Hamburg. Sie leisteten Bedeutendes und ihr Leben war mit Hamburg verbunden. In unserer Serie erzählen wir ihre Geschichten.
Das Zeugnis, das ihm das Königliche Christianeum in Altona am 1. April 1882 ausstellte, dürfte kaum Anlass zu besonderer Freude gewesen sein. Während er in Religion, Deutsch, Geografie und Turnen noch mit genügend benotet wurde, erreichte der Schüler in Latein, Griechisch und Französisch „nicht völlig genügend“, Englisch hatte er gar nicht belegt. Die beste Note bekam der am 14. April 1868 in Hamburg geborene Gutsbesitzersohn Peter Behrens in Zeichnen, worin ihm das Christianeum immerhin gute Leistungen bescheinigte. Fünf Jahre, von Herbst 1877 bis Ostern 1882, hatte er das renommierte Altonaer Gymnasium besucht, das er nun nach der Quarta, also in der Jahrgangsstufe 7, wieder verließ. Was sollte nun aus dem knapp 14-Jährigen werden, der offenbar nur wenig begabt und strebsam zu sein schien? An eine akademische Karriere war jedenfalls nicht zu denken.
Im Haus der Eltern in Hamburg-Borgfelde zog sich der Jugendliche häufig zurück, um zu zeichnen. 1886 schickten ihn die Eltern schließlich auf die Hamburger Gewerbeschule, vielleicht würde er ja dort etwas Ordentliches lernen, mit dem er später seinen Lebensunterhalt verdienen könnte.
Dass dieser Peter Behrens später einer der bedeutendsten deutschen Architekten und Designer des frühen 20. Jahrhunderts werden und mit der Erfindung des Corporate Designs sogar Weltruhm erlangen würde, daran war in seiner Kindheit und frühen Jugend nicht zu denken. Aber immerhin, Zeichnen und Malen konnte er ziemlich gut, vielleicht war ja eine künstlerische Ausbildung das Richtige für ihn. 1888 verließ er seine Geburts- und Heimatstadt und wechselte nach Karlsruhe. Hier und später auch in Düsseldorf und München studierte er an den Akademien Malerei und schloss das Studium 1891 auch ab.
Mitbegründer der Münchner Sezession
Zwei Jahre später gehörte er zu den Mitbegründern der Münchner Sezession. Als junger Künstler griff er viele Anregungen auf, malte zunächst impressionistisch und naturalistisch, interessierte sich aber zunehmend für ornamentale Gestaltungen. Die fließenden Linien und floralen Formen des Jugendstils interessierten Behrens, der sich nicht nur mit Malerei, sondern zunehmend auch mit Grafik beschäftigte. Vor allem im Holzschnitt wurden seine Formen immer geometrischer, ornamentaler und auch abstrakter. In dieser Zeit begann er sich auch mit dem Buchdruck zu beschäftigen und Schrifttypen zu entwickeln.
Außerdem interessierte er sich mehr und mehr für angewandte Kunst. Das Kunstgewerbe, besonders die anspruchsvolle Gestaltung von Gebrauchsgegenständen und Möbeln, gewann um die Jahrhundertwende immer mehr an Gewicht. Behrens, der sich nun auch mit der Gestaltung von industriell hergestellten Produkten befasste, gehörte 1897 zu den Mitbegründern der Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk. Von nun an schuf er auch Werke aus Materialien wie Glas und Porzellan.
Nachdem er 1899 geheiratet hatte, nahm er das Angebot an, in die von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen gegründete Darmstädter Künstlerkolonie zu ziehen. Die Idee des kunstinteressierten Großherzogs, Künstlern aus verschiedenen Bereichen eine Arbeits- und Wohngemeinschaft zu bieten, die die Chance zur gegenseitigen Anregung eröffnete, passte dem vielseitig interessierten Behrens bestens ins Konzept. Besonders reizvoll erschien ihm dabei die Möglichkeit, sich auch in anderen künstlerischen Sparten auszuprobieren, vor allem im Bereich der Architektur.
Schon damals ein Star
Aber kann man ohne Architekturstudium Häuser bauen? Für Peter Behrens war das keine Frage, er tat es einfach. Das von ihm entworfene und 1901 erbaute Wohn- und Atelierhaus auf der Darmstädter Mathildenhöhe machte Furore, vor allem weil es als Gesamtkunstwerk geplant war. Nicht nur die äußere Architektur, sondern auch die Inneneinrichtungen bis hin zu den Türklinken waren Teil des Entwurfs, der damals geradezu revolutionär anmutete. Aber nicht jedem gefiel dieser moderne Ansatz, so sprach sich der einflussreiche Architekt Joseph Maria Olbrich gegen Behrens aus. Statt sich auf eine lange Kontroverse einzulassen, verließ dieser die Darmstädter Künstlerkolonie und wurde 1903 Direktor der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule.
Dass der 34-jährige Hamburger schon damals als Star galt, lässt sich an seinem Einstiegsgehalt ablesen. Mit 6600 Goldmark im Jahr lag es weit über dem, was seine meisten Kollegen verdienten. Aber vielleicht betrachtete Behrens die hohe Bezahlung auch ein wenig als Schmerzensgeld angesichts der schwierigen Lage, in der sich die Schule damals befand. Denn den Ton gaben andere an, nämlich die Professoren der renommierten Kunstakademie, die für die modernen Ideen des Kunstgewerbeschul-Chefs kaum Verständnis aufbrachten.
Peter Behrens wusste den Zeitgeist an seiner Seite
Dabei sollte es nicht bleiben, denn Peter Behrens wusste, dass der künstlerische Zeitgeist auf seiner Seite war. Also reformierte er seine Schule erst einmal gründlich und machte mit Gartengestaltungen für die 1904 in Düsseldorf veranstaltete Große Gartenbau-Ausstellung Furore. Die Verbindung von zeitgenössischer Kunst mit der Anlage von öffentlichen Gärten lag ganz im Trend der sogenannten Reformbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts viele Bereiche der Gesellschaft zu prägen begann.
Von Düsseldorf nach Hagen sind es etwa 70 Kilometer, eine Strecke, die Behrens nun häufiger zurücklegte. In der westfälischen Industriestadt traf er sich mit Karl Ernst Osthaus, dem Direktor des dortigen „Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe“. Osthaus und Behrens lagen auf einer Wellenlänge und hatten dieselben Vorstellungen von moderner industrieller Formgestaltung. Und Osthaus verhalf seinem Düsseldorfer Freund dazu, diese auch in die Tat umsetzen zu können. Durch seine Vermittlung erhielt er nun Aufträge der Firma Hagener Textilindustrie Gebr. Elbers, für die er zahlreiche Produkte entwarf.
Zusammenarbeit mit der Delmenhorster Linoleumfabrik
Vielleicht noch wichtiger war die Zusammenarbeit mit der Delmenhorster Linoleumfabrik, denn im Vorfeld der 1905 stattfindenden Landesausstellung in Oldenburg entwarf er erstmals etwas, was wir heute als Corporate Design bezeichnen würden: Für den Anker-Linoleum-Pavillon entwarf er nicht nur die Architektur, sondern außerdem Logos, Briefbögen, Plakate und die Gestaltung von Broschüren. Alles wirkte wie aus einem Guss. Verstärkt beschäftigte sich Behrens nun wieder mit Schriften und entwickelte gleich mehrere neue Typen: die Behrens-Fraktur, die Behrens-Kursiv und die Behrens-Antiqua.
Wer ihn in Düsseldorf sprechen wollte, hatte häufig Pech, denn der Rektor war oft nicht vor Ort, sondern irgendwo in Europa unterwegs, um die neuesten Entwicklungen im Bereich von Kunst und Design kennenzulernen. Er reiste u. a. nach Amsterdam, Den Haag, Karlsruhe, London, München, Dresden, Berlin und Hamburg; für den Zeitraum von März 1903 bis August 1907 sind in den Hochschulakten 72 Dienstreisen verzeichnet. Unter diesen Umständen war es ihm kaum möglich, seinen Unterrichtsverpflichtungen nachzukommen. 1907 zog er die Konsequenz, verließ Düsseldorf und siedelte sich in Berlin als selbstständiger Architekt an.
Wenn er Aufträge annahm, umfassten diese nicht nur die äußere, sondern auch die innere Gestaltung von Gebäuden. Und anders als klassische Architekten entwarf er nicht nur Häuser, sondern auch Werbeprospekte, Plakate und Haushaltsgeräte. Schon im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts arbeitete Peter Behrens wie ein moderner Produktdesigner. Als Glücksfall erwies sich der Kontakt zur Firma AEG, die ihn im Juli 1907 in ihren „Künstlerischen Beirat“ berief. In dieser Funktion verpasste er der AEG in den folgenden Jahren ein völlig neues, genial aufeinander abgestimmtes Erscheinungsbild, indem er einfach alles lieferte: vom (bis heutige gültigen) Firmenlogo über die Fabrikgebäude, Briefköpfe bis hin zur Gestaltung von Produkten wie dem berühmten elektrischen Tee- und Wasserkessel von 1909.
Seine Hamburger Sport- und Kongresshalle wurde nie gebaut
Das Atelier, das Behrens in Potsdam-Babelsberg betrieb, zog schon bald kreative Künstler an, die hier arbeiten wollten: Walter Gropius, Ludwig Mies van de Rohe und Jean Krämer gehörten ebenso dazu wie Charles-Edouard Jeanneret-Gris, der später unter seinem Künstlernamen weltberühmt werden sollte: Seit 1917 nannte er sich nämlich Le Corbusier.
Eines der interessantesten Projekte realisierte Behrens 1911, als er im Auftrag des Auswärtigen Amtes die deutsche Botschaft in St. Petersburg baute, eine monumentale Architektur, die im Stadtzentrum unweit der Newa gleich neben der Isaaks-Kathedrale steht. Der neoklassizistische Bau gefiel weder Kaiser Wilhelm II. noch Zar Nikolaus, dafür aber Hitler und Stalin. Architekturkritiker aus Russland und Frankreich bezeichneten das Gebäude als „teutonisch“.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg entwickelte Behrens Verfahren für kostengünstiges Bauen bei städtebaulichen Wohnprojekten. Seine 1918 veröffentliche Schrift „Vom sparsamen Bauen“ wurde stark beachtet. Immer klarer und funktionaler wurden seine Entwürfe für Industrieprojekte und städtebaulicher Entwürfe. Ensembles wie das 1925 entstandene Verwaltungsgebäude der Hoechst AG in Frankfurt lassen schon Einflüsse des Neuen Bauens erkennen.
Für seine Heimatstadt entwarf Peter Behrens 1919 die Arbeiter- und Werkmeistersiedlung der Deutschen Werft AG auf Finkenwerder. Das 1934 entstandene Projekt einer Sport- und Kongresshalle für Hamburg wurde nicht mehr verwirklicht. Als Peter Behrens am 27. Februar 1940 71-jährig in Berlin starb, war er längst in die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen. Bis heute gilt der einst so mittelmäßige Schüler des Altonaer Christianeums als Pionier des modernen Industriedesigns. Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe sind einige wichtige von ihm entworfene Objekte zu sehen, zum Beispiel der 1912 für die AEG entworfene Tischventilator. Außerdem zeigt dort ein ganzer Raum beispielhaft, mit welch hohem künstlerischen Anspruch sich Peter Behrens der industriellen Form gewidmet hat. Viele seiner Werke sind längst zu Designklassikern geworden.
Nächste Folge: Douglas Sirk