Hamburg. Ehrenamtlicher Einsatz in Zeiten der Corona-Pandemie: Niendorferinnen verteilen Geldgutscheine für große Supermärkte.

Vier junge Frauen stehen dicht beieinander – auf der Reeperbahn, nachmittags um halb fünf. Dass es die vor Ort allgegenwärtige Polizei nicht nur erlaubt, sondern begrüßt, macht doppelt Sinn. Denn erstens handelt es sich um vier Schwestern, für die das Kontaktverbot nicht gilt. Zweitens tun diese eine Menge Gutes. Im Auftrag des gemeinnützigen Vereins Hilfspunkt verteilt das Quartett Essensgutscheine an Not leidende, obdachlose Menschen.

Hinter den vier Gesichtern mit Mundschutz verbirgt sich eine Geschichte, die so nur in misslichen Tagen wie diesen möglich ist. Sie beweist, dass Hand in Hand Erstaunliches vollbracht werden kann. Wenn man nur will. „Man darf die besonders Bedürftigen aktuell nicht im Stich lassen“, sagt Alli Neumann unmittelbar vor dem speziellen Einsatz auf St. Pauli. Es müsse Gebot der Stunde sein, diesen Menschen ohne Obhut zur Seite zu stehen. Die vier Schwestern mit gemeinsamer Wohnung in Niendorf lassen sich nicht lange bitten, von jeher nicht. Seit eineinhalb Jahren arbeiten sie als „Team drei“ in der Küche des Vereins Hilfspunkt am Högerdamm in Hauptbahnhofnähe. Einmal im Monat kocht das Quartett. Dort finden Gäste in Not etwas Geborgenheit, warmes Essen, Getränke, Kaffeeklatsch, manchmal auch Filme oder Gesellschaftsspiele.

Orientierungslosigkeit der Obdachlosen nimmt in Corona-Krise zu

Doch seitdem am 14. März viele solcher Sozialstationen wegen Infektionsgefahr schließen mussten, nehmen Hunger und Orientierungslosigkeit zu. „Wenn keiner kommen darf, müssen wir eben rausgehen“, sagt Feeja Reiche. Ausgestattet mit Geld des Vereins Hilfspunkt, angereichert mit Spenden aus dem Bekanntenkreis, machen sich die vier Frauen zwischen 20 und 26 Jahren seit Beginn der Coronakrise auf den Weg. Dorthin, wo die Armut wächst und die Straße das Zuhause ist: St. Pauli, Schanzenviertel nahe Roter Flora und Bahnhof Sternschanze, Teile von Altona, St. Georg sowie Landungsbrücken.

Das Quartett kauft bei Penny, Lidl und anderen Supermärkten Gutscheine zu je 5 Euro. Mancher Obdachlose traut seinen Augen kaum. Wegen des Anblicks der vier Frauen mit Mundschutz und wegen der helfenden Hände mit dem kleinen, unerwarteten Segen. „Solche Hilfe ist gut für die Menschen“, weiß Alli Neumann, „aber auch für einen selbst.“ Weil man geerdet bleibt und automatisch Anlass hat, Sinnfragen zu stellen.

Pragmatisch handeln ist ihre Devise

Sie selbst ist als Musikerin und Schauspielerin keine Unbekannte in der Stadt, wird in sozialen Netzwerken von mehr als 50.000 Anhängern begleitet, hat bisher Glück im Leben gehabt. Dass es nicht allen so gut geht, vergisst sie nicht. Also wird pragmatisch gehandelt. Mit vierfacher Kraft. Das Schwestern-Quartett stammt aus dem Norden Schleswig-Holsteins. Allis Schwester Feeja arbeitet als Produktionsassistentin bei einer Hamburger Filmfirma. Hin und wieder musizieren die beiden gemeinsam. Lisa Neumann absolviert eine Friseurausbildung in Ohlsdorf. Schwester Maja arbeitet nach dem Abitur in einem veganen Restaurant. Komplettiert wird die Niendorfer Wohngemeinschaft der vier Schwestern vom Hund Fupsi.

Gespräch mit Obdachlosen auf der Reeperbahn. Dort wird die Hilfe besonders dringend benötigt.
Gespräch mit Obdachlosen auf der Reeperbahn. Dort wird die Hilfe besonders dringend benötigt. © Andreas Laible

Ende vergangener Woche gab das Quartett an der Reeperbahn Gutscheine für mehr als 200 Euro aus; vor drei Tagen waren es am Steindamm 150 Euro. Hinzu kamen Hilfsmaterialien wie Isomatten. Weitere Spenden erhielten die jungen Frauen durch Internetverkäufe ihres nicht geringen Klamottenbestandes. „Was die vier unternehmen, hat bei-spielshaften Charakter“, weiß Gabriele Franz vom gemeinnützigen Hilfspunkt-Verein (www.hilfspunkt.de).

Verteilung von Essensgutscheinen

Die komplett ehrenamtliche Treffpunktarbeit wird derzeit notgedrungen durch die Verteilung von Essensgutscheinen ersetzt. Pro Jahr gibt die Organisation an neun über Hamburg verteilten Stationen zwischen 18.0000 und 20.000 Mahlzeiten an Arme und Obdachlose aus. Der größte dieser Stützpunkte befindet sich an der Ferdinandstraße, zwischen Ballindamm und Hauptbahnhof zentral gelegen. „Während ihrer auswärtigen Aktionen treffen unsere Freiwilligen auf großen Zuspruch“, weiß Gabriele Franz. Insgesamt kann Hilfspunkt auf rund 100 Helfer zurückgreifen.

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Gabriele Franz, eine diplomierte Psychologin, gründete den Verein 1993 gemeinsam mit der Hamburger So­ziologin Gisela Thun. Statt großer Worte ziehen die beiden Taten vor. In den vergangenen Tagen wurden 300 Gutscheine im Wert von zusammen 1500 Euro an Mitmenschen ausgegeben, die es bitter nötig haben. So soll es weitergehen. Aufmunternde Erlebnisse motivieren. So wie ein Telefonat vor eineinhalb Jahren. „Hallo, ich bin Alli“, hieß es, „meine Schwestern und ich möchten helfen. Was können wir tun?“ Schnell ging’s zur Sache.

Die aktuelle Ausnahmesituation erfordert nun außergewöhnlichen Einsatz. Von unkompliziertem Naturell beseelt, handeln Alli, Feeja, Lisa und Maja nach norddeutscher Art. „Nicht lang schnacken – anpacken.“

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