hätten „ein Riesenpotenzial, genetisch bedingte Netzhauterkrankungen besser zu verstehen und so erst Therapien zu ermöglichen“. Der Körber-Preis wird oft als „Hamburger Nobelpreis“ bezeichnet. Das hängt damit zusammen, dass bereits sechs Körber-Preisträger später die berühmte Auszeichnung in Stockholm erhielten, unter ihnen der deutsche Physiker Stefan Hell.