Hamburg. Wer zu Hause kein eigenes Zimmer zum Lernen hat, darf in der geschlossenen Schule für Prüfungen üben und Laptops ausleihen.

Der Senat will mit einer ungewöhnlichen Maßnahme Nachteile für die Abiturienten ausgleichen, die sich zu Hause nur unzureichend auf die schriftlichen Prüfungen vorbereiten können. Wer in einer kleinen Wohnung lebt, kein eigenes Zimmer und keinen Schreibtisch zum Lernen hat, soll sich in seiner wegen der Coronapandemie eigentlich geschlossenen Schule auf die Prüfungen vorbereiten können. Die Regelung gilt auch für Schüler, die sich auf den ersten oder mittleren Schulabschluss vorbereiten.

Die schriftlichen Abiturprüfungen sollen am 21. April beginnen, die Schulen sind bis mindestens zum 19. April geschlossen. Bis dahin stehen rund 7000 Klassen-, Fach- und Differenzierungsräume in den staatlichen weiterführenden Schulen leer. „Die Schulleitung kann einzelnen Schülerinnen und Schülern zur Vorbereitung auf Prüfungen den Aufenthalt in der Schule gestatten“, heißt es in Paragraf 22 der umfangreichen Regelverordnung zur Coronakrise, die der Senat am Donnerstag erlassen hat.

Hamburg will Schülern in schwierigen Situationen helfen

In einem von Schulsenator Ties Rabe (SPD) zusammen mit Behörden­experten verfassten Arbeitspapier, das dem Abendblatt vorliegt, wird die Pro­blematik deutlich beschrieben. „Schulleitungen berichten jetzt häufiger von schwierigen Wohn- und Lebenssituationen. Viele Kinder und Jugendliche leben in sehr kleinen Wohnungen, haben kein eigenes Kinder- oder Jugendzimmer und verfügen über keinen Schreibtisch zum Lernen. Das gilt besonders für Familien mit Fluchthintergrund“, heißt es in dem Arbeitspapier. Zudem müssten viele ältere Schüler oft ihre kleineren Geschwister betreuen, die ebenfalls nicht die Schule oder Kita besuchen dürften.

Ausdrücklich wird auf die heterogene Schülerschaft hingewiesen: „Vielen bildungsnahen und engagierten Eltern stehen sehr viele bildungsferne Eltern gegenüber. In rund 26 Prozent aller Familien wird kein Deutsch gesprochen. Rund ein Drittel aller Familien bezieht Hilfen zum Lebensunterhalt. Über 40 Prozent aller Familien gelten als einkommensschwach.“

Hamburg befinde sich grundsätzlich im Vergleich zu allen anderen Bundesländern in einer „besonders schwierigen Situation“. In Hamburg müssen die Schüler aufgrund der Ferienlage nicht nur zwei oder drei Wochen, sondern insgesamt fünf Wochen den Unterricht zu Hause organisieren. „Wir sind ein bisschen besorgt, weil wir eine schwierigere Ausgangslage haben als die anderen Länder. Deswegen planen wir jetzt Unterstützungsmaßnahmen für die Schülerinnen und Schüler, die zu Hause schwierige Rahmenbedingungen haben“, sagte Rabe dem Abendblatt.

In jedem Klassenraum darf ein Schüler arbeiten

Schulleitungen und die Fachleute der Schulbehörde sollen kurzfristig die Bedingungen klären, unter denen Lernen in der geschlossenen Schule möglich ist. Lehrer können Einzelnen ihrer Schüler diesen Weg vorschlagen, aber die Schüler selbst können auch ihre Lehrer ansprechen. Um den Infektionsschutz zu gewährleisten, soll nur jeweils ein Schüler pro Klassenzimmer arbeiten. Wer will, kann das Angebot von montags bis freitags nutzen.

Dennoch rechnet Rabe damit, dass es nur einzelne der rund 17.000 Prüflinge (Abitur, erster und mittlerer Schulabschluss) sind, die in die Schule kommen. „Da nur ein Bruchteil von ihnen zu Hause nicht lernen kann, ist der Infektionsschutz aufgrund des umfangreichen Raumangebots in jedem Fall gewährleistet“, heißt es in dem Arbeitspapier.

Schüler dürfen Laptops für zu Hause ausleihen

Der SPD-Koalitionspartner von den Grünen unterstützt das Angebot. „Für uns ist es wichtig, die Balance zwischen dem unbedingt notwendigen Gesundheitsschutz und der Zumutbarkeit der einschränkenden Maßnahmen immer wieder genau zu diskutieren. Für Hamburgs Schülerinnen und Schüler ist es angesichts der ohnehin schon erschwerten Gesamtsituation wichtig, dass sie sich in Ruhe auf die Prüfungen vorbereiten können“, sagte Grünen-Bürgerschaftsfraktionschef Anjes Tjarks. „Die Schulen verfügen über große Räumlichkeiten, die aktuell leer stehen. Daher ist es ein elementarer Beitrag zu einer vernünftigen Prüfungsvorbereitung, dass diejenigen Schülerinnen und Schüler, die über kein eigenes Zimmer verfügen, in dem sie ungestört lernen können, dies jetzt auch in der Schule machen können. Diese ganz praktische Maßnahme soll soziale Härten in dieser schwierigen Zeit lindern“, so der Grünen-Politiker.

Die Schulbehörde will nicht nur die Abiturienten und anderen Absolventen, sondern alle Schüler mit einem schwierigen häuslichen Umfeld in der Zeit ohne Unterricht in der Schule unterstützen. „Weil viele Familien zu Hause keine geeigneten Laptops, Tablets oder Computer haben, dürfen Schulen jetzt erstmals auch schuleigene Geräte den Schülerinnen und Schülern für den Hausgebrauch zur Verfügung stellen. Das entsprechende Ausleihverbot für die schuleigenen Geräte hat die Schulbehörde aufgehoben“, heißt es in dem Rabe-Papier. Die Schulen verfügen derzeit über rund 50.000 Schulcomputer, darunter mindestens 10.000 Laptops.

Außerdem bieten die Schulen weiterhin eine Notbetreuung für diejenigen Kinder an, in deren Familien „soziale, familiäre und pädagogische Notlagen“ auftreten. Allerdings wird diese Möglichkeit nach wie vor nur in sehr wenigen Fällen wahrgenommen.