Hamburg. Gegen die Grünen-Landesvorsitzende läuft ein Ermittlungsverfahren wegen übler Nachrede und Verleumdung.
Wenn alles nach Plan läuft, dann erhält die Grünen-Landesvorsitzende Anna Gallina am kommenden Mittwoch nach der Wahl des Ersten Bürgermeisters und der Bestätigung seines Senats durch die Bürgerschaft ihre Ernennungsurkunde als Justizsenatorin. Kurz vor ihrem 37. Geburtstag wird Gallina dann als fünfte Frau auf dem Chefsessel der Justizbehörde an der Drehbahn Platz nehmen.
Unter den 23 Vorgängern und Vorgängerinnen seit 1945 war erst eine, die wie Gallina keine Juristin war: Emilie Kiep-Altenloh (FDP), die 1961 die damalige Gefängnisbehörde elf Monate lang leitete. Ob sich die Tatsache, unter lauter Juristen als Senatorin selbst keine zu sein, als Manko auswirkt oder nicht, hat Gallina durch ihre Amtsführung selbst in der Hand. Nichts kann die Grünen-Parteichefin dagegen aus eigener Kraft bei einem anderen Problem erreichen, das ihren Amtsstart belastet.
Seit Dezember 2019 läuft bei der Staatsanwaltschaft, die der künftigen Justizsenatorin gegenüber weisungsgebunden ist, ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung. Zwei ehemalige Mitglieder der Grünen-Fraktion in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte hatten Anzeige gegen Gallina, Parteivize Martin Bill und den ehemaligen Vorsitzenden der Grünen-Bezirksfraktion in Mitte, Michael Osterburg, erstattet. Es geht um den Vorwurf gegen die beiden Abgeordneten, sie würden islamistischen Positionen und islamistische Organisationen unterstützen. Die Parteispitze hatte deswegen ein Parteiordnungsverfahren gegen beide eingeleitet.
Immenser politischer Schaden
Der lokale Konflikt entwickelte sich zu einem ernsten grünen Störfall: Vier weitere Grünen-Bezirksabgeordnete solidarisierten sich mit den beiden, gründeten zu sechst erst eine eigene Fraktion, schlossen sich letztlich aber der SPD an. Statt Grün-Rot „regiert“ im Bezirk Mitte nun ein Bündnis aus SPD, CDU und FDP. Die grünen Wahlsieger landeten in der Opposition – der politische Schaden ist immens. Weil sich die Konfrontation zwischen der Parteispitze und den abtrünnigen Abgeordneten über Wochen hinzog, wurde Gallina innerparteilich schlechtes Krisenmanagement vorgeworfen. Bei der Listenaufstellung zur Bürgerschaftswahl wurde die Parteichefin mit eher enttäuschenden 77 Prozent auf Platz drei gewählt.
Nach Angaben der Sprecherin der Staatsanwaltschaften, Nana Frombach, läuft das Ermittlungsverfahren gegen Gallina nach wie vor. Aus der Tatsache der Dauer lässt sich kein Rückschluss auf den weiteren Gang der Dinge ziehen. Mit anderen Worten: Es ist nicht ausgeschlossen, dass in der Sache Anklage gegen die dann amtierende Justizsenatorin Gallina erhoben wird. „Grundsätzlich hat natürlich jeder das Recht, eine Strafanzeige zu erstatten, bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich zu einem laufenden Ermittlungsverfahren nicht äußern werde“, sagte Gallina gestern.
Anklageerhebung würde die neue Justizsenatorin schwächen
Es dürfte wohl einmalig sein, dass ausgerechnet eine Justizsenatorin oder ein Justizsenator mit einem gegen sie oder ihn gerichteten Ermittlungsverfahren ins Amt kommt. Für die Chefs anderer Behörden gibt es mindestens ein Beispiel: Im März 2010 wurde der Christdemokrat Carsten Frigge Finanzsenator im schwarz-grünen Senat von Bürgermeister Ole von Beust (CDU), obwohl die Staatsanwaltschaft Mainz gegen Frigge Ermittlungen wegen des Verdachts illegaler Parteienfinanzierung führte. Im Mai 2010 wurden sogar Frigges Wohnungen in Hamburg und Berlin durchsucht. Eine Razzia bei einem Senator war ein Novum. Im November 2010 trat Frigge als Finanzsenator zurück, später folgte eine inzwischen rechtskräftige Verurteilung wegen Beihilfe zur Untreue.
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Was die Schwere der Vorwürfe angeht, sind die beiden Fälle nicht miteinander vergleichbar. Eine Anklageerhebung würde die neue Justizsenatorin gleichwohl schwächen. Die Entscheidung der grünen Parteispitze, Gallina für den Posten der Justizsenatorin vorzuschlagen, wurde in der völligen Kenntnis des Sachverhalts getroffen. „Alle wussten alles“, heißt es dazu bei den Grünen. Der SPD-Parteivorstand hatte am Sonntag offensichtlich auch keine schwerwiegenden Bedenken gegen die Personalie.
CDU-Bürgerschaftsfraktionschef Dennis Thering sieht das naheliegenderweise anders. „Die Besetzung einzelner Ressorts nach parteipolitischen Überlegungen statt fachlicher Kompetenz sorgt für große Fragezeichen. Normalerweise wohnt jedem Neuanfang ein Zauber inne. Diesen Zauber hätte man der seit Jahren gebeutelten Justizbehörde tatsächlich auch gegönnt. Aus guten Gründen ist das Justizressort in der Regel mit studierten Juristen an der Spitze besetzt“, sagte Thering dem Abendblatt. „Dass in diesem Fall auch noch die ihr unterstellte Staatsanwaltschaft gegen die neue Senatorin ermittelt, ist für die Besetzung inakzeptabel. Schlechter hätte es eigentlich nicht kommen können“, sagt der Christdemokrat.