Hamburg. Schulsenator hatte sich vor Ostern bei Lehrern für ihren Einsatz im Homeschooling bedankt. Viele Mütter und Väter sehen das anders.
Es waren überschwängliche Worte, mit denen Schulsenator Ties Rabe (SPD) den Hamburger Lehrern vor Ostern für ihr Engagement beim Homeschooling und ihre neue „digitale Leidenschaft“ gedankt hatte. Doch bei vielen Eltern, deren Kinder seit mittlerweile fast fünf Wochen zu Hause lernen, stößt die Lobeshymne auf Unverständnis. Sie berichten vom Fehlen digitaler Kompetenz bei Lehrern, mangelnder Betreuung und schlechten Lernvoraussetzungen in Flüchtlingsunterkünften – und sind sich einig: Auch Eltern und Schüler hätten gelobt werden müssen.
In ihren (hier stark gekürzten) Zuschriften beklagen viele Eltern, dass ihre Kinder die Wochenaufgaben per E-Mail erhalten und sie diese ausdrucken müssten, damit sie bearbeitet werden können – teilweise bis zu 50 Seiten pro Schüler. Die Aufgaben wären „abfotografiert aus einem Buch oder Workbook, oftmals nicht sortiert, ein heilloses Durcheinander und oft als jpg-Bilddatei nicht für ein digitales Bearbeiten am PC geeignet“, schreiben Eltern aus Langenhorn, deren Kind die Stadtteilschule am Heidberg besucht.
Kritik an der Unkoordiniertheit von manchen Lehrern
Die Aufgaben müssten innerhalb einer Arbeitswoche erledigt und vom Kind mit den – ebenfalls per Mail – mitgeschickten Lösungen verglichen und dem Lehrer mitgeteilt werden. „Gerade in Mathe und in Englisch kommt es zumindest bei unserem Kind zu großen Problemen. Dadurch wird uns Eltern eine Menge abverlangt“, schreiben sie. Konkrete Hilfestellungen gebe es nicht. Auf Eigeninitiative informiere man sich jetzt bei kostenpflichtigen Abonnements wie sofatutor oder in Lernvideos auf YouTube.
Frank Kitschke, dessen Tochter die neunte Klasse eines Gymnasiums besucht, kritisiert die Unkoordiniertheit, mit der die Lehrer vorgehen. „Es wurden Aufgaben verteilt, die meine Tochter auf GoogleClassroom, Microsoft Teams, einfach per E-Mail, auf Zoom und auf einigen Portalen mehr zu bearbeiten hatte. Dabei wurde vorausgesetzt, dass meine Tochter alle Portale bearbeitet, installiert und sich darin zurechtfindet.“ Ließen sich einige Aufgaben nicht öffnen, sei lediglich die Aufforderung gekommen, sich zusätzliche Browser herunterzuladen – ohne diese konkret zu benennen.
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Andrea Herzog, die zwei Kinder aus Eritrea in einer Hamburger Wohnunterkunft betreut, moniert die dort fehlenden Voraussetzungen für das Homeschooling. „Es gibt kein WLAN und keine Möglichkeit, die Arbeitsblätter der Lehrer auszudrucken“, schreibt sie. Mittlerweile übernehme sie das und bringe die Arbeitspläne vorbei. Sie frage sich, wie es um die anderen Kinder in den Wohnunterkünften stehe. Zunehmend werde in den Mails aus der Schule auf Apps und Videos verwiesen, wozu aber mindestens ein Tablet erforderlich sei, um damit etwas zu lernen – und natürlich WLAN. „Auf Handys mit begrenztem Volumen geht das natürlich nicht“, gibt sie zu bedenken.
Clara Kimmich, alleinerziehende Mutter zweier Grundschulkinder, vermisst vor allem den direkten Kontakt zum Lehrer per Video- oder Onlinekonferenz. „Machen wir uns nichts vor, schulpflichtige Kinder sind vorwiegend eines: allein zu Hause!“ Bisher habe es in vier Wochen einen Telefonanruf der Klassenlehrerin gegeben. Dabei wäre ihrer Meinung nach die Hauptaufgabe der Lehrer, die Kinder zum selbstständigen Lernen zu motivieren – „derzeit am besten per regelmäßiger Videokonferenz“.
„Alle Eltern, die wir kennen, gehen auf dem Zahnfleisch“
Marie-Therese Rong und Friederike E. haben drei Grundschulkinder im Homeschooling und arbeiten nebenbei im Homeoffice. Sie fragen: „Hat Herr Rabe selbst junge Kinder im schulpflichtigen Alter und arbeitet nebenbei Fulltime im Homeoffice? Weiß er, was vor allen Dingen die Mütter und Väter in dieser Zeit leisten? Wie wäre es mal mit einem Brief an die arbeitenden Mütter und Väter, die seit Wochen den Job der Lehrer zusätzlich übernehmen?!? Alle Eltern, die wir kennen, gehen auf dem Zahnfleisch! Auch die Kinder sind mittlerweile schnell gereizt.“ Lediglich ein paar sehr vereinzelte Lehrkräfte würden in dieser Zeit einen super Job machen. Die Mehrzahl der Lehrer sei jedoch digital ungebildet und nicht offen für Neues.
Eltern, die zwei Kinder an der Grundschule Strenge in Wellingsbüttel haben, beklagen, dass Unterricht per Skype oder Zoom dort nicht gewollt sei und sich die Schule erst in der dritten Woche erkundigt habe, welche Endgeräte man nutzen könne. Darüber hinaus wären die Eltern gebeten worden, die Unterlagen nicht zurückzuschicken, da auch die Lehrer Kinder zu betreuen hätten. „Das hat uns sprachlos gemacht“, sagen sie. „Wir betreuen unsere Kinder auch – und arbeiten beide!“
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu SARS-CoV-2
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine eigene Informationsseite zum Virus eingerichtet
Die alleinerziehende Mutter einer knapp 14-jährigen Tochter hofft, dass die Schulbehörde am Ende des Schuljahres ein freiwilliges Wiederholen der Klasse anbiete und wohlwollend prüfe. Die Stadtteilschule ihrer Tochter habe relativ schnell eine Möglichkeit zum virtuellen Lernen auf die Beine gestellt und die Arbeitsbücher per Post nach Hause geschickt. „Dennoch bleibt das Lernen auf der Strecke. Mein Teenager sitzt leider vormittags nicht brav am Schreibtisch.“