Hamburg. Der scheidende Justizsenator spricht im Abendblatt über Erfolge, Misserfolge und die Sorge vor dem autoritären Staat.

Till Steffen (Grüne) war von 2008 bis 2010 in der schwarz-grünen Koalition und seit 2015 im rot-grünen Kabinett Justizsenator. Der 46 Jahre alte Rechtsanwalt ist damit der Hamburger Justizsenator mit der längsten Dienstzeit. Am Mittwoch wird Steffen seinen Platz im Senat für seine Parteifreundin Anna Gallina räumen.

Hamburger Abendblatt: Sind Sie ein Opfer der Frauenquote?

Till Steffen: Es ist eher so, dass wir uns Hoffnung gemacht hatten auf fünf Positionen im Senat. Das haben wir nicht aushandeln können. Für die vier Senatsposten mussten wir eine Lösung finden. Mir war wichtig, dass es zu einer gemeinsamen Lösung kommt, und deswegen habe ich gesagt, ich kann mir vorstellen, dass ich mir ein anderes Tätigkeitsfeld suche.

Also doch ein Opfer der Frauenquote?

Steffen: Es war klar, dass von vier Plätzen mindestens zwei mit Frauen besetzt würden.

Aber freiwillig gehen Sie nicht aus dem Amt, oder täuscht der Eindruck?

Steffen: Nein, ich habe das sehr gern gemacht und hätte das auch gern weitergemacht. Die Alternative zur jetzigen Lösung wäre eine Kampfabstimmung zwischen diesen oder jenen zwei Männern auf dem Landesausschuss der Grünen gewesen. Diese Vorstellung fand ich nicht positiv für meine Partei.

Der Posten des Justizsenators gilt als Schleudersitz. Ein Ausbruch aus „Santa Fu“ – und es kann vorbei sein. Sie sind mit sieben Amtsjahren der dienstälteste Hamburger Justizsenator. Hatten Sie einfach Glück?

Steffen: Vielleicht Glück und auf jeden Fall starke Nerven. Man muss viel aushalten können. Trotzdem gab es nie einen Tag, an dem ich nicht gern in die Behörde gekommen bin, weil die Unterstützung im Haus so stark war. Wenn ich meinte, ich hatte schon genug Probleme, kamen Mitarbeiter und sagten, jetzt ist auch noch das passiert. Die Leute wurden immer cooler, je größer der Druck von außen wurde. Diese Leistungsbereitschaft im Haus hat mich immer sehr getragen.

Sie sind in Hamburg der erste Senator mit grünem Parteibuch in einer der beiden repressiven Behörden – Inneres und Justiz. Wie sind Ihnen als Grünem Richter und Staatsanwälte begegnet?

Steffen: Ich würde nicht sagen, dass es spezielle Vorbehalte gegen Grüne gab. Richter und Staatsanwälte neigen generell nicht dazu, sich besonders stark vor Autoritäten zu verbeugen. Sie haben zu Recht ein sehr großes Selbstbewusstsein. Deswegen muss man sie persönlich mit der eigenen Leidenschaft und Kompetenz in der Sache überzeugen. Die Aufgabe des Justizsenators ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Rechtsstaat stattfinden kann. Die Leute wollen sehen, dass man das auch schafft.

Vier Frauen, acht Männer: Das ist der neue Senat

Wie wichtig ist es, als Justizsenator selbst Jurist zu sein?

Steffen: Ich bin Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Das hilft mir gar nicht bei der Frage, wie Strafprozesse laufen, die stark in der Öffentlichkeit beachtet werden. Da musste ich mich erst reinschaffen. Ich wusste nicht von vornherein alles, worauf es ankam in diesem Amt. Manchmal gab es aber Situationen am Hochreck, wo es hilfreich war, Jurist zu sein. Etwa bei dem grünen Vorschlag für eine Bundesverfassungsrichterin, weil ich die Lebensläufe von Kandidatinnen gut beurteilen konnte.

Welche Vorteile haben Sie daraus gezogen, als Justizsenator Jurist zu sein?

Steffen: Die juristische Ausbildung bringt generell bestimmte Vorteile, weil Jura einfach eine Herrschaftswissenschaft ist. Das sehr strukturierte Denken der Juristen hilft in vielen Bereichen der Verwaltung. Andererseits stehen sich Juristen manchmal auch selbst im Wege, was das sehr Formale angeht.

Unter Ihrer Leitung haben Gerichte und Staatsanwaltschaften rund 250 Stellen zusätzlich seit 2015 bekommen. Ist das Ihr größter Erfolg?

Steffen: Ich finde, es ist ein sehr großer Erfolg, die Justiz leistungsfähig gemacht zu haben und mit Selbstbewusstsein zu versehen. Das hat etwas gemacht mit dem Selbstbild der Hamburger Justiz. Das geht einher mit dem Modernisierungsprozess insgesamt, Stichwort Digitalisierung. Die Hamburger Justiz ist auf diesem Gebiet weit vorne. Wir waren schnell imstande, digitale Angebote für Verhandlungen bereitzustellen.

Der Stellenaufbau dient auch der Entlastung von Richtern und Staatsanwälten. Sind die Berge von Altfällen schon kleiner und die Verfahrensdauern kürzer geworden?

Steffen: Wir haben an einer Reihe von Stellen weniger Probleme. Da läuft es deutlich runder. Wo wir sehr große Rückstände hatten, wie zum Teil bei der Staatsanwaltschaft, sind wir noch beim Aufbau dieser Maßnahmen.

Bürgermeister Tschentscher stellt den Koalitionsvertrag vor:

Sie wollten eine Vollzugsgemeinschaft im Jugendbereich mit Schleswig-Holstein starten und sind damit gescheitert. War das Ihr größter Misserfolg?

Steffen: Das würde ich nicht sagen. Aber so liebenswert das Nachbarbundesland ist, so schwierig zeigt es sich gelegentlich, wie wir auch jetzt während der Corona-Pandemie gesehen haben. Man muss feststellen, dass in Schleswig-Holstein die Uhren einfach anders ticken. Ich finde es richtig, das versucht zu haben, aber die schleswig-holsteinische Politik funktioniert nach anderen Gesetzen.

Sie zählten intern zu den stärksten Kritikern des G-20-Gipfels 2017. Es ist dann viel schlimmer gekommen, als viele befürchtet hatten. Wie dicht war die rot-grüne Koalition damals vor dem Bruch?

Steffen: Die Gefahr bestand damals nicht. In beiden Parteien waren nur sehr wenige frühzeitig eingeweiht, und die anderen haben es gemeinsam ausgebadet. Das haben wir sehr solidarisch gemacht. In den Situationen, wo es wirklich darauf ankam, gab es einen sehr guten Austausch zum Beispiel mit Innensenator Andy Grote. Wir mussten gewährleisten, dass Justiz und Polizei in Situationen, als es eng wurde, reibungslos gearbeitet haben. Den Gipfel mitten in der Stadt abzuhalten, war eine fatale Fehlentscheidung.

Eines Ihrer aktuellen Themen ist der Kampf gegen Internetkriminalität und besonders gegen Hasskriminalität im Netz. Wie wirksam können Repression und Strafrecht angesichts der Flut von Hassmails eigentlich wirklich sein?

Steffen: Es ist so wie in anderen Bereichen auch: Wir können zum Beispiel mit dem Strafrecht nicht in jedem Kinderzimmer stehen und die Eltern immer bestrafen, wenn sie ihre Kinder misshandeln. Wichtig ist nur, dass Eltern wissen: Es kann passieren, dass sie bestraft werden. Deswegen arbeiten wir mit der Androhung des Strafrechts. Lange war die Einstellung vieler, die Hass in den sozialen Netzwerken verbreitet haben: Mir kann nichts passieren. Das darf einfach nicht sein. Wir müssen da noch stärker werden. Denn: Aus Worten werden bisweilen Taten, wie der Mord an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeigt. Da hat es vorher vielfach Drohungen gegeben, auf die nicht reagiert wurde. Herr Lübcke könnte noch am Leben sein, wenn wir Hasskriminalität im Netz vorher intensiver bekämpft hätten.

Macht Ihnen eigentlich US-Präsident Donald Trump Angst, der auch mit seinen Tweets Hass schürt, spaltet und sogar Fakenews verbreitet?

Steffen: Das macht mir große Angst. Mich erschüttert das auch persönlich, weil die USA als freiheitlicher Verfassungsstaat immer ein großes Vorbild für mich waren. Ich mache mir Sorgen, dass das Land in einen autoritären Staat abrutscht. Es besteht die Gefahr, dass die Demokratie dort ins Rutschen gerät mit massiven Auswirkungen auf viele andere Staaten. Man kann nur hoffen, dass die Protestbewegung, die da jetzt aufsteht, so weit trägt, dass am Ende ein anderer Präsident gewählt wird. Sonst ist das Modell der westlichen Demokratien massiv in der Defensive.

Sehen Sie für Deutschland die Gefahr einer ähnlichen Entwicklung?

Steffen: Ich glaube, auch hier sehen sich Menschen beflügelt durch die Politik, die Trump vorgibt. Es gibt große Parallelen zum Zündeln der AfD. Ich bin sehr froh, dass wir nach wie vor einen sehr breiten politischen Konsens dagegen haben. Aber das Risiko besteht natürlich.

Muss sich Justizpolitik jetzt in erster Linie mit den Themen Rechtsstaat und Demokratie befassen?

Steffen: Justizpolitik muss sich breiter aufstellen. Sie ist viel mehr als nur die Organisation des Justizwesens. Sie ist die tragende Säule für die freiheitliche Art des Zusammenlebens. Sie muss dafür sorgen, dass Politik nach einem Wertegerüst funktioniert. Ich glaube, dass die Rolle der Rechtspolitik in den nächsten Jahren eher größer werden wird.

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Hat das Amt Sie verändert?

Steffen: Es hat mich demütiger gemacht. Es geht um wahnsinnig dicke Bretter. Man muss sehr lange und beharrlich an vielen Fragen arbeiten, bis sich Überzeugungen durchsetzen und darauf aufbauend Handlungen passieren mit entsprechenden Wirkungen. Es hat sich immer stärker herausgebildet, dass ich mich als Teil eines großen Teams, als Teil einer Justizfamilie fühle. Das Einzelkämpfertum, mit ich dem hier reingekommen bin, ist immer stärker zurückgegangen.

Wie geht es für Sie jetzt weiter?

Steffen: Von Mittwoch an bin ich wieder Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Und ich bemühe um eine Bundestagskandidatur auf der Landesliste und im Wahlkreis Eimsbüttel. Wenn alles gut läuft, kann ich im kommenden Jahr mit den Themen, die mir wichtig sind, im Bundestag weitermachen.