Hamburg. Der Hamburger Witwe von Denis Cuspert alias Deso Dogg wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.
Die letzte Frau, die im Zusammenhang mit dem Terror des sogenannten Islamischen Staates (IS) vor einem Hamburger Gericht stand, trug im Saal traditionelle islamische Gewänder. Omaima A. mag es weltlicher: Zum Prozessauftakt vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) kleidet sich die Angeklagte so, wie sie sich seit ihrer Rückkehr aus dem syrischen Herrschaftsbereich des IS vor dreieinhalb Jahren meist gekleidet hat: westlich-modern. Über den blauen Blazer fallen ihre langen dunklen Haare, ihr Gesicht verbirgt die zierliche Frau vor den Fotografen hinter einem Heft.
Wohl auch mit dieser Art Mimikry war es der mutmaßlichen IS-Terroristin und Witwe des berüchtigten deutschen IS-Schergen Denis Cuspert gelungen, im Hamburger Stadtteil Neugraben unterzutauchen. Vier Jahre zuvor sah man Omaima A. nach den Ermittlungen noch im Hijab und mit einer Kalaschnikow AK 47 durch die IS-Hochburg Raqqa laufen.
Berichterstattung über den Prozess aus 150 Metern Entfernung
Am Montag beginnt der Prozess gegen die in Hamburg geborene Deutschtunesierin unter den in Corona-Zeiten zur Normalität gewordenen absonderlichen Umständen: Nur sechs Zuhörer werden in den Gerichtssaal eingelassen; fast ein Dutzend Berichterstatter sitzt rund 150 Meter entfernt und abstandsgerecht im Plenarsaal des OLG. Über zwei Lautsprecher wird das Geschehen übertragen, ein Bild dazu gibt es nicht, so will es das Gesetz. Man hört dann, wie Omaima A. auf die Frage des Vorsitzenden nach ihrem Familienstand recht zögerlich antwortet: verwitwet.
Kaum vorstellbar, dass die Angeklagte eine derartige Medienöffentlichkeit erfahren hätte, wäre sie nicht mit einem der meistgesuchten IS-Terroristen der Welt verheiratet gewesen: dem gebürtigen Berliner Denis Cuspert alias Gangsterrapper Deso Dogg alias Abu Talha al-Almani. Mit ihm hat sie eine gemeinsame drei Jahre alte Tochter – ihre drei anderen Kinder stammen von zwei verschiedenen Männern. Cuspert starb im Januar 2018 bei einem Luftangriff nahe der syrischen Stadt Gharanij.
Omaima A. soll eine 13-Jährige als "Sklavin" gehalten haben
Die Bundesanwaltschaft legt Omaima A. eine lange Liste schwerer Straftaten zur Last, darunter die Mitgliedschaft beim IS, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ausbeuterischen Menschenhandel. Nach den Ermittlungen der Karlsruher Behörde soll sie zwischen Frühjahr und Sommer 2015 in Syrien ein 13 Jahre altes jesidisches Mädchen als „Sklavin“ gehalten haben.
Das Kind musste sich demnach um Omaima A.s älteste Tochter und den Haushalt kümmern. Dabei habe die Angeklagte im Sinne der IS-Ideologie gehandelt, wonach die Jesiden „rechtlose Teufelsanbeter“ seien und die Versklavung jesidischer Frauen religiös gerechtfertigt sei. Weil Omaima A. die 13-Jährige auf Bitten einer Freundin bei sich aufgenommen haben soll, komme möglicherweise eine Beihilfe zum ausbeuterischen Menschenhandel in Betracht, so das Gericht.
Anwalt spricht von "juristischen Tricksereien" der Anklage
Zwar will sich Omaima zu den Anschuldigungen zunächst nicht äußern – den Sklaverei-Vorwurf wies sie aber bereits am Montag über ihren Verteidiger Tarig Elobied scharf zurück: Weder habe seine Mandantin eine Sklavin „besessen“, noch habe sie eine gewollt, noch habe sie einen Menschen zur Arbeit gezwungen.
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Die Bundesanwaltschaft überspanne den Bogen zudem, so Elobied, wenn sie der Angeklagten mit Blick auf die Verbringung der Kinder ins syrische IS-Gebiet eine Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht vorwerfe. Mit „juristischen Tricksereien“ werde das „Führen eines Haushalts und die Kindererziehung zu strafbaren Handlungen stigmatisiert“, sagte Elobied.
Omaima A. soll Cuspert 2015 geheiratet haben
Dem Hamburger Verfassungsschutz war Omaima A. spätestens seit 2012 als Salafistin und Dschihadistin bekannt. Laut Bundesanwaltschaft reiste sie im Januar 2015 ihrem zweiten Ehemann Nadir Hadra, in der deutschen Salafisten-Szene als „Stimme der Wahrheit“ bekannt, ins syrische IS-Gebiet hinterher. Mit dabei: ihre zwei gemeinsamen Kinder (damals 1 und acht Monate) und ihre sieben Jahre alte Tochter aus einer früheren Ehe.
In Raqqa lebte sie zunächst in einem Frauenhaus, später zog sie mit Hadra zusammen, soll ihre Kinder „im Sinne der IS-Ideologie“ erzogen haben. Nachdem Hadra im Frühjahr 2015 bei einem Luftangriff getötet worden war, nahm Omaima A. eigeninitiativ Kontakt zu Denis Cuspert auf. „Hadra hatte zu Lebzeiten bereits den Wunsch geäußert, sie möge Cuspert nach seinem Tod heiraten“, so die Bundesanwaltschaft. Spätestens im August 2015 soll sie ihn geheiratet haben, nach islamischem Recht.
Omaima A.s Telefon wurde seit 2017 abgehört
Lange währte das Extremisten-Glück nicht: Omaima A. zerstritt sich mit Cuspert, kehrte am 1. September 2016 nach Deutschland zurück. Am 6. September wurde ihre jüngste Tochter in Hamburg geboren. In Neugraben lebte die „Übersetzerin und Dolmetscherin“ dann ein normales Leben, scheinbar unbehelligt. Tatsächlich hatten die Behörden die 35-Jährige aber schon lange auf dem Schirm.
Eine am Montag öffentlich gemachte Selbstlese-Liste des Gerichts enthält eine Reihe von telefonischen Abhörprotokollen, die auf das Jahr 2017 datieren. Offen bleibt indes, warum Omaima A. erst im September 2019 verhaftet wurde. Allerdings dürfte auch der Druck auf die Ermittler enorm gestiegen sein, nachdem im April 2019 die Journalistin Jenan Moussa die Verstrickung von Omaima A. in die Machenschaften des IS in einem TV-Beitrag enthüllt hatte. Moussa konnte auf Tausende Fotos zurückgreifen, die nach ihren Angaben auf dem in Syrien gefundenen Handy der Angeklagten gespeichert waren.
Den Beitrag spielte das Gericht am Montag ab. So wie ein zweites Video, das bei der Durchsuchung ihrer Wohnung entdeckt worden war: eine Art frömmelnde digitale Liebesbotschaft an ihren Ehemann Nadir Hadra, aufgenommen im Juni 2017 – mehr als zwei Jahre nach seinem Tod in Syrien.