Hamburg. Philip Oprong Spenner war der erste Schwarze, der in Hamburg Lehrer wurde. Ein Gespräch über Rassismus und wie man ihn bekämpft.

Er wuchs als Straßenkind in den Slums von Nairobi auf, lebte später in einem Waisenhaus und wurde schließlich von dem Kinderarzt Robert Spenner adoptiert, der ihn im Jahr 2000 nach Hamburg holte. Philip Oprong Spenner spricht sechs Sprachen, ist Lehrer an der Stadtteilschule Am Heidberg, Mitglied des Stiftungsrats der Bürgerstiftung, Pop-Gospelsänger und Vorsitzender eines von ihm gegründeten Vereins zur Förderung von Jugendlichen in Kenia.

Der 41-Jährige hat das Buch „Move on up“ geschrieben, hält Vorträge im In-und Ausland, auch in den USA, ist verheiratet mit einer Weißen, hat drei Kinder zwischen zwei und neun Jahren und lebt in Poppenbüttel.

Herr Oprong Spenner, waren Sie am vergangenen Wochenende auf der Demonstration gegen Rassismus in der Innenstadt?

Philip Oprong Spenner: Ja, aber nur kurz. Ich wollte Präsenz zeigen, mich aber gesundheitlich nicht in Gefahr bringen. Es war sehr voll, die Pandemie ist noch nicht vorbei, und als dreifacher Vater und Lehrer trage ich Verantwortung für viele Kinder.

Was haben Sie angesichts der vielen Demonstranten gefühlt, die für die Rechte der Schwarzen weltweit protestieren?

Oprong Spenner: Ich finde es gut und wichtig, dass die weiße Bevölkerung das in die Hand nimmt. Und ich hoffe, dass es den Menschen dabei nicht nur um Posts bei Instagram oder Facebook geht, sondern sie es ernst meinen. In einer funktionierenden Demokratie brauchen die Minderheiten die Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft. Nachhaltige Änderungen sind nur möglich, wenn alle, die privilegiert sind, ihren Teil dazu beitragen.

Sie sind Akademiker und leben ein privilegiertes Leben. Erfahren Sie Rassismus?

Oprong Spenner: Oh, ja. Sehr häufig. Vor Kurzem etwa war ich mit dem Auto in Poppenbüttel unterwegs. Zwei eigentlich sehr freundliche Polizisten hielten mich zur allgemeinen Fahrzeugkontrolle an. Nachdem sie Führerschein und Fahrzeugpapiere überprüft hatten, wollten sie Warndreieck und Verbandskasten sehen und durchsuchten den ganzen Wagen. Ich musste sogar den Kindersitz ausbauen. Ich hatte es eilig, musste zu einer Veranstaltung mit Bürgermeister Tschentscher – die Weitergabe der „Goldenen Taube“, die unserem Verein verliehen worden war –, aber ich blieb ruhig und gelassen. Selbst als der eine Beamte sagte, bei jemandem wie mir bestehe ein „hoher Verdacht“, und mich um Verständnis für die Verzögerung bat.

Wie können Sie da so ruhig bleiben?

Oprong Spenner: Das war die wichtigste Lektion in meinem Leben als Straßenkind: Wie man mit Emotionen umgeht, kann über Leben und Tod entscheiden.

Gab es weitere Vorfälle?

Oprong Spenner: Anfang April begegneten meine Familie und ich nach einem Spaziergang im Wittmoor einem Radfahrer, der uns voller Hass „Neger“ entgegenbrüllte. Meine Kinder fingen an zu weinen. Im vergangenen Jahr schikanierte uns eine Zollbeamtin in Oslo. Ich bin es gewohnt, dass an den Flughäfen die Sicherheitskontrollen bei mir länger dauern als bei weißen Passagieren und dass mein deutscher Pass besonders gründlich kontrolliert wird, manchmal werden sogar Telefonate geführt. Die Frau in Oslo wollte uns bei der Einreise, wir kamen aus Irland, zunächst aus der Reihe der EU-Bürger in die für Bürger, die nicht aus der EU stammen, schicken. Als ich ihr dann unsere Pässe vorlegte, fing sie an, sie gründlich zu untersuchen, und entdeckte etwas, was zuvor noch niemanden interessiert hatte: Bei meinem siebenjährigen Sohn hatte man bei der Ausreise aus Kenia, fast ein Jahr zuvor, den Ausreisestempel vergessen. Mehr als eine halbe Stunde hielt sie uns fest, fast hätten wir unseren Anschlussflug verpasst. So etwas passiert ständig. Als ich vor wenigen Jahren auf Mallorca gewagt habe, eine Abkürzung durch ein Wohngebiet abseits des Strandes zu nehmen, hat ein Mann seine Hunde auf mich gehetzt. Als ich in einer irischen Stadt am Straßenrand parken wollte, forderte mich ein Mann auf, wegzufahren. Prompt bekam er Unterstützung von zwei anderen Männern, die ihn fragten, ob er bedroht werde. Als ich jünger war, war es noch schlimmer. Da hielten die Damen auf dem Weihnachtsmarkt ihre Handtaschen fest, wenn ich in der Nähe war.

Bekommen Sie denn in solchen Situationen auch mal Unterstützung von Menschen, die die Szenen beobachten?

Oprong Spenner: Doch. Als ich einmal von der Rezeptionistin in meinem Fitnessstudio nicht beachtet wurde. Sie zog immer andere Wartende vor, allesamt Weiße, die das offenbar für selbstverständlich hielten. Nur einer von ihnen wies die Dame darauf hin, dass ich vor ihm dran sein. Ganz ohne Aufhebens. Davon war ich überrascht und tief beeindruckt.

Wenn Ihnen hier in Hamburg schon so oft Rassismus entgegenschlägt – wie ist es denn, wenn Sie Vorträge im Osten Deutschlands halten, wo es deutlich mehr Fremdenfeindlichkeit gibt?

Oprong Spenner: Sie werden es kaum glauben, aber ähnlich wie im Film „Green Book“ tauschen auch wir Schwarzen in Deutschland uns über Orte aus, die man meiden sollte. Dort bleibe ich dann nach dem Vortrag im Hotel.

Sie haben mal gesagt, man kann von Rassismus auch profitieren. Wie meinen Sie das?

Oprong Spenner: Nun, an der Uni haben mich die Professoren sofort wiedererkannt – bei anderen hat es länger gedauert. Als ich mit meinem Referendariat fertig war, wollten viele Schulen mich einstellen, obwohl es weiße Kollegen gab, die genauso gut waren. Aber schwarze Lehrer gab es damals noch nicht. Auch beim Marketing für mein Buch oder meinen Verein ist mein exotisches Aussehen von Vorteil. Wenn man einen bestimmten akademischen Grad erreicht hat, dreht sich manchmal der Spieß um.

Haben auch Ihre Kinder Erfahrungen mit Rassismus gemacht – außer in dem Fall mit dem aggressiven Radfahrer?

Oprong Spenner: Ja, leider. Von anderen Kindern kriegen sie schon mal „Dein Gesicht sieht aus wie Kacke“ oder „Schwarze haben hier nichts zu suchen“ zu hören.

Wie fangen Sie das auf?

Oprong Spenner: Uns liegt daran, mit ihnen im Dialog zu bleiben: mit ihnen darüber zu reden, wie sie sich sehen, und sie darauf vorzubereiten, dass ihr Anders-Sein bei anderen Unsicherheit und Vorurteile auslösen kann. Meistens kommt dann dabei raus, dass ihnen das Kind, das sie beleidigt hat, sogar leidtut. Ganz wichtig ist uns, dass sie nicht in die Opferrolle verfallen. Auch zu meinen Schülern und zu den kenianischen Kindern, die von meinem Verein Kanduyi Children betreut werden, appelliere ich immer wieder: Schreibt euch nicht Opfer auf die Stirn! Sondern seht zu, wie ihr dagegen kämpft und das Beste daraus macht.“

Wie können sie das schaffen?

Oprong Spenner: Wir, die wir in der Minderheit sind, müssen das Bewusstsein entwickeln, dass Annäherung und Verständigung keine Einbahnstraße sind. Wir können das Abbauen von Rassismus nicht den Privilegierten überlassen, sondern müssen auf diese zugehen und sie dazu bringen, ihre rassistischen Handlungen zu hinterfragen. Welche Angst steckt dahinter, dass du mich als Schwarzen nicht einstellen möchtest? Warum lässt du mich nicht in den Club, obwohl dort Black Music gespielt wird? Vielleicht verpasst ihr Chancen wegen eurer Vorurteile? Ich glaube, dass nur eine gegenseitige Verständigung dabei hilft, die Chancen des Anders-Seins zu erkennen. Dabei finde ich auch wichtig, dass mit Aktionen – wie beispielsweise jetzt den Demonstrationen – mehr Sensibilisierung für das Thema gewonnen wird.

An Ihrer Schule, die sich dem Motto „Schule ohne Rassismus“ verschrieben hat, arbeiten Sie daran.

Oprong Spenner: Ja, es gibt keinen besseren Ort dafür als die Schule. Gerade bei uns, wo so viele Kulturen vertreten sind, haben Schüler rechtzeitig die Möglichkeit, mit einem anderen Bewusstsein aufzuwachsen. Als Verbindungslehrer setze ich mich für Zivilcourage und gegen Rassismus ein – das gilt auch für schwarze Schüler, wenn diese andere ausgrenzen. Ich finde es schade, dass für die Schulbehörde ein Migrationshintergrund kein Einstellungsmerkmal mehr ist. Das war früher anders. Dabei ist so wichtig für Schüler, zu sehen, dass die kulturelle Minderheit, der sie angehören, nicht nur Putzfrauen, sondern auch Lehrer stellen kann. Die Förderung der Minderheiten ist auf die Unterstützung der Behörden und Institutionen angewiesen.

Was können die Schulen tun?

Oprong Spenner: Unabdingbar sind Fortbildungen in Sachen Interkulturalität für uns Lehrer. Meine Erfahrungen ermöglichen mir, mit Rassismus umzugehen und entsprechend zu reagieren. Aber was macht diese kulturelle Sabotage mit Kindern und Jugendlichen? Sie tragen große seelische Narben davon. Die Auseinandersetzung mit ihrem Anders-Sein überfordert sie so, dass keine Kraft mehr zum eigentlichen Lernen vorhanden ist. Ich habe sehr intelligente Schüler erlebt, die deshalb trotzdem in der Schule scheiterten. Viele Lehrer erwarten immer noch von Jugendlichen aus anderen Kulturen, dass sie dem deutschen Musterschüler entsprechen. Da wäre mehr Sensibilität erforderlich.