Hamburg. Weil der Druck zu Hause wächst, nutzen viele Väter und Mütter Beratungsangebote. Welche Fehler jetzt vermieden werden sollten.

Druck im Job, Enge in der Wohnung, unzufriedene und nörgelnde Kinder und kaum Aussicht darauf, dass sich die Situation zeitnah entspannt: Die Coronakrise sorgt zunehmend für Belastungen in den Familien. Und das schlägt sich inzwischen auch in Zahlen nieder. Laut Angaben des Hamburger Kinderschutzbundes ist die Zahl der telefonischen Beratungsgespräche um etwa das Dreifache gestiegen. Um der großen Nachfrage gerecht zu werden, wurden die Beratungszeiten inzwischen ausgeweitet (siehe Ende des Textes).

„Viele Eltern, die sich jetzt bei der Hotline melden, klagen über Stress und Überforderung“, sagt Ralf Slüter, Geschäftsführer des Hamburger Kinderschutzbundes. Besonders Alleinerziehende mit mehreren kleinen Kindern seien betroffen. Konkret sind es Fragen wie diese: Was mache ich, wenn ich mit dem Druck nicht zurechtkomme? Wenn ich merke, dass ich laut werde? Oder: Ich fühle mich schlecht, weil mein Kind zu viel auf dem Handy oder Tablet spielt. Was soll ich tun?

Perfektionismus ist in Coronakrise nicht hilfreich

Fragen, auf die es selten einfache Antworten gebe. „Die Rahmenbedingungen sind dafür derzeit einfach zu unnatürlich“, sagt Slüter. „Mechanismen, die sonst funktionieren, greifen nicht mehr.“ Aber gerade weil die Rahmenbedingungen im Moment so sind, wie sie sind, sei es wichtig, die eigene Haltung und Einstellung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Was aber heißt das genau?

„Hilfreich ist sicher der Gedanke, dass das im Moment nicht die Zeit ist, um als vermeintlicher Super-Papa oder Super-Mama zu glänzen. Das kann einfach im Moment nicht gelingen.“ Vielmehr sei die Coronazeit eine Zeit der Provisorien, der Kompromisse und der Kreativität. „Wer jetzt versucht, alles perfekt zu machen, wird scheitern.“

Nicht ohne Plan in den Tag hineinleben

Weiter beobachtet Slüter, dass Pro­bleme, die mutmaßlich auch vorher schon da waren, jetzt besonders in den Fokus geraten – etwa, dass die Kinder zu viel fernsehen. Hier wäre Slüters Rat: „Probleme, die nicht jetzt gerade gelöst werden müssen, sollte man auf nach Corona verschieben. Das ist gerade nicht die Zeit, um Nebenschauplätze aufzumachen, die Kraft kosten.“

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    Weiter empfiehlt Slüter: „Auch wenn es verlockend ist, man sollte nicht ohne Plan in den Tag hineinleben. Kinder brauchen jetzt eine ganz feste Struktur, auf die sie sich verlassen können.“ Dazu zählen Spaßzeiten genauso wie Zeiten, in denen Eltern arbeiten müssen. „Kinder haben ein Recht darauf, dass es innerhalb eines Tages eine Phase für Spaß und selbstbestimmtes Tun gibt.“ Ebenfalls wichtig – aus gesundheitlichen Gründen, aber auch, um die Stimmung zu heben: „Kinder müssen sich bewegen. Feste Zeiten für Sport und Aktivität sind für alle gut und sorgen für Ausgleich.“ Abläufe würden besser funktionieren, deutlich besser, wenn sie jeden Tag gleich sind. Dann gebe es auch weniger Konflikte.

    Erwachsene sollten sich wie Erwachsene verhalten

    Aber die Wahrheit ist auch: Manchmal fahren die Tage trotz guter Vorbereitung, Struktur und Optimismus irgendwann an die Wand. Das weiß auch Slüter. „Wenn Druck im Kessel ist, dann kann man das nicht einfach kleinreden.“ Aber so belastend die Situation auch sein mag: „Es ist wichtig, dass sich Erwachsene wie Erwachsene verhalten. Man darf alles fühlen. Man sollte aber nichts tun, was nicht wiedergutzumachen ist.“ Schließlich wisse jeder, der erwachsen ist, dass Kinder quengeln, am Rockzipfel hängen, übellaunig und bisweilen stimmungsschwankend sein können, vor allem, wenn sie sich nicht bewegen können und ihre Freunde nicht sehen dürfen.

    Das Haus des Kinderschutzbundes am Sievekingdamm 3.
    Das Haus des Kinderschutzbundes am Sievekingdamm 3. © Andreas Laible

    Aber: „Es sind Kinder und sie haben ein Recht darauf, all das zu sein“, so Slüter. Wer sich das bewusst macht, der neigt weniger dazu, den Kindern die Verantwortung oder gar die Schuld für eine Spannungssituation zu geben. „Und wer versteht, dass Kinder zwar anstrengend sein, aber nie schuld sein können, der wird nicht handgreiflich werden“, so Slüter weiter.

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    Ob die These stimmt, dass die jetzige Situation zu mehr Fällen von häuslicher Gewalt führt, könne er nicht mit letzter Sicherheit sagen. „Aber die Vermutung, dass Extremsituationen auch zu extremen Handlungen führen, liegt nahe“, so Slüter. Eine weitere Gefahr: „Die Menschen, die sonst schnell bemerken, wenn etwas nicht stimmt, können im Moment ja gar nicht getroffen werden. Dazu zählen Freunde und Bekannte genauso wie Erzieher und Lehrer. Wir sind also in großer Sorge.“