Hamburg. Kameramann bei Mahnwache am Jungfernstieg angegriffen. Hamburger Initiative spricht von „gleichgeschalteten Medien“.

Das Offene Mikrofon versteht sich als „moderne Meckerwiese“ für alle möglichen Themen. Wer mag, kann sich das Mikro schnappen und bei der montäglichen Mahnwache am Jungfernstieg seinen Gedanken freien Lauf lassen – so auch am Montag. Gemeckert wird dort weiterhin und zurzeit besonders gern über die Corona-Auflagen – mal faktenfest, mal verstörend. Vor einer Woche behauptete eine Rednerin allen Ernstes: „Bill Gates trinkt Kinderblut.“

Nur blieb es am Montagabend nicht beim verbalen Protest. Ein freiberuflicher Kameramann wurde von einem der rund 25 Teilnehmer angegriffen, dabei wurde sein Objektiv beschädigt. Die Polizei, die mit einem größeren Aufgebot dort war, nahm die Personalien des Beschuldigten auf. Erst am Tag der Arbeit hatten rund 25 Schläger ein ZDF-Drehteam am Rande einer Demo gegen die Corona-Regeln in Berlin angegriffen. Vier der sieben Opfer kamen teils schwer verletzt ins Krankenhaus.

Protest gegen Corona-Regeln nimmt zu

Seit einigen Wochen nimmt der öffentliche Protest gegen die Corona-Regeln spürbar zu. So hatten sich am Wochenende vor dem Hamburger Rathaus rund 500 Demonstranten versammelt, während in anderen Städten, so in Stuttgart, bis zu 5000 Menschen auf die Straße gingen. Augenzeugen sprachen von einer diffusen, kaum trennbaren Melange aus Wutbürgern, Impfgegnern, Rechts- und Linksextremisten, Verschwörungsideologen und Bürgern, die sich keinem Spektrum zuordnen ließen.

Innensenator Andy Grote (SPD) sagte, bei den Demos gegen die Pandemie-Maßnahmen komme teilweise eine „ziemlich trübe Brühe“ zusammen.

Wie der Hamburger Verfassungsschutz mitteilte, gebe es in der Hansestadt keine Lage wie in anderen deutschen Städten. „Die Versammlungen sind bisher keine Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes, aber natürlich verfolgen wir die Situation sehr sensibel und aufmerksam und behalten die Entwicklung im Fokus“, sagte Behördensprecher Marco Haase. „Es ist nicht verwunderlich, wenn auch in Hamburg Extremisten, zum Beispiel aus dem Milieu der Reichsbürger oder des Rechtsextremismus, bei bestimmten Demonstrationen, die einen regierungskritischen Tenor haben, mitlaufen. Die Mischung der Teilnehmer ist nach bisherigen Erkenntnissen sehr bunt, vom normalen Bürger bis zum Verschwörungstheoretiker."

Neonazis mischen sich unter Demonstranten

So hatten sich auch bei der Kundgebung vor dem Rathaus am Sonnabend Rechtspopulisten und Neonazis unter die Demonstranten gemischt. Die Gefahr, die auch Hamburgs Behörden sehen: Hetzer von links und rechts könnten den bürgerlichen Protest gegen die Grundrechtseinschränkungen unterwandern, um andere zu radikalisieren.

Als eines der Gesichter des Corona-Protests gilt der ehemalige RBB-Moderator Ken Jebsen, der auf seinem Youtube-Kanal KenFM überwiegend Verschwörungstheorien produziert. Jebsen war am Sonnabend Hauptredner auf der Demo in Stuttgart. Zu den Galionsfiguren der Protestwelle zählen weiter der Ex-taz-Mitarbeiter Anselm Lenz, die Ärzte Wolfgang Wodarg und Bodo Schiffmann, der Sänger Xavier Naidoo und der Koch Attila Hildmann.

Speerspitze der Corona-Kritik ist die Protestbewegung und selbsternannte Partei „Widerstand 2020“, deren Anhänger auf Demos leicht zu erkennen sind: Viele tragen um den Hals eine Kugel aus Alufolie, den sogenannten „Querdenker-Bommel“.

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    Hamburger Initiative verweist auf Verschwörungstheoretiker

    Eine Gruppe, die auf ihrer Homepage ebenfalls auf Jebsen sowie den Widerstand 2020 verweist und mit dem von der Pegida-Bewegung bekannten Lügenpresse-Narrativ zumindest kokettiert, ist die Hamburger Initiative „Unsere Grundrechte“; jeden Sonnabend lädt sie am Jungfernstieg zu einem Spaziergang gegen die Corona-Auflagen ein.

    Bei Jebsen, Wodarg und Schiffmann haben „wir umfassende, einordnende Informationen bekommen, die uns in den Medien vorenthalten werden“, sagt Mitbegründerin Rosa von der Beek auf Abendblatt-Anfrage. Die Ingenieurin spricht von einem „historisch einmaligen Vorgang“, den man „Verschwörung“ nennen könne: „nämlich der sich gleichschaltenden Medien mit der Regierung, die unsere Grundrechte außer Kraft setzt.“

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    Von der Beek und ihre Mitstreiter bezeichnen sich als „dezidiert Linke“. Für die linksradikale Antifa ist die Gruppe hingegen ein Sammelbecken für „rechte Verschwörungstheoretiker“ und „Aluhütler“ – von der Beek widerspricht dem energisch. Es gehe der Gruppe um die „Wiederherstellung der im Grundgesetz verankerten bürgerlichen Freiheiten“.

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    Indes rät Verfassungsschutz-Sprecher Haase zu Wachsamkeit. Zwar sei die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. „Doch jeder sollte aufpassen, mit wem er da Seite an Seite läuft.“