Hamburg. Der Täter mischte Frauen Harndrang- und Abführmittel in Speisen und Getränke. Ein Anwalt hält das Urteil für zu mild.
Es ist der vorläufige Schlusspunkt in einem Verfahren, in dem es um eine Tat geht, die bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Im August 2019 berichtete das Abendblatt exklusiv über die Vorwürfe gegen einen 28 Jahre alten Hamburger. Der Mann soll Gäste, die er über die Übernachtungsplattform couchsurfing.com in seine Wohnung einlud, mit Abführmitteln und harntreibenden Mitteln gequält haben.
Inzwischen ist das Urteil rechtskräftig: Das Amtsgericht St. Georg hat den Täter bereits im April per Strafbefehl – also ohne eine Hauptverhandlung – wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Zudem muss er an 19 Opfer jeweils 500 Euro zahlen, insgesamt also 9500 Euro, zahlbar an die Justizkasse in fünf Monatsraten. Die Justizkasse leitet das Geld dann an die Frauen weiter. Der Täter hat den Strafbefehl akzeptiert.
Bauchschmerzen, Durchfall und Einnässen
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann vom 22. Juni 2017 bis zum 15. Juni 2018 seinen Übernachtungsgästen heimlich Harn- und Stuhldrang fördernde Mittel in Getränke oder Speisen gemischt hatte. Die Symptome reichten von leichtem Unwohlsein über Bauchschmerzen, Durchfall und Harndrang mit Einnässen bis zu Erbrechen. Es ist möglich, dass es noch mehr Opfer gibt. Ermittelt wurde nur in den Fällen, die von Frauen angezeigt wurden.
Einquartiert hatten sich die Frauen über die Internetplattform couchsurfing.com, für die sich weltweit 14 Millionen Menschen in 200.000 Städten registriert haben. Das Prinzip: Gastgeber stellen kostenlos ein Bett oder eben eine Couch zur Verfügung, können im Gegenzug selbst bei anderen Nutzern übernachten. Die Plattform setzt auf ein Bewertungssystem wie das virtuelle Auktionshaus Ebay – Gastgeber wie Gäste können ihre Referenzen hinterlassen. Zudem sollen ausführliche Nutzerprofile sowie Registrierungen über Kreditkarte und Telefonnummer die Sicherheit der Gäste („Surfer“) erhöhen.
Gute Bewertungen für den Täter
Im Fall des Hamburger Täters ging dies schief. Denn bizarrerweise schrieben die meisten Frauen sogar gute Bewertungen. „Er hat sich rührend um mich gekümmert“, hieß es mehrfach sinngemäß in den Bewertungen. Die meisten Opfer schoben ihre Beschwerden auf die lange Anreise, zu den Herkunftsländern zählen Peru, Argentinien, Weißrussland und Frankreich.
Nur durch einen Zufall flog auf, dass der Gastgeber in Wahrheit Böses im Schilde führte. Eine Frau, die bei ihrem Aufenthalt unter extremen Harndrang, schweren Krämpfen und ständiger Müdigkeit litt, wunderte sich, als im Bewertungsportal ihres Gastgebers eine andere Frau die gleichen Symptome schilderte.
Angeblich war die Toilette kaputt
Sie schrieb die anderen Gäste des Hamburgers an – und erhielt nahezu identische Schilderungen. Ja, der Gastgeber sei sehr fürsorglich gewesen. Zudem habe der Hamburger mehrfach behauptet, seine Toilette sei leider kaputt. Er habe dann vorgeschlagen, sein Gast könne die Dusche für die Notdurft nutzen. Oder aber ein nahes Gebüsch. Dabei könne er sie gern begleiten, um aufzupassen.
Diesen Vorschlag habe er auch bei gemeinsamen Spaziergängen unterbreitet, wenn es die Frauen vor Harndrang kaum noch aushielten. 19 Frauen zeigten ihren Gastgeber schließlich an.
Erniedrigung der Frauen
„Was er uns angetan hat, ist ein schweres Verbrechen“, schrieb eine Reisende aus Polen dem Abendblatt in einer langen Mail. Dabei geht es nicht nur um die körperliche Leiden. Es geht um Erniedrigung, um traumatische Erfahrungen. Ein Opfer berichtete dem Abendblatt, dass es jede Nacht seine Schlafzimmertür verschließt. Die Frau ist weiter in psychologischer Behandlung.
Mehrere Opfer haben Angst, dass der Gastgeber heimlich Fotos oder Videos gemacht hat, um sie in verschlüsselte Foren zu veröffentlichen: „Es gibt perverse Leute, die zahlen für so was viel Geld.“ Dafür fanden die Ermittler allerdings keine Hinweise.
Es bleibt dennoch die Frage, warum die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl beantragte. Da der Richter diesem Antrag folgte und der Beschuldigte keinen Widerspruch einlegte, wird es also nicht mehr zu einer regulären Hauptverhandlung kommen.
Anwalt hält Urteil für zu niedrig
In Justizkreisen heißt es, dass dieses Verfahren den Opfern erspare, über derart intime Details in einer Verhandlung aussagen zu müssen. Zudem wäre die Anreise oft strapaziös gewesen. Und eine härtere Strafe sei nach einer Hauptverhandlung kaum zu erwarten gewesen. Mit der zwölfmonatigen Bewährungsstrafe ist der Mann vorbestraft.
Der Nürnberger Rechtsanwalt Ralf Peisl, der ein Opfer vertritt, hält das Urteil indes für zu niedrig: „Für mich ist das unverständlich. Wir reden hier über gefährliche Körperverletzung, wo bereits ein Fall mit mindestens sechs Monaten Freiheitsentzug bestraft wird. Und hier handelt es sich um 19 Fälle. Der Täter hat das Vertrauen seiner Gäste auf das Übelste missbraucht.“
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Zudem könne angesichts einer Zahlung von 500 Euro an jedes Opfer von einem „echten Täter-Opfer-Ausgleich keine Rede sein“. Enttäuscht ist Peisl auch von dem Verhalten des Täters im Verfahren: „Er hat sich bis heute bei meiner Mandantin weder entschuldigt noch von sich aus eine Entschädigung angeboten.“
Obwohl das strafrechtliche Verfahren abgeschlossen ist, ist es möglich, dass es zu einem Prozess kommt. Denn die Opfer haben die Möglichkeit, ihren Peiniger zivilrechtlich auf Schmerzensgeld und Schadenersatz – etwa für selbst gezahlte Therapien – zu verklagen.