Hamburg. Am 3. Mai vor 75 Jahren besetzten britische Truppen kampflos Hamburg und bombardierten die „Cap Arcona“ und „Thielbek“.
„Wir waren besinnungslos vor Freude“ – das berichtete der polnische KZ-Häftling Tadeusz Kwapinski über seine Gefühle beim Anblick der ersten englischen Panzer am 3. Mai 1945 in Neustadt/Holstein. Die Briten hätten ihnen die Freiheit gebracht. Kwapinski gehörte zu den rund 450 Überlebenden der „Cap Arcona“-Tragödie.
Auf das ehemalige Passagier- und Lazarettschiff hatte die SS 4200 Häftlinge aus dem KZ Neuengamme gebracht. Weitere 2800 Gefangene befanden sich auf dem Frachter „Thielbek“. Beide Schiffe hatten in der Lübecker Bucht vor Anker gelegen und waren an jenem Tag von der Royal Air Force bombardiert worden. Die meisten Häftlinge an Bord starben im Feuer oder ertranken.
40.000 Häftlinge in Neuengamme starben kurz vor dem Krieg
Kann das Ende des KZs Neuengamme vor 75 Jahren als Befreiung erinnert werden? „Dem Begriff „Befreiung“ haftet natürlich eine gewisse Ambivalenz an“, sagt der Historiker und Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, Detlef Garbe, mit Blick auf die damaligen Geschehnisse. In den letzten Wochen des Krieges sei ungefähr die Hälfte der mehr als 40.000 Häftlinge in Neuengamme und seinen Außenlagern gestorben. Tausende kamen bei den sogenannten Todesmärschen nach Wöbbelin bei Ludwigslust, Sandbostel bei Rotenburg/Wümme oder Bergen-Belsen nahe Hannover ums Leben. Allein 1000 verbrannten in einer Scheune bei Gardelegen (Sachsen-Anhalt).
Tatsächlich seien an jenem Tag aber auch mehrere Tausend Gefangene aus Neuengamme befreit worden, sagt Garbe. Rund 2000 Menschen befanden sich auf dem ehemaligen Frachter „Athen“. Kurz vor dem Luftangriff der Briten war er in den Hafen von Neustadt gefahren, um noch mehr Häftlinge, die aus dem KZ Stutthof bei Danzig über die Ostsee gebracht wurden, an Bord zu nehmen. Damit entging er dem Luftangriff.
Die Briten bombardierten die Schiffe vermutlich, weil sie annahmen, deutsche Truppen wollten sich in das noch besetzte Dänemark oder Norwegen oder in das von der Reichsregierung in Flensburg gehaltene Schleswig-Holstein absetzen, erklärt Garbe. Geheimdienstinformationen, wonach es sich um KZ-Schiffe handelte, erreichten die Befehlshaber wohl zu spät. Gegen einen britischen Major lief später ein Militärermittlungsverfahren. Die Akten dazu sind allerdings bis heute unter Verschluss.
Was mit KZ-Häftlingen passieren sollte, ist ein Rätsel
Was die SS mit den Gefangenen auf den Schiffen vorhatte, ist unklar. Überlebende Häftlinge berichteten, dass sie befürchteten, ermordet zu werden. Garbe ist überzeugt, dass der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann und Kampfkommandant Alwin Wolz das KZ geräumt haben wollten, um Gefangene und SS-Mannschaften loszuwerden. Beide Gruppen hätten die kampflose Übergabe der Stadt an die Briten gefährden können. Die Gefangenen hätten sogleich die Nazi-Verbrechen offenbart, die SS-Einheiten möglicherweise weiter gekämpft.
Dass die Schiffe mit den Häftlingen auf der Ostsee versenkt werden sollten, glaubt Garbe nicht. Dafür seien zu viele Wachmannschaften und SS-Besitz an Bord gebracht worden. Die spätere Aussage von Kaufmann, die SS habe die Gefangenen an das Rote Kreuz übergeben wollen, hält er gleichwohl für eine Schutzbehauptung.
Als die Briten kamen, war Neuengamme verlassen
Anders als bei der Übergabe der skandinavischen Gefangenen im März und April 1945 an das schwedische Rote Kreuz habe es keinen Versuch der Kontaktaufnahme mit der Hilfsorganisation gegeben. „Man wollte die Häftlinge fortschaffen. Was man dann mit ihnen machen wollte (...), vermag ich nicht zu sagen“, bekennt Garbe. Die Frage gebe der historischen Forschung bis heute Rätsel auf.
Die kampflose Übergabe Hamburgs gelang. Am Nachmittag des 3. Mai 1945 fuhren britische Panzer über die Elbbrücken bis zum Rathaus, wie der Autor Uwe Bahnsen in seinem Buch „Hanseaten unter dem Hakenkreuz“ schreibt. Am Vortag hatte ein erster Erkundungstrupp der Briten das Lager in Neuengamme erreicht. Es war komplett verlassen.
Nur Stunden zuvor waren die letzten 150 Gefangenen weggebracht worden. Das Restkommando hatte alle Spuren der Verbrechen und Akten beseitigen sollen. Mehrere Hundert Häftlinge hatte die SS nach Hamburg-Langenhorn gebracht. Sie hatten nach Angaben von Garbe als letztes Aufgebot gegen die Briten eingesetzt werden sollen.