Hamburg. Wie auf Regierungsebene über Prostitution in Corona-Zeiten diskutiert wird und warum Hamburg Scholz’ Grundsteuer-Plan ablehnt.
Mit dem ältesten Gewerbe der Welt ist das ja so eine Sache, gerade in Hamburg. Auf der einen Seite haben die Rotlichtbetriebe die Reeperbahn und den Stadtteil St. Pauli weltberühmt gemacht und sind aufgrund der Anziehungskraft auf Touristen ein veritabler Wirtschaftsfaktor in dieser Stadt. Dass Udo Lindenberg der „geilen Meile“ ein musikalisches Denkmal gesetzt hat und Ex-Hure Domenica als Wachsfigur im Panoptikum steht, ist ja kein Zufall.
Auf der anderen Seite hat das Thema nach wie vor etwas leicht Schmuddeliges und taucht daher in Reden von Bürgermeistern und Senatsmitgliedern eher selten auf, um nicht zu sagen: in normalen Zeiten nie. Aber von normalen Zeiten kann seit März keine Rede mehr sein, und so ist das Geschäft mit dem Sex inzwischen auch ein Thema im Senat.
Der Grund ist relativ schlicht: Nachdem Bürgermeister Peter Tschentscher und Sozialsenatorin Melanie Leonhard (beide SPD) Ende August verkündet hatten, welche Lockerungen der Corona-Regeln zum 1. September in Kraft treten, blieb nicht mehr viel Verbotenes übrig. Im Prinzip sind es nur noch Großveranstaltungen, Volksfeste – und eben die Prostitution. Und so war es kein Wunder, dass Leonhard am Dienstag auf der Landespressekonferenz erneut gefragt wurde, wann diese freigegeben werde.
„Mit Abstand ist da kein Geschäft zu machen.“
Das sei ein schwieriges Thema, räumte die Senatorin ein, schließlich habe man es mit einer sehr „körpernahen Dienstleistung“ zu tun: „Mit Abstand ist da kein Geschäft zu machen.“ Auf der anderen Seite kenne sie die Nöte des Gewerbes und hoffe daher, noch im September eine Lösung zu finden.
Zuvor musste Leonhard allerdings erst mal ihren Chef überzeugen: Denn der Bürgermeister ist bei dem Thema noch einen Tick reservierter als die auch nicht zu unüberlegten Handlungen neigende Sozialsenatorin. Er sehe zwar das Problem, eine ganze Branche faktisch mit einem Berufsverbot zu belegen, heißt es aus Tschentschers Umfeld. Gleichzeitig empfinde er es aber als schwer vermittelbar, Trauerfeiern und Hochzeiten personell zu begrenzen, andererseits aber Dienste zu erlauben, die per se auf Körperkontakt angelegt sind.
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Leonhard nimmt dagegen – ihrem Amt entsprechend – etwas stärker die soziale Perspektive ein: etwa, dass die Prostitution ja nicht weg sei, nur weil man sie verbiete, sondern dass man sie damit in die Illegalität dränge; dass die Behörden so gar keinen Einfluss auf das (Infektions-)Geschehen hätten und dass es daher besser sei, man lasse das Gewerbe unter klaren Regeln zu, die man dann auch kontrollieren könne – zumindest in den angemeldeten Etablissements. An Vorschlägen aus der Branche, wie diese Regeln ausgestaltet sein könnten und welche Praktiken unter Infektionsgesichtspunkten gerade noch vertretbar seien, soll es nicht mangeln, heißt es aus der Sozialbehörde.
Tschentscher unterstützt nun Leonhards Bemühungen um eine Lösung
Auch dem Bürgermeister sollen diese Vorschläge bekannt sein. Und da sowohl der grüne Koalitionspartner als auch Teile seiner SPD aus sozialen Gründen auf eine Öffnung der Prostitution drängen, unterstützt Tschentscher nun Leonhards Bemühungen um eine Lösung. Allerdings besteht er darauf, dass man sich im Verbund der norddeutschen Länder auf Regeln einigt. Denn auf Sex-Tourismus könne man gut verzichten, jedenfalls in Corona-Zeiten. Da diese Sicht in Niedersachsen und Schleswig-Holstein geteilt wird, soll die Einigung dem Vernehmen nach recht weit gediehen sein. An einer Maskenpflicht für Prostituierte und ihre Kunden dürfte dabei kein Weg vorbeiführen.
Verzichten kann Hamburg auch auf die Vorschläge zur Grundsteuerreform aus dem Haus von Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Was sich schon lange andeutete, wurde in dieser Woche erstmals konkret: Die Stadt wird einen eigenen Weg gehen und will die Grundsteuer ab 2025 lediglich anhand der Fläche und der Lage von Immobilien berechnen, verkündete Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) am Dienstag.
Das war eine erwartete und allseits begrüßte Entscheidung, da das auf einer Neubewertung aller Immobilien basierende Scholz-Modell sich in Hamburg verheerend auf die Höhe der Steuer und damit auf den Wohnungsmarkt hätte auswirken können. Es war aber auch ein weiterer Akt der Emanzipation vom einst übermächtigen Bürgermeister. Ohne dass es jemand hätte betonen oder nur aussprechen müssen, schwang im Subtext der Entscheidung mit: Die Zeiten, in denen Hamburg nach der Pfeife von Olaf Scholz tanzte, sind vorbei.
Das Gegenteil von dem, was Scholz als Bürgermeister vertreten hatte
Dressels Aussage, dass man sich aufgrund der alten Verbundenheit ganz besonders bemüht habe, das Scholz-Konzept für Hamburg zu prüfen, durfte als freundliche Bemäntelung gewertet werden. Tatsächlich war man in der Hansestadt entsetzt gewesen, als das Bundesfinanzministerium (BMF) vergangenes Jahr seine Vorschläge für die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Reform vorgelegt hatte.
Denn die waren genau das Gegenteil von dem, was Scholz als Bürgermeister vertreten hatte. Die Perspektive der Großstädte, die mit stark steigenden Immobilienpreisen zu kämpfen haben und alles gebrauchen konnten, nur kein wertbasiertes Grundsteuermodell, war ihm offenbar abhandengekommen. Länder wie Bayern und Hamburg mussten daraufhin erst wochenlang auf Scholz und seinen Apparat einreden, bevor eine Öffnungsklausel ins Gesetz aufgenommen wurde, die es ihnen erlaubt, vom Bundesmodell abzuweichen und einen eigenen Weg bei der Grundsteuer zu gehen.
Verhältnis zu Scholz ist ambivalent
Zu behaupten, Hamburg gehe den nur, um sich von Scholz zu distanzieren, wäre jedoch völlig falsch. Denn erstens ist die Entscheidung gut begründet und trifft in der Stadt auf hohe Akzeptanz. „Das hätte Scholz genauso gemacht, wenn er noch Bürgermeister wäre“, heißt es im Rathaus. Und zweitens ist das Verhältnis der heute Regierenden zu ihrem einstigen Übervater dann doch etwas ambivalenter.
So sieht Tschentscher seine Arbeit durchaus in einer Kontinuität zu den sieben Jahren als Finanzsenator im Senat Scholz. Vergleiche mit seinem Vorgänger empfindet er bis heute als Lob. Erst am Donnerstagabend pries er den SPD-Kanzlerkandidaten bei „Markus Lanz“ in höchsten Tönen an.
Auf der anderen Seite profitiert der Bürgermeister sehr davon, als eigenständiger Politiker wahrgenommen zu werden, der nicht einfach nur das Werk seines Mentors fortsetzt. Die Corona-Krise bietet ihm dafür die perfekte Bühne: Der Zufall will es, dass Tschentscher derzeit stellvertretender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist und daher die SPD-regierten Länder in der Runde mit der Kanzlerin vertritt. Dort punktet er nicht nur mit seiner sachlichen Art, sondern auch und vor allem mit seinem Hintergrund als Labormediziner. Dass Bund und Länder kürzlich die Pflichttests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten gegen den ausdrücklichen Willen von Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) wieder gekippt haben, war in erster Linie Tschentschers Verdienst. Er hatte die Runde davon überzeugen können, dass die Tests aus medizinischer Sicht relativ sinnlos sind.
Das Foto, wie Merkel, ein lächelnder Tschentscher und ein bedröppelt dreinschauender Söder im Troika-Stil zur Pressekonferenz gehen, ziert immer noch die städtische Corona-Homepage. Die Überschrift lautet: „Tschentscher: Wichtige Beratung und sehr gute Ergebnisse“. Das gilt auch für ihn persönlich.