Halstenbek. Ein Gymnasium in Halstenbek führt ein neues Projekt ein, bei dem Oberstufenschüler Jüngere durch die Gedenkstätte führen.
Sollte der Besuch in einer KZ-Gedenkstätte für Schülerinnen und Schüler verpflichtend werden? Das Wolfgang-Borchert-Gymnasium in Halstenbek positioniert sich ganz klar: Ja! Dabei geht die Schule als eine der ganz wenigen in Schleswig-Holstein noch einen Schritt weiter. In einem Kooperationsprojekt mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme haben Oberstufenschüler des Gymnasiums die Möglichkeit, sich außerhalb des normalen Lehrplans mit dem Holocaust auseinanderzusetzen und ihr Wissen dann bei einer Führung weiterzugeben – an Schüler der neunten Klassen.
Die Schülerinnen und Schüler der Klasse Q2d, das Geschichtsprofil, bereiteten sich zusammen mit ihrer Klassenlehrerin Claudia Eisert-Hilbert intensiv auf dieses Projekt vor, um die Neuntklässler ihrer Schule bestmöglich durch die Gedenkstätte führen zu können. „Das Schöne an der Idee ist, dass sie so nah dran an den jüngeren Schülern sind und diese so viel besser erreichen, als wenn es Erwachsene wären, die sie zu einer solchen Exkursion zwingen würden“, sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die dem Wolfgang-Borchert-Gymnasium nun einen Besuch abgestattet hat, um sich über das Schülerprojekt zu informieren.
Wer den 17 bis 18 Jahre alten Schülerinnen und Schülern zuhört, ist überrascht von ihrer Eloquenz und ihrem ehrlichen Interesse an dem Projekt. Sie erklären ihre Arbeit sachlich, gleichzeitig ist ihre Ergriffenheit spürbar. Den Schwerpunkt ihrer diesjährigen Führung durch die KZ-Gedenkstätte haben die Schüler selbst gewählt, sie beschäftigten sich mit Täterbiografien. „Für uns ist es nicht nur eine Schularbeit, sondern reines Interesse. Das Besondere ist, dass wir uns so nicht nur mit trockenen Fakten auseinandersetzen“, sagt Ryan Marett, einer der Schüler der Q2d. Seine Mitschüler stimmen ihm zu, für sie ist es außerdem ein ganz anderer Anreiz als andere Schulprojekte, da sie die Ergebnisse im Nachhinein anderen Schülern präsentieren müssen. Sie nehmen es als „eigenen Bildungsauftrag“ wahr, was schon an der Ernsthaftigkeit deutlich wird, mit der alle Schüler über das Projekt sprechen.
Persönliche Berührungspunkte fehlen, Großeltern reden nicht
Ein KZ-Besuch als Pflicht für Schüler – ist diese Idee überhaupt tragbar? Das Interesse der Q2d an dem Projekt zeigt zumindest in diesem Fall eindeutig: Ja. „Projekte wie dieses sind so wichtig, damit wir kollektiv aus der Geschichte lernen können. Es ist schließlich an uns, zu verhindern, dass Verbrechen wie im Nationalsozialismus noch einmal passieren“, sagt Bendix Beyer, ein weiterer Schüler. Alle sind sich einig: Setzten sie sich in der Schule nicht so intensiv mit dem Holocaust auseinander, würde die Distanz zwischen ihnen und den schrecklichen Geschehnissen des Nationalsozialismus immer größer werden. Schließlich sind sie viel zu jung, um in irgendeiner Weise persönliche Berührungspunkte mit den Geschehnissen zu haben. Wenn sie mit ihren Großeltern über diese Zeit sprechen wollten, berichten mehrere Schüler, blockten diese meist nur ab. Und aus Geschichtsbüchern lerne man nur Fakten, „die einem schnell aus den Ohren raushängen“.
Bildungsministerin Karin Prien sagt: „Es gibt in unseren jüngeren Generationen keine persönliche Schuld mehr. Dafür ist es aber umso wichtiger, dass wir uns unserer nationalen Verantwortung bewusst sind, das Geschehene weiter aufzuarbeiten. Ein solches Menschheitsverbrechen passiert nicht von jetzt auf gleich, sondern ist ein schleichender Prozess.“ Deshalb sei Aufklärung besonders wichtig, und dass die schon in der Schulzeit anfängt, erscheine dabei ganz logisch – das sehen die Lehrer und die Schüler so.
„Schon unsere Neuntklässler setzen sich durch den Besuch der Gedenkstätte Neuengamme mit der Geschichte auseinander, auch wenn es bei den Jüngeren dann meist noch nicht ganz so ankommt. Aber unsere Oberstufenschüler wählen ihr Profil teilweise sogar mit Ausblick auf dieses Projekt, daran sieht man, wie nachhaltig der Lerneffekt ist“, sagt Profillehrerin Claudia Eisert-Hilbert. „Natürlich ist es ziemlich hart, sich so lange mit diesen schrecklichen Taten auseinanderzusetzen. Aber wenn man versucht, relativ rational zu bleiben, kann man viel daraus lernen“, sagt Schüler Bendix Beyer. „Und dadurch, dass wir schon in der neunten Klasse dabei waren, haben wir uns echt intensiv mit dem Thema beschäftigt.“
Laut Schulleiter Veit Poeschel ist das auch das Einzige, was man tun kann: „Dranbleiben, sich einsetzten und sich engagieren.“