Hamburg. Sie leisteten Bedeutendes und ihr Leben war mit Hamburg verbunden. In unserer Serie erzählen wir ihre Geschichten.

Ein Regisseur macht unter den Nazis Karriere, feiert im Hollywood der Kommunisten-Hatz in der McCarthy-Ära große kommerzielle Erfolge und gilt vielen als König des melodramatischen Kitsches. Ein Intellektueller, Freund von Bertolt Brecht und Erich-Maria Remarque, weigert sich, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen, flüchtet aus dem nationalsozialistischen Deutschland und geht als großer Stilist und Meister des „vergifteten“ Happy Ends in die Filmgeschichte ein, den Jean-Luc Godard bewundert und Rainer Werner Faßbinder fast schon vergöttert. Es ist derselbe Mensch: Douglas Sirk, 1897 geboren als Hans Detlef Sierck in Eimsbüttel.

Aufgewachsen im Bildungsbürgertum – der Vater ist Lehrer –, ist es vor allem die Großmutter, die ihm Kunst und Kultur nahebringt. Sie nimmt den Jungen oft mit ins noch junge Kino, wo er den Stummfilm-Star Asta Nielsen kennenlernt. Schnell wird er Stammgast im Central-Theater an der Eimsbüttler Chaussee und vor allem im Royal am Eppendorfer Weg. Als dort ein Monumentalfilm über Kolumbus läuft, schreibt der Junge an den Kino-Geschäftsführer, in dem Brief listet er die historischen Fehler auf und fügt ein – wie er meint – besseres Skript bei …

Sirk hört Vorlesungen bei Cassirer und Einstein

Und doch verlaufen seine frühen Jahre in ganz konventionellen Bahnen: Abitur, Jurastudium, dann als Seekadett zur Kaiserlichen Marine. Dank guter Beziehungen ist er allerdings eher selten an Bord, in Gefahr gerät er nie. Das Kriegsende und die Revolution erlebt er fern der Küste in Süddeutschland.

Nach einem kurzen Intermezzo als Redakteur bei der „Neuen Hamburger Zeitung“ zieht es den intellektuell Hochbegabten zum Theater: Er beginnt 1921 als „Hilfsdramaturg“ am Deutschen Schauspielhaus. Und er schult seinen Geist, hört Vorlesungen beim Philosophen Ernst Cassirer und bei Albert Einstein, als der Hamburg besucht. Jahrzehnte später beschreibt er in einem Interview, wie die Relativitätstheorie das Kunstempfinden seiner Generation beeinflusst habe. „Wenn das Universum und die Zeit gekrümmt sind, dann muss auch die Kunst etwas Schräges haben.“

1923 wechselt Sierck als „Oberspielleiter“ nach Bremen. Er lernt Franz Kafka und Bertolt Brecht kennen, wird Intendant am Alten Theater in Leipzig und beginnt für die Ufa zu arbeiten, unter anderem als Szenenbildner und Kameramann. „Ich habe alles bei der Ufa gelernt“, sagt er später. „Und zwar sehr gründlich.“ Ein bis ins kleinste Detail durchkomponiertes Setdesign sollte sein Markenzeichen werden.

Großer Exodus der deutschen Kulturszene

1933 beginnt der große Exodus der deutschen Kulturszene, vor allem viele Maler, Schriftsteller und Filmschaffende gehen ins Exil. Und so bietet die Ufa Sierck, obwohl der als Gegner der Nationalsozialisten bekannt ist, einen Vertrag als Regisseur an. Vier Jahre arbeitet er in Babelsberg, dreht sieben Filme – nicht alle Meisterwerke, aber keinen, für den er sich später künstlerisch oder politisch hätte schämen müssen. Sierck setzt Zeichen: Nach der Scheidung von der Schauspielerin Lydia Brinken, einer frühen Nationalsozialistin, heiratet er 1929 die Jüdin Hilde Jary – und er weigert sich nach 1933 standhaft, sie zu verlassen. Seine Ex-Frau verübelt ihm das so sehr, dass sie den Kontakt zum 1925 geborenen Sohn gerichtlich verbieten lässt.

Er sieht Klaus Detlef nie wieder – der stirbt 1944 an der Ostfront. Als die Drangsalierung der Juden heftiger wird, flieht Sierck 1937 mit seiner Frau ziemlich abenteuerlich über Wien und Rom in die Schweiz. Nicht ohne dem deutschen Film einen Star hinterlassen zu haben. Denn mit seinen letzten beiden Babelsberger Regiearbeiten „Zu neuen Ufern“ und „La Habanera“ macht er Zarah Leander (ihr echter Vorname Sara klang Goebbels zu jüdisch) berühmt. Ihm selbst sind diese Melodramen, die sogar in den USA erfolgreich im Kino laufen, die Eintrittskarte nach Hollywood, wohin er mit seiner Frau 1939 übersiedelt.

In seiner Biografie nimmt er sich einige künstlerische Freiheiten

Dabei nimmt er sich in seiner Biografie einige künstlerische Freiheiten: Er macht sich drei Jahre jünger (um noch unter 40 zu sein), verlegt seinen Geburtsort nach Dänemark und nennt sich Douglas Sirk. Das alles wohl auch, um einer Klage der Ufa zu entgehen, denn er hatte seinen gültigen Vertrag gebrochen, als er floh. Und die Ufa hat bis 1941, als die USA in den Krieg eintreten, enge wirtschaftliche Beziehungen nach Hollywood.

Im Gegensatz zu so vielen intellektuellen Immigranten hat er keine Probleme, sich zu integrieren. Sowohl mit dem American Way of Life als auch mit dem Studiosystem in Los Angeles arrangiert er sich. „Die Studiobosse haben nichts gegen künstlerische Filme“, sagt Sirk. „Nur gegen Kunst haben sie etwas – die sei für verrückte Maler.“ Der Produzent Albert Zugsmith sagt zu ihm nur: „Lass sie weinen! Bitte!“ Eine Forderung, die er übererfüllen sollte. Sirk hatte keine Hemmungen, selbst Groschenroman-Vorlagen zu verarbeiten, solange er es mit Stil tun konnte. Und gerade in den ersten Jahren dreht er auch Propagandafilme und Komödien. „Lausige Filme“, wie er selbst sagt. „Aber sie halfen mir, meinen Plan zu verwirklichen.“ Und der war das große Melodram, mit Stil, Kunstfertigkeit und zum Teil subversiven Botschaften.

In seinem ersten Hollywood-Jahrzehnt hat er es aber schwer. 1942 unterschreibt er einen Vertrag als Drehbuchautor beim berüchtigten Harry Cohn – der ist Boss von Columbia und der meistgehasste Mann Hollywoods. Er hält Benehmen für eine Krankheit und behandelt Frauen auf eine Art und Weise, die sich Harvey Weinstein wohl zum Vorbild gemacht hat. Cohn weigert sich, Sirk als Regisseur arbeiten zu lassen. Der schreibt Drehbücher, die alle im Papierkorb landen. Für immerhin 175 Dollar die Woche. „Durch Herrn Hitler und Harry Cohn habe ich zehn Jahre meines Lebens verloren“, sagt Sirk.

„Ganz Europa war voller Schuldkomplexe“

Nach diversen Bittgesuchen gestattet ihm Cohn (gegen eine Ausfallgebühr), dass er einmal jährlich für ein anderes Studio arbeiten darf. Und so dreht Sirk die Tschechow-Adaption „Summer Storm“, die bei Publikum und Kritik gut ankommt. Es folgen fünf weitere Filme, die solide Einspielergebnisse bringen, aber keine Kassenschlager werden. Und so ist Sirks Zukunft, als er 1949 endlich aus dem Vertrag rauskommt, ungewiss.

Er geht zurück nach Deutschland, findet sich aber nicht mehr zurecht. „Ich fühlte mich als total Fremder. Ganz Europa war voller Schuldkomplexe.“ Sein Urteil über die USA ist durchaus hart. „Es gibt fast keine Intellektuellen hier, dafür sehr viel Pseudodenker“, sagt er. Und außerhalb New Yorks gebe es kein ernst zu nehmendes Theater. Er genieße aber das Neue, Unverbrauchte. „Meine Frau kann im Badeanzug einkaufen gehen, und es würde niemanden stören.“ Und so kehrt er schon 1950 zurück.

Mit finanzieller Hilfe eines Freundes dreht er einen kleinen Film und kann ihn an United Artists verkaufen. Dann unterschreibt er einen Sieben-Jahres-Vertrag bei Universal – mit der Garantie, zumindest einen „A-Film“ mit hohem Budget und entsprechender Werbung drehen zu können. Es wird seine produktivste und erfolgreichste Zeit. In knapp neun Jahren dreht er 23 Filme. Es ist die Ära der großen Umbrüche in Hollywood: Das alte Studiosystem, in dem die großen Firmen Produktion und Vertrieb kontrollieren, wird gerichtlich gekippt – und das Fernsehen zur großen Konkurrenz. Das Kino reagiert mit Farbfilmen und Breitwandtechniken. Da Farbfilme aber sehr teuer sind, gibt es die schwarz-weißen noch lange parallel weiter. Auch Sirk wird nur selten Farbe gestattet.

Er arbeitet an mehreren Projekten gleichzeitig

Er arbeitet jetzt meist an mehreren Projekten gleichzeitig. Es ist Massenware, die er liefern muss, aber er tut es handwerklich exzellent und immer mit zumindest einigen Besonderheiten, die seinen Stil ausmachen. Er dreht romantische und Slapstick-Komödien, Musicals, Western und Kriegsfilme. In einem halben Dutzend spielt Harold Scherer die Hauptrolle – alias Rock Hudson. Natürlich kommt er vor allem beim weiblichen Publikum gut an – seine Homosexualität muss er verheimlichen, ein Outing hätte das sofortige Karriere-Ende bedeutet. Zum Star der ersten Reihe wird Hudson 1954, als er mit Sirk „Magnificent Obsession“ dreht.

Die Vorlage ist so schwülstig, dass sich dem Regisseur der Magen umdreht: Ein Playboy verschuldet indirekt den Tod eines Arztes, dessen Frau verliert ihr Augenlicht – und der Saulus wird zum Paulus, studiert Medizin, macht die Blinde wieder sehend und gewinnt ihr Herz. Sirk gelingt es durch mal opulente, mal kammerspielartige Bilder und die Konzentration auf die großen Emotionen die absurde Story auszugleichen. Der Film wird ein Riesenerfolg und auch das Comeback für Jane Wyman, deren Image nach diversen Scheidungen (unter anderem von Ronald Reagan) arg gelitten hatte. Beide spielen auch die Hauptrolle in „All that heaven allows“ (junger Naturbursche verliebt sich in ältere Witwe, die wie in einem Gefängnis lebt).

Sirk arbeitet in diesen Jahren wie besessen und ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens. „Written in the wind“ (eine Ölbaron-Saga, wieder mit Hudson, hier gegen die Erwartung als Außenseiter besetzt) gilt als Meisterwerk. Faßbinder schwärmt später von der surrealen Verwendung des schwirrenden Südstaatenlichts als Metapher für die unklaren Grenzen von wahr und falsch. Es folgen „Duell in den Wolken“, eine Faulkner-Adaption, die der Schriftsteller für die gelungenste aller seiner Werke hält, und 1958 Sirks persönlichster Film: „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“. Die Vorlage stammt von Remarque, es geht um einen Wehrmachtssoldaten, der trotz seiner Gewissensbisse an Partisanenerschießungen teilnimmt. Schließlich weigert er sich, tötet einen Kameraden und befreit die Gefangenen – und wird von einem der Befreiten erschossen. In diesem Film verarbeitet Sirk den Tod seines Sohnes.

Regelmäßig in der Liste der 100 besten Filme aller Zeiten

1959 folgt der letzte, finanziell erfolgreichste und am kontroversesten diskutierte Film: „Imitation of life“, ein Familiendrama vor dem Hintergrund der Rassenkonflikte. Von der Kritik zunächst geschmäht, gilt er heute vielen als sein Meisterwerk. Regelmäßig wird er in die Liste der 100 besten Filme aller Zeiten gewählt. Dass es Sirks letzter Film werden würde, konnte niemand ahnen. Zwar hat er seinen Vertrag nicht verlängert, um eine Auszeit zu nehmen, doch es sollte eine schöpferische Pause werden – auch um sich gesundheitlich zu erholen. Ein Kreislaufkollaps 1958 hatte deutlich gemacht, dass Sirk Raubbau betrieben hat. Das Ehepaar geht nach Europa, wo es im Tessin ein kleines Haus besitzt.

Sirk erholt sich nur langsam. Und er begreift, dass sein Körper nicht zufällig rebelliert – er sträubt sich gegen eine Rückkehr in das enge Studiosystem. Der Regisseur ist erfolgreich, beliebt, aber eben auch ein Gefangener mit wenig Einfluss. Er beschließt in Europa zu bleiben. Und obwohl es viele Projekte gibt, er Drehbücher schreibt (auch einen Roman), zieht er sich zurück. Nur eher sporadisch führt er Regie am Theater – 1969 endlich auch wieder in Hamburg. Unter seinem Geburtsnamen inszeniert er das Tennessee-Williams-Stück „Königreich auf Erden“ am Thalia. Johannes Jacobi verreißt das Stück in der „Zeit“, lobt aber Sierck gönnerhaft als zur „Spitzengruppe der großen alten Herren“ gehörig. Sirk bleibt mit seiner Frau in der Schweiz, wo sie immer zurückgezogener leben. Am 14. Januar 1987 stirbt er 89-jährig. Seine Witwe geht nach Israel und stirbt dort ein Jahr später.

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Sein eigenes Schaffen hatte Sirk oft kommentiert. „Ich drehe keine moralischen Filme, ich drehe Filme über die Moral der Menschen.“ Alle Menschen seien Gefangene, ob in der Ehe, im Zuhause, in der Gesellschaftsschicht. „Manche versuchen auszubrechen, aber die meisten wollen hinein – ohne zu wissen, dass es ein Gefängnis ist.“ Und so hat selbst das Happy End bei ihm immer einen Widerhaken. „Jedes Filmende ist pessimistisch, auch die glücklichen.“

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