Hamburg. Ehrenamtliche kritisieren, dass die Stadt die Verantwortung abgeben hat. Es mangelt zudem an Schutzmaterial und Desinfektionsmittel.

Die Frage, wie die rund 2000 Obdachlosen in Hamburg in Zeiten von Corona weiter versorgt und vor Ansteckung geschützt werden können, entwickelt sich zunehmend zu einem handfesten Streitthema zwischen Stadt, Trägern und Behörden. Nachdem sich die Sozialbehörde Anfang der Woche verärgert darüber äußerte, dass einige Träger in der Obdachlosenhilfe ihre Angebote eingestellt hätten, ohne Rücksprache mit der Stadt zu halten, zeigen sich ehrenamtliche Helfer empört.

Ronald Kelm vom Gesundheitsmobil der „Alimaus“ sagt: „Die Stadt gibt die Verantwortung derzeit komplett an die Ehrenämtler ab. Das ist ein Armutszeugnis!“ Konkret kritisiert er, dass die Stadt bisher weder materiell noch bei Fragen der Organisation geholfen habe. Dabei fehle es an allen Ecken und Enden: „Desinfektionsmittel und Schutzkleidung etwa sind nicht ausreichend vorhanden. So, wie wir jetzt aufgestellt sind, können wir weder die Sicherheit der Obdachlosen noch die der ehrenamtlichen Mitarbeiter gewährleisten.“

Corona-Krise: Einrichtungen beschränken Angebote für Obdachlose

Seitdem in der vergangenen Woche die meisten Einrichtungen für Obdachlose ihr Angebot eingestellt oder stark beschränkt haben, ist eine Lösung noch immer nicht in Sicht. Zwar teilte die Sozialbehörde Anfang der Woche mit, sie wolle derzeit geschlossene Sportvereine und Schwimmbäder bereitstellen, damit sich Obdachlose dort waschen können. Vorschläge, etwa leer stehende Hotels für die Unterbringung Wohnungsloser zu nutzen, lehnte die Sozialbehörde allerdings bislang ab.

Auch die Hamburger Internistin Irina Götz, die ehrenamtlich für das Gesundheitsmobil der Alimaus arbeitet, zeigt sich erzürnt: „Es müssen Strukturen geschaffen werden, mit denen auch Obdachlose die Möglichkeit haben, die Sicherheitsvorkehrungen von Hände­waschen bis Abstandhalten einzuhalten“, so die Fachärztin. „Ich frage mich, auf welcher Basis die Behörde den Betrieb in der Obdachlosenhilfe aufrechterhalten will, wenn noch nicht einmal genügend Schutzmaterial und Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen.“

Nicht genügend Schutzmaterial und Desinfektionsmittel

Diese fehlende Basis sei der Grund dafür, dass viele Organisationen nicht mehr arbeiteten. „Viele Projekte haben versucht weiterzumachen, aber festgestellt, dass es nicht geht.“ Auch mobile Duschen und medizinische Sprechstunden würden auf engstem Raum stattfinden. „Wie soll das also funktionieren?“

UKE-Virologin zur Corona-Krise:

UKE-Virologin:
UKE-Virologin: "Können Corona-Ausbreitung nicht verhindern"

weitere Videos

    Diese Frage werfen auch aktuelle Bilder auf, die viele Menschen vor der Drogenberatungsstelle Drob Inn in St. Georg zeigen. Geschäftsführerin Christine Tügel: „Innerhalb der Einrichtung können wir weitestgehend alle Regeln einhalten, zudem sensibilisieren wir für das Thema.“ Was draußen geschieht, könne man nicht immer steuern.

    Hamburger Verein Leben im Abseits kritisiert Sozialbehörde

    Kritik kommt auch vom Hamburger Verein Leben im Abseits, der Öffentlichkeitsarbeit für bedürftige und obdachlose Menschen betreibt. "Anfragen nach angedachten Hilfspaketen zum Schutz und zur Grundversorgung von Einrichtungen der Obdachlosenhilfe an die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) in Hamburg blieben unbeantwortet", sagt Vereinsgründerin und Geschäftsführerin Susanne Groth. "Jetzt wurde, seitens der Stadt Hamburg, die bestehende Allgemeinverfügungen zur Eindämmung des Coronavirus für bestimmte Personengruppen und Einrichtungen kurzfristig geändert."

    Bürgermeister Tschentscher zur Lockerung der Quarantäne:

    Empfohlener externer Inhalt
    An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
    Externer Inhalt
    Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

    Entgegen der von der Bundesregierung verabschiedeten, absolut notwendigen und lebensrettenden Beschränkungen der allgemeinen Bevölkerung, würden hier Allgemeinverfügungen für „Randgruppen“, die mit einem bereits geschwächten Immunsystem in einer prekären Lebenssituation leben, außer Kraft gesetzt und Gruppenzusammenkünfte unter anderem auch in Einrichtungen und Hilfsgruppen, die überwiegend mit ehrenamtlichen Mitarbeitern besetzt sind, ermöglicht. Alle Menschen, die hier zusammentreffen würden, sind dann unkontrollierbare Multiplikatoren des Corona Virus.

    Hamburger Verein Leben im Abseits schreibt der Kanzlerin

    Allgemeinverfügungen sollten für alle Menschen in Deutschland gelten. Zu den Menschenrechten gehört ein Mindestmaß an Lebensunterhalt und Schutz. Es ist der Auftrag von Staat und Politik, jetzt für alle Menschen gleiche Rechte, gleiche Zugänge und gleichen Schutz sicherzustellen und das nicht nur in Krisenzeiten.

    Coronavirus: So wird in Hamburg getestet

    Empfohlener externer Inhalt
    An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
    Externer Inhalt
    Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

    Von verschiedenen Personen und Einrichtungen wurde eine Petition an die Stadt Hamburg erstellt. Die Online-Petition wurde bereits von mehr als 10.000 Menschen unterzeichnet.

    Der Verein Leben im Abseits e. V. hat sich jetzt mit einem offenen Brief an die Kanzlerin, den Gesundheitsminister und die Ministerpräsidenten der Länder gewandt. Darin fordert der Verein unter anderem die Unterbringung von Obdachlosen in Hotelzimmern, die medizinische und pflegerische Versorgung und die nur noch Einzelzimmer in Notunterkünften zu vergeben. Der Brief ist hier einsehbar.

    Am Mittwochnachmittag gab indes die Hamburger Sozialbehörde bekannt, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus Anpassungen im Hilfesystem für Obdachlose erforderlich gemacht hätten. In enger Abstimmung mit den Trägern und Akteuren des Hilfesystems habe die Sozialbehörde eine Reihe zusätzlicher Schutzmaßnahmen getroffen. Die Unterbringung bis Mai sei gesichert.

    "Hamburg gewährleistet Hilfe und Schutz für obdachlose Menschen. Wir arbeiten jeden Tag mit Hochdruck daran, weitere Lösungen und Alternativen aufzubauen, wo nötig", sagt Sozialsenatorin Melanie Leonard. "Dabei unterstützen uns viele Hamburgerinnen und Hamburger: Viele engagieren sich ehrenamtlich, melden sich mit Hilfsangeboten und packen tatkräftig mit an. Tausend Dank an alle, die in dieser schwierigen Situation diejenigen nicht aus dem Blick verlieren, die auf unsere Hilfe besonders angewiesen sind!“

    Eine vollständige und aktuelle Aufstellung der verfügbaren Angebote für Obachlose ist auf der Seite der Stadt abrufbar.

    Lesen Sie auch: