Hamburg. Kinder sollen Lernrückstände aufholen. Schulleiter protestieren gegen Vorstoß der Behörde: „An Rücksichtslosigkeit kaum zu überbieten.“

Wegen der Coronavirus-Pandemie war regulärer Unterricht in Hamburgs Schulen über Wochen unmöglich. Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, bekamen das besonders zu spüren. Um nun Defizite auszugleichen, die wegen der wenig lernförderlichen häuslichen Umgebung oder aus anderen Gründen entstanden sein können, geht die Hamburger Schulbehörde einen ungewöhnlichen Weg.

„Wir möchten den Schülerinnen und Schülern in den Sommerferien auf freiwilliger Basis zusätzliche Lernangebote machen“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) dem Abendblatt. Die „Lernferien“ richteten sich an Schüler mit hohen Lernrückständen. Es sei die Aufgabe der Schulen, die infrage kommenden Schüler anzusprechen. „Wir rechnen damit, dass zehn bis 20 Prozent der Schüler das Angebot annehmen werden“, sagte Rabe.

Unterricht in Hamburgs Schulen während der Sommerferien wegen Corona-Krise

Die Schulen können Lehrer oder Honorarkräfte wie pensionierte Lehrer und Lehramtsstudierende einsetzen. Die Kosten übernimmt die Schulbehörde.

Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack hat in zwei Schreiben an die Schulen die Eckpunkte der Lernferien skizziert. Ein Schwerpunkt sind die Schulen in sozialen Brennpunkten (Sozialindex 1 und 2). „Das Angebot wird in den letzten drei Sommerferienwochen, d. h. zwischen dem 13. Juli 2020 und dem 31. Juli 2020, stattfinden und umfasst für die Schülerinnen und Schüler im Regelfall jeweils zwei zusammenhängende Wochen mit 15 Stunden à 45 Minuten pro Woche“, schreibt Altenburg-Hack an die Schulleitungen in den Sozialindex-1- und -2-Gebieten.

Vorgesehen ist, dass jede Schule ein bestimmtes Kontingent an Plätzen erhält, das sich an soziostrukturellen Merkmalen des Schulstandortes und individuellen Schülermerkmalen orientiert. Die Schulen bestimmen die infrage kommenden Schüler. Die Teilnahme ist freiwillig.

Herbstferien kommen für Schulen auch als Lernferien infrage

Die gleiche Regelung gilt auch für die übrigen Schulen (Sozialindex 3 bis 6), die allerdings bei der Organisation der Lernferien flexibler vorgehen können. Im Prinzip seien auch die Herbstferien geeignet, so der Landesschulrat. Dennoch seien die Sommerferien zu bevorzugen, weil die kürzeren Herbstferien stärker der Erholung dienen sollen.

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„Das Angebot richtet sich vorrangig an Ihre Schülerinnen und Schüler mit Lernschwächen oder Sprachförderbedarf von der Vorschulklasse bis zur Klassenstufe 9“, schreibt Altenburg-Hack an die Schulleitungen. Je nach Inanspruchnahme könne die Schulbehörde den Einsatz der Honorarkräfte mit rund einer Million Euro finanzieren.

Rückkehr zum regulären Unterricht immer wahrscheinlicher

Die Rückkehr zum regulären Unterricht an Hamburgs Schulen wird unterdessen immer wahrscheinlicher. Laut Rabe mehren sich die Hinweise von Experten, dass die Infektionsgefahr für und durch Kinder nicht sehr groß sei. „Wenn sich das bewahrheitet – und den Eindruck habe ich –, dann steht Unterricht ohne Abstandsregeln nach den Sommerferien nichts mehr im Wege“, sagte Rabe.

Er wolle eine Fachkonferenz am Freitag mit mehreren Bildungsministern und wissenschaftlichen Experten abwarten. Entscheidend sei die Frage, ob an den Schulen auf Abstand verzichtet werden könne, denn nur dann sei Regelunterricht in Klassengröße im Klassenraum möglich. „Ich rechne sehr fest damit, dass so ein Regelunterricht ohne Abstandsregeln in den Grundschulen nach den Sommerferien wieder beginnen kann“, sagte Rabe. Andere Bundesländer starteten schon jetzt damit, doch in Hamburg bleibe dafür vor Ende des Schuljahres nicht genug Zeit.

Schulsenator will das Angebot freiwilliger Corona-Tests an Schulen ausbauen

Er erwarte von der Wissenschaft nun Hinweise, so Rabe, ob und in welchem Maße auch an den weiterführenden Schulen Regelunterricht wieder möglich sei. „Erste Gespräche mit Wissenschaftlern lassen mich optimistisch sein, dass das auch in diesem Bereich gelingen kann; bei den Grundschulen bin ich mir sicher.“

Flankierend will Rabe das Angebot freiwilliger Corona-Tests an Schulen ausbauen, damit die Lehrer mehr Sicherheit hätten und um sicherzustellen, „dass sich die Krankheit nicht in einer Schule einschleicht, ohne dass wir dies bemerken“. Im Hinblick auf die Oberstufenschüler gebe es noch Unklarheit. Experten betonten, es sei wichtig, dass die Schüler in festen Gruppen unterrichtet würden, was im Kurssystem der Oberstufe jedoch nicht der Fall sei.

Unterricht in den Ferien - massiver Widerstand an den Schulen

Gegen den Unterricht in den Ferien formiert sich an den Schulen massiver Widerstand. Die Vereinigung der Schulleiter an Stadtteilschulen bezeichnete die Lernferien als „populistische Idee“ der Schulbehörde. „Die Aufforderung, Arbeitskraft und Ideen nun auch noch in eine plakative Ferienschule zu stecken, schlägt dem Fass den Boden aus und ist an Rücksichtslosigkeit kaum zu überbieten“, heißt es in einer Stellungnahme der Schulleiter.

Schüler „mit fremden Honorar­kräften in bunt und zufällig zusammengesetzte Übungsgruppen einzuteilen, … das ist kein geeigneter Weg für gelingendes Lernen“. Im Übrigen sei es „eine Zumutung und Missachtung für die bisher geleistete Arbeit“, die Organisation 13 Tage vor Beginn der Sommerferien an die Schulen zu delegieren.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) übt deutliche Kritik. „In einer Telefonkonferenz zeigten sich GEW-Schulleitungen fassungslos darüber, mit welcher Ignoranz hier eine Maßnahme nach der anderen ohne vorherige Beratung mit den Praktikern vor Ort im Top-down-Verfahren angewiesen wird“, sagte die GEW-Landesvorsitzende Anna Bensinger-Stolze. Die GEW lehne „jede Art von Überstunden und Mehrarbeit in den Ferien“ ab.