Hamburg. Behörden prüfen mögliche Gesetzesänderungen. Bezirk Altona zeigt Interesse. Polizei wertet Verkaufsverbot als Erfolg.

Das Wochenende naht – und mit ihm die Angst der Bewohner der Schanzenviertels vor dem Wahnsinn, der sich dann wohl wieder vor ihrer Haustür abspielt: feiernde, alkoholisierte Menschenmassen, die Gehwege versperren, Unmengen von Müll hinterlassen, in die Hauseingänge pinkeln und die Anwohner durch ihr Gegröle um den Schlaf bringen. So fasst ein offener Brief des Stadtteilbeirats Sternschanze an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und die Innenbehörde die Folgen des sogenannten Cornerns zusammen.

„Sorgen Sie umgehend für ein dauerhaftes Außer-Haus-Alkoholverkaufsverbot, mindestens von Donnerstag bis Sonntag ab jeweils 20 Uhr, das sowohl Gastronomie als auch Einzelhandel umfasst“, fordern die Anwohner. Insbesondere während der Corona-Pandemie müssten Massenansammlungen umgehend aufgelöst werden – „nicht erst gegen Mitternacht“.

Nur Infektionsschutzgesetz machte Alkoholverbot möglich

Tatsächlich ist die „Eindämmungsverordnung zur Bekämpfung der Corona-Epidemie“ bisher der einzige Grund, aus dem an den beiden vergangenen Wochenenden Gastronomen und Kioskbetreibern der Außer-Haus-Alkoholausschank verboten werden konnte. „Dieser Eingriff war nur durch das Infektionsschutzgesetz gerechtfertigt“, sagt Falko Droßmann, Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, zu dem die beliebten Feierplätze Neue Pferdemarkt und Hamburger Berg gehören.

Er fordert eine Gesetzesänderung, die es den Bezirksämtern generell ermöglicht, an besonders sensiblen Stellen ein temporäres Alkoholverbot aussprechen zu können. Ihm sind vor allem die Kioske ein Dorn im Auge (57 allein auf St. Pauli), an denen sich Menschenmengen günstig mit Alkohol eindecken. „Auch ohne Corona gefährdet das die Sicherheit, etwa durch das Blockieren von Feuerwehrzufahrten. Und warum sollte das Recht, Alkohol auszuschenken und unter freiem Himmel zu trinken, mehr gelten als das der Anwohner nach nächtlicher Ruhe?“

Droßmann betont, keinen Feldzug gegen die Kioske führen zu wollen. „Aber es muss uns Bezirken rechtlich möglich sein, auch ohne Bezug auf das Infektionsschutzgesetz an Stellen, an denen es zu einer Gefährdung kommt, zeitlich begrenzte Alkoholverkaufsverbote auszusprechen.“ So sieht es auch der Bezirk Altona, der für 14 Kioske im Schanzenviertel zuständig ist: „Wir unterstützen die Forderung nach einer Gesetzesänderung dahingehend, dass temporäre Alkoholverbote je nach Lagedarstellung und Notwendigkeit ausgesprochen werden könnten“, so eine Sprecherin des Bezirksamts Altona auf Nachfrage.

Nach Abendblatt-Informationen werden in der Verwaltung bereits zwei Gesetzesänderungen diskutiert: eine Änderung des Hamburgischen Ladenöffnungsgesetzes, sodass „der gewerbsmäßige Verkauf alkoholischer Getränke vorübergehend ... für einen bestimmten örtlichen Bereich … untersagt werden kann, wenn dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit … erforderlich ist“ sowie eine Änderung des seit 1998 geltenden Bundesgaststättengesetzes, wozu die Bundesländer berechtigt sind – wovon Hamburg aber noch keinen Gebrauch gemacht hat: nämlich zu „verbieten, alkoholische Getränke in einer Weise anzubieten oder zu vermarkten, die geeignet ist, dem übermäßigen Alkoholkonsum Vorschub zu leisten“. Die Innenbehörde bestätigt: „Unabhängig vom Infektionsschutz prüfen die Behörden, eine Rechtsgrundlage für ein zeitlich und örtlich begrenztes Alkoholverkaufsverbot zu schaffen“, so ein Sprecher.

Glasflaschenverbot auf dem Kiez taugt nicht als Vorbild

Henning Brauer vom Stadtteilbeirat Sternschanze würde das begrüßen. „Eine Änderung der Ladenschlusszeiten würde verhindern, dass viele Kioske bis weit nach Mitternacht geöffnet haben. Ein temporäres Verbot, Alkohol außer Haus zu verkaufen, müsste aber auch für Supermärkte und Gastronomie sowie in den angrenzenden Bezirken gelten.“

Polizei kontrolliert das Cornern in der Sternschanze:

Die Polizei wertet das Alkoholverkaufsverbot am vergangenen Wochenende intern als Erfolg. Besondere Probleme hatte in den Wochen davor die Kiez-Klientel gemacht, die wegen des Shutdowns in die Schanze umgezogen war. „Diese Klientel, die sich besonders aggressiv gab, tauchte am vergangenen Wochenende gar nicht in der Schanze auf“, sagt ein Beamter. Ob es wieder so ein Alkoholverkaufsverbot geben wird, ist ungeklärt. „Das Verkaufsverbot am vergangenen Wochenende hatte mit den ganz speziellen Umständen zu tun“, sagt Polizeisprecher Holger Vehren.

Zuständig war auch nicht die Polizei, sondern die Bezirksämter. Dort soll hinter den Kulissen ein Streit ausgebrochen sein, wer überhaupt für die Verhängung von Alkoholverkaufsverboten zuständig sein wird. Weil das Verbot wegen der Corona-Bekämpfung erlassen worden war, wird auf Bezirksebene die Gesundheitsbehörde als zuständig gesehen. Dort könnte das Problem über eine Allgemeinverfügung angegangen werden.

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Eine solche werde es jedoch nicht geben, heißt es im Bezirksamt Altona. „Vielmehr wird die Polizei vor Ort eine Lagebeurteilung vornehmen und unter Umständen einzelne Verbote für Alkoholverkäufe aussprechen.“ Die Polizei, die federführend bei dem Glasflaschen- und Waffenverbot auf dem Kiez war, wird so ein Verbot nach aktueller Einschätzung aber nicht in gleicher Weise für Alkohol in der Schanze erlassen können.

Auf dem Kiez wurde eine „Gefahrenlage“ herangezogen, die zu dem dauerhaften Verbot führte. Diese Gefahrenlage ließ sich mit der Kriminalstatistik begründen, die für den Bereich eine ex­trem hohe Zahl von Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte auswies. Das ist in der Schanze aber nicht der Fall.

Schon vor zwei Jahren hatte Bezirksamtsleiter Droßmann versucht, etwas gegen den durch Kioske ermöglichten Alkoholkonsum zu tun. Auch die rot-grüne Koalition hatte sich damals des Themas angenommen und die Möglichkeiten für ein Verbot prüfen lassen. Aber die Rechtslage spielt den Kioskbetreibern in die Hände: „Früher brauchten sie eine Genehmigung. Heute müssen sie ihr Gewerbe nur noch anzeigen und gelten als genehmigungsfreie Gaststättenbetriebe mit Einzelhandel“, so Droßmann.

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