Hamburg. Neue Leiterin des Denkmalschutzamts zeigt auf einer Radtour Gebäude, die das Hamburg des 20. Jahrhunderts lebendig halten.
Wir stehen vor einem Wohnblock auf der Veddel. „Da oben sieht man, wie die Fassade früher ausgesehen hat“, sagt Anna Joss und zeigt auf freigelegte Backsteinziegel, deren Dunkelrot sich von dem rosa-bräunlichen Anstrich der übrigen Häuserwand abhebt. Noch vor Kurzem stand die neue Leiterin des Hamburger Denkmalschutzamtes selbst auf einem jetzt wieder abgebauten Gerüst, um das freigelegte Mauerwerk aus der Nähe zu inspizieren.
Der 1929 gemäß der städtebaulichen Planung des damaligen Oberbaudirektors Fritz Schumacher errichtete „Warmwasserblock“, der als erstes Gebäude auf der Veddel über fließend Warmwasser verfügt haben soll, muss saniert werden. Geplant ist, nicht den gesamten Block zu dämmen, sondern einen Teil des historischen Mauerwerks vom Anstrich zu befreien und wieder zu zeigen.
Erst 2018 war der Block mit 161 Wohnungen von der Kulturbehörde unter Schutz gestellt und so vor dem Abriss bewahrt worden. Im selben Jahr zog Anna Joss von Zürich nach Hamburg, um hier die Leitung des Referats Bau- und Kunstdenkmalpflege sowie zunächst die stellvertretende Leitung des Denkmalschutzamts zu übernehmen.
Eine Tankstelle mit 50er-Jahre-Flair
Heute hat die promovierte Denkmalpflegerin den Wohnblock als Startpunkt einer kleinen Fahrradtour gewählt. Sie möchte uns ausgewählte Denkmäler aus dem 20. Jahrhundert zeigen – einer Epoche, für die sie ein besonderes Faible hat. Bevor wir gemeinsam losradeln, gehen wir durch ein altes Holztor in den großen Innenhof des „Warmwasserblocks“. Still, grün und mit hohen Bäumen bietet er auf der sonst so rauen Veddel einen schönen Rückzugsort für Bewohner.
Von hier aus ist die Handschrift Schumachers noch sehr gut zu erkennen: weiße Holzsprossenfenster als Kontrast zur dunklen Ziegelfassade – und kleine Loggien. „Die waren früher knallblau ausgemalt“, weiß Anna Joss. „Mal sehen, ob wir das wieder hinkriegen.“
Unser nächstes Ziel ist die Oldtimer-Tankstelle Brandshof. Über die ohrenförmigen Auffahrten geht es hoch zum Billhorner Röhrendamm und dann über die Elbe. „Den Elbpark Entenwerder finde ich bezaubernd“, ruft sie gegen den Lärm der an uns vorbeirauschenden Autos an und deutet auf das Areal, das so nah an der lauten achtspurigen Straße liegt und trotzdem ein Idyll ist.
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Wir biegen in den Radweg ein, der von Rothenburgsort aus an Bill- und Oberhafen entlang Richtung Innenstadt führt. „Das ist auch sehr gelungen“, sagt Anna Joss und deutet auf die sanierten Lagerhallen des Ensembles Brandshofer Deich, hinter deren Backsteinfassaden mit den dunklen Fensterrahmen sich jetzt Büros befinden. Dann geht es rechts ab. Zu Füßen der mächtigen Pfeiler einer S-Bahn-Brücke taucht die Oldtimer-Tankstelle vor uns auf, die 1953 an dem damals noch stark befahrenen Billhorner Röhrendamm errichtet wurde, durch den Bau des Großmarkts aber ihre Funktion als Ein- und Ausfallstraße verlor.
„In der historischen Substanz liegt unsere Geschichte"
„Hierher zu kommen ist für mich immer eine ganz besondere Zeitreise“, sagt die Denkmalpflegerin. Nicht etwa wegen ihrer Affinität zu Autos, sie hat gar keins, sondern wegen des guten Zustands der Anlage. „Der Eigentümer ist ein Liebhaber des 50er-Jahre-Flairs, daher wurde hier viel mehr gemacht, als wir uns hätten wünschen können.“ Sie deutet auf die umlaufende Neonröhre, deren Licht nachts die geschwungene Dachform betont, den „Erfrischungsraum“ und die Werkstätten, in denen noch historische Zapf- und Ölsäulen stehen.
„In der historischen Substanz liegt unsere Geschichte“, betont Anna Joss. Daher sei es so wichtig, Denkmälern ein neues Leben zu geben, wenn die ursprüngliche Nutzung nicht mehr funktioniere. Um das zu ermöglichen, sind ihr auch Tribute an die moderne Nutzung willkommen. Das zeigt sie uns bei unserer nächsten Station: den 1962 erbauten Großmarkthallen, die auf ihrer ganzen Länge von mehr als 200 Metern von einem markanten, wellenförmigen Dach überspannt werden. In einem Teil firmiert das „Mehr! Theater am Großmarkt“, in dem von Oktober an „Harry Potter“ gezeigt werden soll. Extra dafür wurde vor den denkmalgeschützten Hallen ein modernes, rundes Kassenhaus errichtet. „Es fügt sich sehr gut ein und kann später wieder abgebaut werden.“
Nach einem kleinen Abstecher zur Oberhafen-Kantine, hinter deren Fenstern nach den Corona-Lockerungen schon wieder die ersten Gäste sitzen, endet unsere Tour an den Deichtorhallen. In ihrer erst zweijährigen Tätigkeit für den Hamburger Denkmalschutz hat sich Anna Joss schon viel Wissen über ihre Schützlinge in der Hansestadt angeeignet. Und so weiß sie auch, dass die 1911/1912 errichteten Deichtorhallen bis in die 80er-Jahre die Vorgängerhallen für den Blumen-, Obst- und Gemüsegroßmarkt waren.
Deichtorhallen müssen aufwendig saniert werden
Die Umwandlung der denkmalgeschützten Markthallen in Häuser für zeitgenössische Kunst und Fotografie habe ihnen ein „zweites Leben“ ermöglicht, sagt sie. Heute ist der damals erfolgte Umbau zu voll klimatisierten Ausstellungsräumen eine Herausforderung. „Hinter der Fassade hatte man eine zweite Fassade errichtet, was jetzt zu Feuchtigkeitsproblemen führt.“ Es werde eine aufwendige Sanierung, vermutet Anna Joss, die die Maßnahmen mit ihrem Amt natürlich begleiten wird.
Denkmalschutz und Denkmalpflege gelängen dann am besten, wenn sich neben ihrer Behörde auch Beteiligte wie Bauherren, Architekten, das Handwerk, Baukultur-Interessierte und andere städtische Behörden der Sache annähmen. „Je früher wir bei Bauvorhaben miteinander in Austausch treten, desto bessere Lösungen können wir finden. Dafür zu werben sehe ich als die wichtigste Aufgabe in meinem neuen Amt an“, sagt Anna Joss.
Eine weitere ist das Aufspüren neuer Denkmäler. Sie deutet auf ein Gebäude mit Backsteinfassade und Kupferverkleidungen, das sich auf der anderen Seite der Willy-Brandt-Straße erhebt: Es ist die Rückseite des Bauer-Verlags. „Die Formen und Materialien der umliegenden Kontorhäuser wurden hier aufgenommen und qualitätsvoll weiterentwickelt. Das ist typisch für die Postmoderne“, sagt Anna Joss.
Derzeit prüfen sie und ihre Mitarbeiter bei rund 730 Objekten aus der Zeit von 1975 bis 1995, welche sie in die Denkmalliste aufnehmen können. Eine gute Gelegenheit für Hamburgs oberste Denkmalpflegerin, ihre neue Heimatstadt noch besser kennenzulernen. Und nach Abschluss dieser Mammutaufgabe eine gute Gelegenheit für eine zweite Radtour.