Hamburg. René liebt seinen Mustang mit den 450 PS. Auch am Schulterblatt sind Fahrer mit ihren dicken Schlitten inzwischen unterwegs.

Nun haben sie auch die Schanze erreicht: Wenn Cafés und Bars am Wochenende gut gefüllt sind, cruisen die Autoposer mit ihren getunten Wagen das Schulterblatt hoch und runter. Hier ist den Fahrern der auffälligen Fahrzeuge vom Typ Mercedes, BMW, Audi oder Lamborghini Aufmerksamkeit gewiss – manche von ihnen werden am Abend ein halbes Dutzend Mal gesehen. Für die Polizei aber bleibt der Jungfernstieg weiterhin Brennpunkt der Szene. Ein weiterer Treffpunkt ist die Tankstelle in Neuallermöhe, die seit Jahren Anlaufpunkt für Liebhaber von Autos ist. Das Abendblatt hat mit einem 23-Jährigen gesprochen, der dort regelmäßig unterwegs ist. Was bewegt ihn?

Der Jungfernstieg ist „nicht sein Ding“, sagt René. Hamburgs Rundkurs für Autoprotzer, die dort ihre Fahrzeuge möglichst laut und auffällig vorführen, so findet er, ist nicht die passende Arena für die 450 Pferde, die unter der Haube seines Mustang stecken.

Manche wollen „nur den Dicken machen“

Sein Wagen, findet der 23 Jahre alte Mechatroniker, sei ein echtes Schmuckstück. Seit mehr als einem Jahr fährt er den 5.0 Ti-VCT V8, so die offizielle Bezeichnung des von Ford produzierten Männertraums. Die Wochenenden gehören ganz dem Wagen. Dann fährt er los, um Gleichgesinnte zu treffen. René ist bekennender Cruiser und Tuner.

Über den Jungfernstieg, genauer gesagt über die Fahrer, die dort ihre Autos auf zweifelhafte Art und Weise zur Schau stellen, hat der 23-Jährige vor allem abfällige Worte. „Diese Typen wollen nur den Dicken machen und glauben auch, so Frauen aufreißen zu können“, sagt René. „Die wollen angeben. Ich will das Auto, das ich habe. Das ist mein Hobby.“ Ohnehin würden am Jungfernstieg mehr die „normalen“ Autos, Fahrzeuge von Mercedes, BMW, Audi und Porsche, manchmal auch Sportwagen ihre Runden drehen. „Viele, die aussehen, als seien sie getunt, sind es nicht. Die sind einfach nur lauter oder haben ein paar Teile dran, damit sie so aussehen, als seien sie AMG- oder M3-Modelle“, weiß René.

Einige verbrauchen bis zu Zweidrittel ihres Gehalts für ihre Leidenschaft

Er fährt lieber nach Allermöhe. Dort war er, bis Corona auch dieses Treffen lahmlegte, jedes Wochenende beim Cruiser-Treff an der Tankstelle – seit Jahren. „Da trifft man Leute, die so ticken wie ich“, sagt René. Dort geht es ums Auto, dann ums Auto und anschließend ums Auto. Gucken und cruisen ist dort angesagt. Es werde viele gefachsimpelt. Man holt sich Ideen. „Auch, wie und wo man Teile für seinen Wagen bekommt.“ Denn das Hobby kostet viel, sogar sehr viel Geld.

„Fast ein Drittel vom Gehalt geht dafür drauf“, sagt René. Damit gibt er, für die Szene, unterdurchschnittlich viel Geld für seinen Wagen und das Drumherum aus. Laut Insider verbrauchen einige „Cruiser“ bis zu Zweidrittel ihres Gehalts für ihre Leidenschaft. Rennen dagegen sind in Allermöhe verpönt. Schon wegen der Polizei, die den Treff regelmäßig im Auge hat. „Ich bin stolz auf meinen Mustang“, sagt René. „Ich habe einiges an dem Wagen verändert.“ Eine neue Auspuffanlage, ein spezieller Kühler, ein bisschen Schnickschnack im Inneren.

Treffen in Gewerbegebieten

Manchmal geht es aber eben nicht nur ums Aussehen. Dann will man es doch wissen. „Klar gibt es verabredete Rennen“, räumt der 23-Jährige ein, der seinem Mustang mit „Chiptuning“, der Veränderung der elektronischen Motorsteuerung, ein paar Pferdestärken mehr verschafft hat. Solche Rennen würden aber weit weg von den bekannten Treffpunkten gefahren. „Das müssen schon Strecken sein, die abgelegen sind. Möglichst ohne dass dort jemand wohnt“, sagt René. „Meistens treffen wir uns in Gewerbegebieten.“ Oft liegen die außerhalb Hamburgs. Beliebt war in der jüngsten Zeit ein Areal in der Nähe vom Trester Berg im Landkreis Harburg.

Rennen in der Stadt fährt er nach eigenen Worten nicht. „Das ist viel zu gefährlich“, sagt René, wobei er in allererster Linie seinen Führerschein im Blick hat. „Wenn man nur ein bisschen aufdreht, rufen die Leute gleich die Polizei.“ Rennen in der Stadt passierten spontan. „Da treffen sich zufällig Leute an der Ampel, checken sich ab und geben dann Gas“, so René. Manchmal seien es auch Bekannte, die zusammen in ihren Autos unterwegs seien und dann „einfach mal so“ austesteten, welcher Fahrer mit seinem Wagen besser beschleunigt.

In Hamburg sei die Szene stark gespalten

Tatsächlich lässt sich die Szene laut Tobias Hänsch, Leiter der Soko „Autoposer“ der Hamburger Polizei, in zwei Gruppen teilen. Die „Tuner“, zu denen auch René gehört, träfen sich in Allermöhe. „Sie sehen sich als Fangemeinde mit viel Leidenschaft für umgebaute und individualisierte Autos“, sagt Hänsch. Am Jungfernstieg sei ein anderer Typus anzutreffen: „Hier findet man sehr viele Leute, die den ganzen Tag nach Aufmerksamkeit suchen, die ihnen im Alltag sonst verwehrt wird.“

In Hamburg sei die Szene stark gespalten. „Es kommt schon mal vor, dass wir aus der Tuner-Szene Hinweise auf Poser bekommen, die sich so richtig danebenbenehmen oder illegale Umbauten haben“, sagt Hänsch. Die Szene aus Allermöhe leidet teilweise unter dem schlechten Image, das durch die Jungfernstieg-Poser entstanden ist. Die beiden Gruppen seien in Hamburg nicht so stark vermischt wie in anderen Städten. Engel sind die Tuner von Allermöhe mit ihren gelegentlichen illegalen Auto­rennen deswegen aber nicht.

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Gerade die Wochen des Lockdowns wurden für solche Straßenrennen genutzt. „Wegen Corona war das Treffen an der Tanke abgesagt. Gleichzeitig war nachts kaum was los auf den Straßen“, so René. Auch die Soko „Autoposer“ hatte in der Zeit Hochkonjunktur. Vor allem die klassischen Poser vom Jungfernstieg waren aktiv. „Für uns war die Zeit durchaus ertragreich“, sagt Hänsch. Auf den leeren Straßen fielen die Raser schnell auf. So kamen einige der 3724 Bußgeldverfahren, die die Soko seit ihrer Gründung 2017 einleitete, während des Lockdowns zustande. Insgesamt hat die Soko 8197 Kontrollen durchgeführt, 821 Autos sichergestellt und 755 Tempoverstöße, denen Fahrverbote folgten, festgestellt.

René war bislang nicht dabei. Er ist, wie er meint, ein eher zurückhaltender Fahrer. Auch wegen seiner Freundin. Die sei ängstlich, wenn man schnell fahre. Gemeinsam sind sie trotzdem unterwegs. „Fahrrad“, so sagt René, „fahren wir beide, um uns fit zu halten.“