Hamburg. Er betreute Serge Gnabry, HSV-Profi Jonathan Tah war sein krassester Fall. Jetzt will der Hamburger Spieleragent richtig durchstarten.

Ein bisschen trommeln wird ja wohl erlaubt sein. Im Fußball sowieso. Da darf man auch gerne so richtig auf die Pauke hauen. „Neuer Big Player am Beratermarkt“, stand vor knapp einem Monat über einer Pressemitteilung, die mutmaßlich Großes ankündigte. „Die international erfahrenen Spielerberater Akeem Adewunmi, Florian Groll und Samy Wagner haben sich zu einem Unternehmen zusammengeschlossen“, hieß es in dem PR-Text, bei dem nur der Trommelwirbel fehlte.

Und überhaupt: Warum kleckern, wenn man klotzen kann? „Gemeinsam wollen sie als Sports eXcellence Group den Fußball-Markt erobern“, stand da – und wurde auch dankbar aufgenommen. „Hamburg wird zur Hauptstadt der Spielerberater“, titelte die „Mopo“. Die „Bild“ schrieb: „Berater-Trio will Transfermarkt erobern.“

Adewunmi ist seit 17 Jahren Spielerberater

Ein paar Tage später sitzt Eroberer Akeem Adewunmi vor der Moraba im Schanzenviertel – und wirkt so gar nicht wie ein echter Konquistador. Adewunmi bestellt sich ein Rührei auf Brot und einen frisch gepressten Saft mit Minze. Der 43-Jährige ist ein ruhiger Mann, reflektiert, durchdacht. „Viele wollen in dem Bereich Fuß fassen, nur die wenigsten schaffen es“, sagt er.

Adewunmi ist seit 17 Jahren als Spielerberater „in diesem Bereich“. Ob der frühere Amateurkicker als Agent Fuß gefasst hat oder nicht, ist relativ. „Ich arbeite gerne unter dem Radar“, sagt er. Wohl wissend, dass er nach dem Zusammenschluss mit seinen Kollegen Groll und Wagner ab sofort auf dem Radar ist. Das gemeinsame Ziel ist klar umrissen: Adewunmi und Co. wollen von nun an im großen Konzert der Berater mitspielen. Nicht die Triangel, sondern die erste Geige soll es sein. Mindestens.

In der Susannenstraße  geht Akeem Adewunmi  gerne frühstücken.
In der Susannenstraße geht Akeem Adewunmi gerne frühstücken. © HA | Roland Magunia

Das Bundesliga-Konzert ist lukrativ. Gerade erst hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) in ihrem Finanzreport der Saison 2018/19 veröffentlicht, dass die 18 Bundesligaclubs zusammen 204,5 Millionen Euro für Spielerberater ausgegeben haben. Alleine Borussia Dortmund hat Agenten in dieser bilanzierten Saison 44,5 Millionen Euro bezahlt. Und auch in der Zweiten Liga kann man gut verdienen. Der HSV hat 3,31 Millionen Euro für Berater ausgegeben, der FC St. Pauli immerhin 621.000 Euro. Und die Corona-Krise? Egal! Die Spielzeit ist nun beendet, aber die Saison der Transfers, des Geschachers und des Feilschens geht jetzt wieder so richtig los. Zwei Dinge stehen allerdings nicht in dem DFL-Report. Erstens: welcher Berater genau wie viel verdient. Und zweitens: wie umkämpft jeder einzelne Berater-Euro ist.

Adewunmi durchlief alle Höhen und Tiefen

„Es ist ein konkurrenzgetriebenes Geschäft“, sagt Adewunmi, der alle Höhen und Tiefen dieses Geschäfts bereits mitgemacht hat. Der gebürtige Hamburger hat viel Geld verdient, Topstars wie Serge Gnabry und Jonathan Tah betreut. Aber er hat auch Enttäuschungen erlebt und wurde gelinkt. „Natürlich gibt es das Vorurteil, dass Berater zu viel Geld verdienen. Ich wünsche mir aber eine differenzierte Sichtweise“, sagt Adewunmi – und erzählt seine Geschichte. Es ist eine Geschichte, die man eigentlich dreimal beginnen müsste. Beginn Nummer eins: Adewunmis Start als Spielerberater.

„Guy war das erste Lehrgeld, das ich zahlen musste“, sagt Adewunmi – und erinnert sich an seine erste Verhandlung mit dem HSV 2005. Damals habe er Guy Demel, den er über seinen besten Freund Otto Addo kannte, von Borussia Dortmund zum HSV vermitteln wollen. Zwei Jahre lang hatte der damals Mittzwanziger den Deal vorbereitet – um am Ende vom erfahrenen Spielerberater Thomas Kroth ausgebootet zu werden. Es war das erste Mal, dass man ihn ausgetrickst hatte. Aber nicht das letzte Mal. „Es gibt wenige Protagonisten, die richtig loyal sind und zu ihrem Wort stehen“, sagt Adewunmi 15 Jahre später.

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Beginn Nummer zwei: Um zu verstehen, warum Adewunmi trotz zahlreicher Rückschläge immer weitergemacht hat, muss man vielleicht noch ein paar Jahre in seine Zeit als Spieler zurückspulen. Er war ein talentierter Stürmer, hatte ein gutes Gespür für Raum, Zeit und den Ball. Doch er hatte ein großes Pro­blem – oder besser: zwei große Probleme. Seine Knie. Dreimal riss das Kreuzband, siebenmal wurde er operiert. Über die Regionalliga Nord (FC St. Pauli II, Holstein Kiel) kam er nicht hinaus. 2004, mit erst 27 Jahren, war es vorbei mit dem aktiven Fußball. „Rückschläge treiben mich an“, sagt er heute.

"Neger"-Rufe vor Spiel mit St. Pauli

Das wird auch bei Beginn Nummer drei seiner Geschichte deutlich. Adewunmis Vater ist Nigerianer, die Mutter ist Deutsche. Und er selbst? In Hamburg geboren – aber mit Migrationshintergrund, wie es so schön heißt. „Ich kenne alle Probleme, die man hier als Mensch mit einer anderen Hautfarbe haben kann“, sagt er. Als Kind wurde er direkt nach der Wende bei einem Schulausflug von einem braunen Mob durch Dresden gejagt, als Fußballer später beschimpft und beleidigt, als Berater nicht ernst genommen. Als er bei einem Spiel mit der zweiten Mannschaft von St. Pauli in Neumünster aus dem Mannschaftsbus stieg, wurden er und zwei weitere farbige Mannschaftskollegen von den dortigen Fans bereits erwartet. „Hängt die Neger auf“, wurde lautstark gesungen.

Die beiden Beispiele sind lange her. Aktuell seien sie aber trotzdem. „Natürlich gibt es einen unterschwelligen Rassismus in Deutschland. Der ist allgegenwärtig“, sagt der Familienvater aus Glinde, der am Tag zuvor mit seiner 16-jährigen Tochter auf der großen Anti-Rassismus-Demonstration in der Innenstadt war. Seine Biografie ist für ihn auch Verpflichtung. „Ich bin auch ein Stück weit stolz darauf, dass ich mir als Berater mit Migrationshintergrund über die Jahre einen gewissen Stellenwert erarbeitet habe“, sagt er. Einen anderen farbigen Berater, den die immer noch sehr weiße Branche Profifußball wirklich ernst nehmen würde, kenne er leider nicht.

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Der Rassismus, sein Verletzungspech, der steinige Berater-Weg. Alle drei Beginne hätten auch andere Lebensgeschichten folgen lassen können. „Ich bin ein Typ, der immer aufsteht“, sagt Adewunmi, der keine Lust auf die Opferrolle hat. Der frühere Fußballer studierte Sport, absolvierte eine Ausbildung als Werbekaufmann und hospitierte bei Vermarktungs- und Berateragenturen. „Ich bin damals den unkonventionellen Weg gegangen“, sagt er heute stolz.

HSV-Profi Tah war sein krassester Fall

Wahrscheinlich ist sein Lebensweg auch sein größter Trumpf im schwierigen Werben um die großen Talente. „Ich wollte den Talenten die Möglichkeit geben, die ich damals nicht hatte“, sagt er ein wenig pathetisch. „Natürlich habe ich auch einen Geschäftssinn, aber mein Antrieb ist, dass ich den Jungs helfen will, dass ich sie besser machen will.“

Zunächst einmal musste Adewunmi aber selbst ganz schön einstecken. „Ich musste lernen, dass mein Anspruch an Charakter und Persönlichkeit zu hoch war“, sagt er ganz offen. Sein krassester Fall: Vier Jahre lang betreute er Supertalent Jonathan Tah beim HSV, kniete sich rein, war Tag und Nacht für ihn da. Als andere Clubs Begehrlichkeiten anmeldeten, kam es zur Schlammschlacht. Tahs Vater witterte ein Geschäft, wollte Adewunmi rausdrängen und verschickte unter falscher Identität Vertragsentwürfe an die Medien – auch ans Abendblatt.

Das Ende vom Lied: Blut ist dicker als Wasser. Tah hielt zu seinem Vater, obwohl ganz Fußball-Deutschland über dessen Praktiken die Köpfe schüttelte. Kurze Zeit später wechselte Tah für 7,5 Millionen Euro nach Leverkusen und hat laut dem Fachportal „transfermarkt.de“ mittlerweile einen Marktwert von knapp 30 Millionen Euro. Adewunmi erhielt zwar im Nachhinein eine Transferbeteiligung, doch ein fader Nachgeschmack blieb. „Tah war einerseits einer meiner größten wirtschaftlichen Erfolge, trotzdem war es auch eine meiner bittersten Erfahrungen“, sagt er heute.

Adewunmi wurde bei Serge Gnabry ausgebremst

Und es sollte nicht die einzige bleiben. Adewunmi betreute auch den heutigen Bayernstar Serge Gnabry über viele Jahre, wurde aber unmittelbar vor Olympia 2016 ausgebremst. Ausgerechnet in Rio de Janeiro wurde aus dem Talent dann ein Superstar, der nach sechs Turniertoren und der Silbermedaille zum Spieler des Turniers gewählt wurde. Trotz Corona-Krise hat Gnabry heute einen Marktwert von 72 Millionen Euro.

„Ich hatte immer Freude dran, wenn junge Spieler von mir den Sprung in den Profibereich geschafft hatten“, sagt Adewunmi, der anders als bei Tah den Fall Gnabry sportlich sieht. Mal gewinnt man, mal verliert man. Er freue sich sehr über die Entwicklung des Senkrechtstarters, habe noch immer Kontakt.

Andersrum lief es bei Gnabrys Olympiakollegen Davie Selke. Der hatte nach intensiven Bemühungen Adewunmi schon abgesagt, überlegte es sich aber doch anders und ist nun einer seiner wertvollsten Aktien im Portfolio. „Mein Musterbeispiel für den Übergangs- und etablierten Profibereich“, sagt Adewunmi, der Selke bereits nach Bremen, Berlin und Leipzig vermittelte.

Bei solchen Summen kann einem schwindelig werden

Anders als früher würde man als Berater aber nicht mehr Unsummen bei jedem Wechsel verdienen. In der Theorie soll jeder Agent „nur“ noch rund zehn Prozent vom Bruttojahresgehalt des Spielers als fortlaufendes Honorar vom Verein bekommen. In der Praxis gaben die Bundesligaclubs im vergangenen Jahr dann doch wieder mehr als 200 Millionen Euro aus. Aufsteiger VfB Stuttgart gab 13 Millionen für Berater aus. Das ist mehr als der Spieleretat von Zweitligameister Arminia Bielefeld.

Bei solchen Summen kann einem schwindelig werden. Oder man will auch im Konzert der Großen dabei sein. Bei den Volker Struths, Roger Wittmanns und Mino Raiolas dieser Fußballwelt.

Adewunmi bestellt sich in der Moraba einen zweiten Saft. Er kennt all die Vorurteile, die es rund um die Branchenriesen gibt. Einerseits will er anders sein. Andererseits wollen er und seine neuen Kollegen endlich mittendrin statt nur dabei sein. „Viele Eltern von Spielern können nicht mehr einordnen, was ein Berater tatsächlich mitbringen sollte“, sagt er. „Viele Berater können sich gut darstellen, ohne dass Erfahrung und das richtige Know-how dahinterstecken.“ Jetzt spricht Adewunmi über seine neue Firma. Über Eins-zu-Eins-Management, Neuroathletiktraining und Yoga. Er glaubt an das, was er sagt. Und die Frage ist, ob er und seine Mitstreiter tatsächlich die Kraft haben, das versaute Geschäft zu verändern. Oder ob das Geschäft am Ende doch sie verändert.

Junge Talente müssen Bücher lesen

Als nach rund 90 Minuten das Gespräch vorbei ist, erzählt Adewunmi fast noch beiläufig von einem talentierten Fußballer, den er in Mönchengladbach betreue. Fußballerisch sei der top, sagt Adewunmi. Doch begeistert wird er erst, als er vom Rest erzählt. Der Junge sei wie er, farbig, mit Migrationshintergrund. Er könne es als Profi schaffen, sagt Adewunmi. Aber als Heranwachsender habe er es bereits geschafft. Er habe einen Notenschnitt von 1,2, mache trotz des intensiven Trainings nächstes Jahr Abitur. „Wir haben ihm als Aufgabe gegeben, jeden Monat mindestens ein Buch zu lesen“, sagt Adewunmi. „Und er verschlingt die Bücher.“ Darauf sei er stolz.

Ob man mit derartigen Gedanken tatsächlich die Fußballwelt erobert, muss sich noch zeigen. Einen Versuch ist es aber sicherlich wert.