Hamburg. Die Wattenmeer-Insel Scharhörn ist unbewohnt. Seit 1947 arbeiten dort im Sommer Vogelwarte. Eine Ausstellung auf Neuwerk würdigt sie.

Luxus ist auf Scharhörn ein Fremdwort – zumindest, wenn man dazu fließend Wasser zählt, eine Toilette im Haus und Einkaufsmöglichkeiten, die nicht eine Tagesreise entfernt liegen. Dafür gibt es auf der einen Quadratkilometer kleinen Insel im Nationalpark Wattenmeer Natur pur. Und einen ganzen Sommer lang nur Vögel, Schmetterlinge und ein paar Seehunde um sich zu haben – das ist für manche Menschen das Luxuriöseste, das sie sich vorstellen können.

Das trifft zum Beispiel auf die bislang rund 100 Vogelwarte zu, die seit 1947 in den Sommermonaten auf Scharhörn gelebt haben – erst in einem Pfahlbau, dann in einer Kate, heute in einem modernen Wohncontainer mit Solarzellen und einer Windmessanlage auf dem Dach.

Seit Mai ist hier Gerd Carlsson im Amt. Wie seine Vorgänger auch arbeitet er im Auftrag des Vereins Jordsand, der die Insel seit 1938 betreut. Er beobachtet und zählt Sing- und Wasservögel, hält in den Salzwiesen und Dünen nach versteckt brütenden Arten Ausschau, dokumentiert und sammelt angeschwemmten Müll, führt Besuchergruppen herum und überträgt die Daten des Tages abends in Listen. Auch die Nachbarinsel Nigehörn gehört zu seinem Einsatzgebiet, alle paar Tage ist er dort unterwegs.

Sein Tagesrhythmus wird geprägt von den Gezeiten

Sein Tagesrhythmus werde geprägt von den Gezeiten, sagt der 59-Jährige aus Cottbus, der eigentlich gelernter Gärtner ist. „Bei Hochwasser kann man die Vögel besser beobachten, weil sie dann dichter rankommen.“ Auch das Wetter spielt eine Rolle. In den letzten drei Tagen herrschte Sturm.

„Da bin ich nicht weit rumgekommen.“ Das, was Gerd Carlsson hergeführt hat, hat wohl auch die meisten Vogelwarte vor ihm bewogen, sich für den Job zu bewerben. „Ich wollte schon immer mal eine Auszeit vom Alltag nehmen. Das hier ist genau das, was ich gesucht habe: Natur pur. Und Ruhe.“

Der Wohncontainer, in dem Carlsson lebt – manchmal mit seiner Lebensgefährtin zusammen, die ihn hin und wieder besucht –, steht um einiges weiter südöstlich als die Unterkünfte seiner Vorgänger. Denn Scharhörn wandert. Die Westseite der Insel wird beständig von Wind und Wellen angeknabbert, während sich vor allem am Ostrand immer mehr Schlick und Sand ablagern.

Dadurch wächst die Insel kontinuierlich und verschiebt sich etwa 24 Meter pro Jahr nach Südosten. Ein Zeugnis dafür sind die Pfahlreste der ersten Vogelwart-Hütte, die in der Mitte der Insel stand. Sie befinden sich heute im Wasser am westlichen Strand. Mit dem Nachbar­eiland Nigehörn, das 1989 aufgeschüttet wurde, um vor allem Seeschwalben eine neue Heimat zu bieten, ist Scharhörn schon fast zusammengewachsen.

Aus den beiden Inseln, die bei der Gründung des Nationalparks Wattenmeer vor 30 Jahren zwei je etwa 0,2 Quadratkilometer große Sandbänke waren, ist heute ein 2,5 Quadratkilometer großes Vogelparadies geworden – fast so groß wie die Nachbarinsel Neuwerk, die 2,8 Quadratkilometer misst.

Skurrile Geschichten und zeitgenössische Fotos

Coronabedingt konnte Carlsson seinen Job erst am 20. Mai antreten – normalerweise sind die Vogelwarte von
April bis Oktober auf der Insel. Doch erst mit den ersten Lockerungen nach dem Corona-Lockdown war auch die Versorgung des Vogelwarts auf der nur bei Ebbe erreichbaren Insel geklärt. Seit dem 2. Juli ist auch Neuwerk unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln wieder frei zugänglich.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Damit ist auch ein Besuch der Ausstellung „Leben auf einer Vogelinsel – Scharhörn damals und heute“ möglich, die noch bis zum 31. Juli im Nationalpark-Haus gezeigt wird. Dort wird die Arbeit der Vogelwarte auf unterschiedlichste Weise dokumentiert: durch skurrile Geschichten, zeitgenössische Fotos, Tagebücher und Aquarelle – aufs Papier gebracht von Vogelwärterin Friederun Jannasch, die im Sommer 1948 mit ihrem Mann Holger auf Scharhörn lebte.

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Wie das gesamte Leben auf Neuwerk richten sich auch die Öffnungszeiten der Ausstellung nach den Gezeiten. Voraussichtlich ab August wird sie dann in die Umweltbehörde nach Hamburg-Wilhelmsburg ziehen.

Wer den Vogelwart auf Scharhörn besuchen will, kann das nach einer telefonischen Anmeldung unter 04721/285 84 oder per Mail beim Verein Jordsand (carolin.rothfuss@jordsand.de) tun. Der sieben Kilometer lange Fußmarsch von Neuwerk aus durchs Watt ist nur bei Niedrigwasser möglich. Und schon etwa eine Stunde später müssen Besucher die Insel wieder verlassen. Der Aufenthalt über eine Hochwassertide ist dort nämlich nicht gestattet.