Hamburg. Auch die Architektenkammer kritisiert den Entwurf der Bahn. Der Bezirk Altona plädiert für einen Wettbewerb.
900 S-Bahnen, Regional- und Fernzüge gleiten Tag für Tag über die Sternbrücke in Altona. 50.000 Fahrzeuge unterqueren die Brücke täglich auf der Stresemannstraße und der Max-Brauer-Allee. Die Sternbrücke, erbaut 1925/26, zählt zu den großen Verkehrsknotenpunkten in Deutschland. Jetzt wird um das Bauwerk massiv gestritten.
Wie das Abendblatt berichtete, soll die Brücke einem Neubau weichen. Ab 2023 sollen die Bauarbeiten beginnen, 2027 soll die Konstruktion mit nach innen gekippten Stabbögen eingeweiht werden. Die Kosten von 125 Millionen Euro teilen sich Stadt und Bahn.
Entwurf sorgt für Kritik
Doch der vergangene Woche vorgestellte Entwurf sorgt für Kritik – sowohl bei Abendblatt-Lesern („verschandelt das Stadtbild“, „Zerstörung eines historisch bedeutsamen Ensembles“) als auch beim Hamburger Denkmalverein, der für eine Sanierung der denkmalgeschützten Brücke plädiert. Für den Bund Deutscher Architekten und Architektinnen (BDA) wird „ein Stück Hamburger Identität geopfert“. Dabei geht es auch um die dort beheimateten Musikclubs, die einem Neubau weichen müssten.
Am Freitag schaltete sich nun mit der Hamburgischen Architektenkammer (HAK) ein Schwergewicht in die Diskussion ein. Die Entscheidung für eine stützenfreie Brücke über die Kreuzung Max-Brauer-Allee/Stresemannstraße sei falsch: „Erst aufgrund dieser Maßgabe wurde ein Brückenbauwerk notwendig, dessen Dimensionen die Kleinteiligkeit und den Maßstab des Umfelds vollkommen negieren und sprengen.“
Zentrale Frage
Die Architektenkammer spricht damit die zentrale Frage in der Auseinandereinandersetzung um die neue Sternbrücke an. Wie viel Platz braucht der Straßenraum unter der Brücke? Für Autos, Busse, Radfahrer und Fußgänger?
Die Grünen-Fraktion in Altona, die in der Bezirksversammlung klar die Mehrheit der Abgeordneten stellt, verlangt eine Neuplanung. Man brauche „städtebauliche und verkehrsplanerische Instrumente“, die zu einer „Begrenzung der Pkw-Verkehrsnachfrage beitragen“, heißt es in einem Antrag, der am Donnerstag vom Hauptausschuss in den Planungsausschuss verwiesen wurde. Die vorgesehene „Erweiterung der Verkehrsfläche“ sei nicht mehr zeitgemäß.
Bürgerbeteiligung sorgt für Diskussionsstoff
Stefanie von Berg (Grüne), die als Bezirksamtschefin bei ihrem Amtsantritt im Dezember 2019 vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, hält zwar die Planung von mehr Straßenraum unter der Brücke für den richtigen Weg, „weil er Chancen für eine fahrrad- und fußgängerfreundliche Verkehrsplanung eröffnet“. Aber auf Abendblatt-Anfrage sagt sie auch: „Langfristig wünsche ich mir eine durchgängige Einspurigkeit der Stresemannstraße, ergänzt um eine Busspur, eine Radverkehrsanlage und einen Fußweg.“
Für Diskussionsstoff sorgt zudem die Bürgerbeteiligung bei der Planung. „Die bisherigen Planungen zur Sternbrücke liefen vollständig hinter verschlossenen Türen ab“, kritisiert die Architektenkammer Das Verfahren sei „intransparent“: „Die Bevölkerung erfuhr von den konkreten Planungen erst jetzt, unmittelbar vor Beginn des Planfeststellungsverfahrens. Dies ist angesichts der Tragweite der Entscheidungen und der Bedeutung des Projekts nicht akzeptabel und gilt es bei künftigen Infrastruktur-Großprojekten zu vermeiden.“
„Sehr enger gestalterischer Spielraum“
Und dann geht es naturgemäß um die architektonische Qualität des Entwurfs. „Die Frage bleibt, ob der jetzt vorliegende Entwurf aus städtebaulicher Sicht wirklich die beste Lösung ist. Nach meiner Überzeugung wäre ein Architekten-Wettbewerb sinnvoll“, sagt Stefanie von Berg. Auch der BDA plädiert für ein „öffentliches Wettbewerbsverfahren“, um „nach einem hervorragenden und wieder zeitgemäßen identitätsstiftenden Entwurf für einen Neubau zu suchen“.
Das Abendblatt konfrontierte die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen mit der Kritik. Diese erklärte die Verkehrsbehörde für zuständig, die wiederum auf die Antwort der Bahn-Pressestelle verwies. Dort heißt es, dass die „Planung mit einer Überführung von vier Gleisen grundsätzlich eine komplexe Ingenieurleistung“ sei, die „eisenbahntechnischen Anforderungen“ unterliege: „Die Möglichkeiten der technischen Ausgestaltung und die Planungsflexibilität sind somit generell durch festgelegte technische und betriebliche Parameter begrenzt.“ Daher gebe es nur einen „sehr engen gestalterischen Spielraum“, was die „Möglichkeiten eines öffentlichen Wettbewerbs stark einschränkt“.
Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof äußert sich positiv über Entwurf
Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD) hatte sich in der Pressemitteilung bei der Präsentation sehr positiv über den Entwurf geäußert: „Das neue Bauwerk wird 100 Jahre stehen müssen. Deswegen bin ich sehr damit einverstanden, dass wir eine stützenfreie Lösung bekommen werden. Um die Stand- und Anprallsicherheit bei Lkw-Unfällen müssen wir uns dann keine Sorgen mehr machen. Für Fußgänger und Radfahrende bekommen wir endlich mehr Platz.“
Spannend wird nun, wie sich die Diskussion angesichts der neuen Machtverhältnisse im Senat entwickeln wird. Die Grünen werden einfordern, dass der motorisierte Individualverkehr zurückgedrängt wird. Doch gerade macht der Mix aus Autoverkehr, hoch frequentierten Buslinien und mehr Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer jede Planung so komplex. Kann eine Stützenkonstruktion diesen Herausforderungen gerecht werden? Zudem müsste die Bahn auch bei der vom Denkmalverein bevorzugten Sanierungsvariante neue Auflagen erfüllen – sowohl beim Lärmschutz als auch für Fluchtwege, falls ein Zug evakuiert werden muss. Die Sternbrücke, so heißt es bei der Bahn, sähe auch nach einer Sanierung ganz anders aus.