Hamburg. Der Angeklagte soll Matheus A. zuvor unter Drogen gesetzt haben. Der Prozess befördere womöglich „grausame Dinge zu Tage“.
Monatelang hatte die Familie gehofft und gebangt. Monate hatte sie sich an den verzweifelten Wunsch geklammert, dass Matheus A. doch noch lebt, dass es ihm gut geht. Dass der 29-Jährige, obwohl es lange kein Lebenszeichen von ihm gegeben hatte, trotzdem hoffentlich wohlauf ist. Dann schließlich kam für die Schwester und die Mutter des jungen Brasilianers die entsetzliche Gewissheit: Er ist tot, schon seit Langem. Rund vier Monate hatte der Leichnam des Informatikers in einer Wohnung in der Hamburger Innenstadt gelegen.
Ist der Mieter dieser Wohnung ein Mörder? Hat dieser Mann, der gebürtige Italiener Marco T., den Brasilianer in sein Zuhause gelockt und ihn nach dem vergeblichen Versuch, ihn sexuell zu missbrauchen, getötet? Diese Fragen sollen jetzt in einem Prozess vor dem Schwurgericht geklärt werden, wo sich der Angeklagte Marco T. verantworten muss.
Das Gesicht hinter einem tief in die Stirn gezogenen Käppi und einer Corona-Maske verborgen, harrt der 46-Jährige reglos aus, bis Fotografen und ein Kamerateam den Saal verlassen haben. Die Verlesung der Anklage verfolgt der kräftige Mann mit starrer Miene. Sein Mandant werde keine Angaben zu den Vorwürfen machen, erklärt der Verteidiger von Marco T.
Marco T. wird Mord und Vergewaltigung vorgeworfen
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten unter anderem Mord, Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung vor. Demnach hat Marco T. den jungen Brasilianer, den er zuvor auf einer Feier kennengelernt hat, am 21. September vergangenen Jahres unter dem Vorwand in seine Wohnung gelockt, man werde von dort aus zu einer weiteren Veranstaltung weiterziehen. Im Schutz seiner vier Wände soll Marco T. seinem Gast dann eine potentiell tödliche Dosis von Ecstasy und Amphetaminen verabreicht haben, die er heimlich in ein Getränk gemischt habe.
Dann, so die Anklage, hat der 46-Jährige den betäubten Mann auf sein Bett geschafft, um sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Das Opfer habe sich jedoch trotz seiner massiven Benommenheit gewehrt und laut um Hilfe geschrien. „Aus Angst vor Entdeckung“, so die Vorwürfe weiter, habe der 46-Jährige das Opfer zum Schweigen bringen wollen und mit erheblicher Gewalt auf dessen Mund und Hals eingewirkt – so massiv, dass der 29-Jährige starb.
Den Leichnam muss der Wohnungsinhaber über Monate in seiner Wohnung in Hamburg-Neustadt verborgen haben. Erst im Januar wurde der Tote dort entdeckt. Das Entsetzen der Nachbarn in dem Mehrfamilienhaus, die ohne ihr Wissen quasi Wand an Wand mit einem Leichnam gelebt hatten, war groß, als der Fund bekannt wurde.
Brasilianer Matheus A. war seit September vermisst worden
Vermisst wurde Matheus A. seit der Feier und nachdem der Informatiker am 23. September 2019 nicht mehr zur Arbeit erschienen war. Als der 29-Jährige dann im Oktober eine lange geplante Reise in sein Heimatland nicht antrat, wurde der Verdacht, er könnte einer Straftat zum Opfer gefallen sein, größer. Später suchte die Hamburger Polizei mit einer Öffentlichkeitsfahndung nach dem Vermissten, auch Taucher waren im Einsatz.
Schließlich bekam die Polizei einen Hinweis, der am 20. Januar dieses Jahres zu einer Durchsuchung der Erdgeschoss-Wohnung des nun verdächtigen Marco T. führte. Dort wurde in einem Zimmer ein stark verwester Leichnam gefunden. Die Befürchtung, es handele sich um den vermissten Matheus A., wurde wenige Tage später Gewissheit, als der Tote identifiziert wurde. „Wut, Angst, Schmerz“, hieß es wenig später bei Facebook. So brachten Angehörige und Freunde des Opfers ihre Trauer und ihre Bestürzung zum Ausdruck. Was genau die Todesursache des Brasilianers war, konnte nicht mehr festgestellt werden. Dazu war der Leichnam, als er aufgefunden wurde, zu stark verwest.
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Den Angehörigen steht ein schmerzhafter Prozess bevor
Die Familie des Opfers sei seinerzeit „geschockt gewesen“ über den Leichenfund, sagte Rechtsanwalt Dennis Grünert, der die Angehörigen vertritt, am Rande des Prozesses. Mit der Entdeckung des Toten seien für die Schwester und die Mutter von Matheus A. „alle Hoffnungen" gestorben, den Bruder beziehungsweise den Sohn „nochmal lebend in die Arme zu schließen“. Sie hofften, dass der Prozess Klarheit bringe, was genau geschehen ist. Die Angehörigen seien sich auch bewusst, dass in der Beweisaufnahme "möglicherweise grausame Dinge zu Tage gefördert“ würden.
In Hamburg sei der 29-Jährige bei Freunden und bei seinem Arbeitgeber als zuverlässiger, strebsamer Mann bekannt gewesen, sagte der Anwalt. Zur Darstellung des Angeklagten in einer früheren Vernehmung bei der Polizei, das Opfer habe selber Drogen konsumiert und sei wohl daran verstorben, sagte Grünert, dass Matheus A. nach Einschätzung seiner Angehörigen wohl „keine Drogen genommen hat“. Der junge Mann sei nach Deutschland gekommen, weil er in seinem Geburtsland Brasilien Erfahrungen mit Gewalt habe machen müssen, so der Anwalt weiter. „Es war die Hoffnung der Mutter, dass er hier in Frieden leben kann.“
Marco T. wird eine weitere Tat vorgeworfen
Neben einem Mord an Matheus A. wird dem Angeklagten Marco T. zudem vorgeworfen, einen anderen Mann sexuell missbraucht und verletzt zu haben. Er soll diesem weiteren Opfer, das er demnach in der Nacht zum 14. Juli 2018 kennenlernte, in seiner Wohnung heimlich K.-o.-Tropfen in das Getränk gemischt haben.
Dann habe er den bewusstlosen Mann vergewaltigt und mehrere Fotos sowie zwei Videos von dem schlafenden Opfer aufgenommen, heißt es weiter. Laut Anklage schickte er einige dieser Aufnahmen an einen Bekannten. Als dieser Bekannte dann den Kontakt zu Marco T. abbrach, so die Vorwürfe, habe der Angeklagte versucht, ihn zu einer gemeinsamen Nacht zu erpressen.
Für den Prozess sind 19 Verhandlungstage bis Ende Oktober terminiert.