Hamburg. Ein Netzwerk will in Eimsbüttel erreichen, dass alte Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden wohnen bleiben können.
Als die damalige Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) das Projekt mit dem einprägsamen Titel „Paul“ im November 2017 im Albertinen-Haus in Schnelsen vorstellte, war Corona für die meisten nur eine Biermarke. Gut zweieinhalb Jahre später bewegt die Menschheit kaum etwas mehr als die Pandemie – und „Paul“ erfährt geradezu beängstigende Aktualität.
Denn „Paul“ – die Abkürzung steht für „Persönlicher Assistent für unterstütztes Leben“ – soll Kontakte abseits persönlicher Treffen möglich machen, vor allem dank Video-Telefonie. Das Albertinen-Haus, eines der renommiertesten deutschen Geriatrie-Zentren, suchte mit Krankenkassen über das Netzwerk „Gesund aktiv“ rund 1000 ältere Menschen, die auf Sicht Unterstützung im Alltag benötigen. Teilnehmer erhielten einen einfach zu bedienenden Tablet-PC, um E-Mails zu schreiben, Lebensmittel zu bestellen oder über Video-Plattformen zu telefonieren. Mit dem Projekt will das Netzwerk Senioren das Leben in den eigenen vier Wänden erleichtern – auch wenn sie mittelfristig pflegebedürftig werden.
Hakeliger Start
Als „Paul“ nach einem hakeligen Start – besonders der Datenschutz erwies sich als Hürde – in die Gänge kam, konnte niemand ahnen, wie wichtig gerade Video-Sprechstunden mit Ärzten noch werden würden. Durch Corona hatten Anbieter dieser Plattformen Wachstumsraten von 1000 Prozent. „Die Pandemie hat gezeigt, wie nützlich Telemedizin sein kann. Patienten müssen nicht mehr ihr Zuhause verlassen, um mit dem Arzt ihres Vertrauens zu sprechen“, sagt der frühere UKE-Chef Prof. Jörg Debatin, als Leiter des Health Innovation Hub engster Berater von Gesundheitsminister Jens Spahn für die digitale Revolution des Gesundheitswesens.
Ingrid Gruber (82) nutzt „Paul“ mit wachsender Begeisterung. Regelmäßig konsultiert sie ihren Hausarzt Dr. Lars Wolfram über Video. Durch ihr Alter und nach zwei Schlaganfällen gehört die Rentnerin zur Risikogruppe, deshalb ist sie heilfroh, dass sie ihre Praxis derzeit auch virtuell besuchen kann.
„Als Hausarzt werde ich automatisch mit einem virtuellen Wartezimmer verbunden, in das sich meine Patienten über einen Button auf ihrem Tablet-PC eingewählt haben. Dort können sie auf einen Blick sehen, wie viele vor ihnen im Wartezimmer sind. Als Arzt sehe ich das auch und kann meine Patienten dann der Reihe nach anrufen“, sagt Wolfram, Mediziner in der Praxisgemeinschaft Oldesloher Straße. Der Facharzt für Allgemeinmedizin absolvierte einen Teil seiner Ausbildung in der Geriatrie im Albertinen-Haus. Er sieht auch in Pflegeheimen gute Chancen für das Projekt: „Insbesondere bei akuten Anliegen könnte man sich mit einem Tablet im Heim mit dem jeweiligen Patienten vernetzen. Das spart Fahrtzeiten, und man kann flexibler und schneller auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen.“
Experten halten die Systeme für sicherer als den klassischen Hausnotruf
„Paul“ kann allerdings noch mehr. Ingrid Gruber etwa hat das System mit Bewegungsmeldern aufrüsten lassen. Zur Nachtruhe um 22 Uhr schaltet sie die Sensoren ab. Tagsüber würde „Paul“ eine lange Phase der Inaktivität registrieren – und um eine Rückmeldung auf dem Tablet bitten. Reagiert der Bewohner nicht, wird die Zentrale der Johanniter alarmiert, die ebenfalls an dem Projekt beteiligt sind. Experten halten diese Systeme für sicherer als den klassischen Hausnotruf. Studien zeigen, dass viele alleinlebende alte Menschen in einer Notsituation über den Hausnotruf keinen Alarm schlagen konnten – sie hatten die Halskette oder das Armband mit dem Notruf-Knopf nicht um, oder die Verletzung war nach einem Sturz zu schwer.
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Finanziert wird das Projekt mit maximal 8,9 Millionen Euro über vier Jahre aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses. Wenn die Förderung 2021 ausläuft, hoffen die Projektpartner, dass „Paul“ dennoch eine Zukunft hat. SPD und Grüne haben sich im neuen Koalitionsvertrag für eine Verstetigung ausgesprochen. In Gesprächen mit Krankenkassen will der Senat erreichen, dass „Paul“ auch in anderen Bezirken angeboten wird. „Die Teilnehmerbefragung zeigt uns, dass das Projekt sehr positiv aufgenommen wird“, sagt Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg.