Hamburg. Initiative sorgt sich um das Wohl der Kleinsten und appelliert an Politik. Mehr Betreuungsanfragen an Hamburger Kitas.

Wenn Juliane Broß mit ihrer fünfjährigen Tochter Zoe draußen unterwegs ist, muss sie ihre Tochter immer wieder von anderen Kindern wegziehen. Immer dann, wenn Zoe schnurstracks auf Gleichaltrige zusteuert. Denn auch für Kinder gilt in der Coronakrise: Abstand halten. Doch nach mehr als sechs Wochen ohne andere Kinder gerät die Welt der kleinen Zoe aus den Fugen. „Wann bekomme ich eine kleine Schwester, damit ich nicht allein bin?“, fragt sie ihre Mutter in regelmäßigen Abständen. Juliane Broß zerreißt diese Frage das Herz. Darum hat sie gemeinsam mit anderen Eltern eine Initiative gegründet, um auf die aktuellen Probleme aufmerksam zu machen. Dabei geht es nicht nur um den Spagat zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung. Es geht ihnen um das Wohl ihrer Kinder.

„Die Politik hat die Kinder vergessen“, sagt Juliane Broß, die Hamburger Sprecherin der bundesweiten Initiative #elterninderkrise. „Kitas und ein Großteil des Schulsystems bleiben weiterhin geschlossen, Kinder dürfen keinerlei Kontakt zu Freunden oder Großeltern haben, Spielplätze sind gesperrt, und auch aus Supermärkten werden sie mancherorts verbannt.“ Sie selbst hat es erlebt, dass sie mit ihrer Tochter nicht im Supermarkt einkaufen sollte. Ein Schild am Eingang verwies darauf, das Geschäft möglichst ohne Kinder zu betreten. „Einkaufen ist kein Familienausflug“, stand da. „Für mich als alleinerziehende Mutter ist das nicht umsetzbar und darum absolut realitätsfern“, sagt die 36-Jährige. „Ich denke außerdem, dass jeder, der ein Kind hat, weiß, dass Einkaufen kein Ausflug ist. War es vor der Pandemie übrigens auch nicht.“

Familien fordern von der Politik Lösungen in der Coronakrise

Das größere Thema als diese Ausgrenzung sei aber, dass den Eltern von Kleinkindern die Perspektive auf eine Entlastung fehle. Über die gegründete Elterninitiative unterstützen sich die Familien gegenseitig mental, sammeln Ideen und fordern im Kollektiv von der Politik Lösungen. „Familien sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft sowie der Wirtschaft und dürfen bei der Diskussion nicht vergessen werden“, sagt Broß.

Die vergangenen Wochen haben die Inhaberin einer PR-Agentur an den Rand ihrer Kräfte gebracht – so wie Tausende andere Eltern. Viele Familien würden unter der Situation leiden, es käme zu Spannungen. „Wir können nicht mehr“, sagt Juliane Broß. Und es sei kaum zu ertragen, welche Schäden die Isolation in den Seelen der Kinder hinterlasse. „Es muss sich etwas ändern, sonst zerbricht ein System, das für viele durchaus relevant ist.“

Eltern an der Belastungsgrenze

Als Alleinerziehende kann Broß ihre Tochter seit vergangenem Montag in die Kita-Notbetreuung geben. Zoe sei danach wie ausgewechselt gewesen. „Das hat mir gezeigt, was soziale Kontakte mit der Kinderseele machen“, sagt Broß. „Ich hoffe, dass die Regierung diese Regelung lockert, denn auch nicht offiziell Alleinerziehende fühlen sich in diesen Tagen häufig alleinerziehend. Wenn Eltern an der Belastungsgrenze und nicht mehr in der Lage sind, ihre Kinder liebevoll und besonnen zu betreuen, sollten sie die Möglichkeit haben, die Notbetreuung zu nutzen.“

Dass immer mehr Eltern diese Möglichkeit nutzen oder gerne nutzen würden, merken auch die Kitas. Während in den vergangenen Wochen höchstens fünf Prozent aller üblicherweise betreuten Kinder – rund 90.000 in den Krippen, Kitas und Kindertagespflege – die Notbetreuung in Anspruch genommen haben, ist diese Zahl laut Sozialbehörde in dieser Woche bis auf neun Prozent angestiegen. „Angesichts der schrittweisen Öffnung weiterer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens seit dem vergangenen Montag entspricht es unserer Erwartung, dass weitere Personen von der Notbetreuung haben Gebrauch machen müssen“, sagt Sprecher Martin Helfrich. „Wir rechnen auch in den kommenden Tagen mit einem weiteren Anstieg der Nutzung, insbesondere durch Alleinerziehende.“

Verdoppelung der Kinder in der Notbetreuung

Doch es sind bei Weitem nicht nur die Alleinerziehenden, die die Notbetreuung nun verstärkt in Anspruch nehmen. In den Kitas unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, in denen normalerweise rund 5400 Kinder betreut werden, gebe es „vermehrt Eltern-Ansagen, in systemrelevanten Berufen tätig zu sein“.

Dazu zählten jetzt auch vermehrt Pädagogen und Erzieher, die ihrerseits in den Einrichtungen benötigt werden. „Über ganz Hamburg verzeichnen wir in dieser Woche etwa eine Verdoppelung der Kinder in der Notbetreuung“, sagt Martin Peters, Referent Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung. „Insgesamt sind wir aber tief beeindruckt, wie verantwortlich die Hamburger Sorgeberechtigten bisher mit diesem Angebot der Notbetreuung umgehen.“

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

Die Sozialbehörde stellt klar, dass die Notbetreuung weiterhin nur nutzen darf, „wer unbedingt darauf angewiesen ist und die Betreuung nicht anders organisieren kann“. Familien, bei denen ein Elternteil im Homeoffice arbeitet, gehörten beispielsweise nicht dazu. Die Darlegungspflicht liege bei den Eltern.

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    Die CDU-Bürgerschaftsfraktion will Eltern unterstützen und fordert, „eine kontrollierte und maßvolle Nutzung“ der Spielplätze wieder zu ermöglichen. „Es gilt, neben einem disziplinierten und coronagerechten Miteinander auch kreative Lösungen für Kinder und Eltern zu entwickeln“, sagt die familienpolitische Sprecherin Silke Seif. Insbesondere kleine Kinder litten unter Bewegungsmangel.