Hamburg/Kiel. Gymnasiasten in Hamburg-Wilhelmsburg appellieren an Schulsenator Ties Rabe. Schüler in Schleswig-Holstein geteilter Meinung.
Abiturienten des Helmut-Schmidt-Gymnasiums in Hamburg-Wilhelmsburg sprechen sich in einem offenen Brief dafür aus, wenn schon nicht die Abiturprüfungen abzusagen, dann doch wenigstens auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Das Schreiben ging auch an Schulsenator Ties Rabe (SPD). Darin heißt es: "Wir bitten Sie das Abitur zu verschieben, da wir es für unpädagogisch, verantwortungslos, ungerecht und rücksichtslos halten, dass das Abitur unter den derzeitig weltweit anhaltenden Umständen zu schreiben."
Die Kultusministerkonferenz hatte am Mittwoch beschlossen, dass die schriftlichen Abiturprüfungen „zum geplanten, bzw. zu einem Nachholtermin bis Ende des Schuljahres“ stattfinden sollen, allerdings mit der Einschränkung, „dass dies aus Infektionsschutzgründen zulässig ist“. Die ersten Abi-Klausuren sollen in der Hansestadt bereits am 16. April geschrieben werden. Der Schulbetrieb in Hamburg ruht mindestens bis zum 19. April.
Schüler fordern psychologische Betreuung angesichts Corona-Toter
"Wir sollen uns auf ein Abitur vorbereiten, während eine Pandemie weltweit das soziale Leben und die Wirtschaft zum Erliegen bringt", sagt Linus Scherrer, Klassensprecher im Profiljahrgang Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Religion. Für den 17-Jährigen wie für seine Mitschüler ist die Entscheidung der Kultusministerkonferenz nicht nachvollziehbar. "Wir sind nicht zu faul zum Lernen." Derzeit sitze er beispielsweise die meiste Zeit des Tages an Schularbeiten.
Die Coronakrise lasse niemanden unberührt. Zum einen seien Kinder und Jugendliche tagtäglich mit Schreckensbildern aus Italien und Spanien konfrontiert. "Alle Nachrichten drehen sich nur um die Gefahr des Coronavirus und es ist erschreckend, dass sich niemand den Ängsten der Kinder und Jugendlichen annimmt", heißt es in dem Brief. Und weiter: "Wir benötigen psychologische Betreuung, pädagogische Hilfsangebote oder mindestens Rücksichtnahme."
Anordnung verschärfe soziale Ungleichheit im Brennpunkt Wilhelmsburg
"Wir sollen während eines weltweiten Ausnahmezustandes Abiturprüfungen schreiben", sagt Linus Scherrer. Die Umstände, unter denen sich die Abiturienten vorbereiten sollen, seien nicht nur schwierig, sie förderten auch noch die soziale Ungleichheit. "Wilhelmsburg gilt als Stadtteil mit sozialen Brennpunkten. Ich weiß von einigen Mitschülern, dass die häusliche Situation in einigen Haushalten derzeit sehr angespannt ist. Keine guten Voraussetzungen, um zu lernen."
Zudem hätten nicht alle Schüler ein eigenes Zimmer, um sich dort zurückziehen zu können. "Wir sind auf Lernräume, wie die Bücherhallen und die Staatsbibliothek angewiesen." Der Kontakt zu den Lehrern sei nur über Anbieter wie Skype möglich. Hinzukommt, dass nicht alle einen Zugang zum Laptop oder Computer haben. "Es gibt in jedem Haushalt Internet, aber teilweise nur ein Endgerät, das dann gegebenfalls auch die Eltern in Homeoffice oder Geschwister nutzen."
Umfrage unter Schülern in Schleswig-Holstein zeigt gemischtes Bild
Die Schülermeinungen zu den Abiturprüfungen sind breit gefächert, wie eine Umfrage der Landesschülervertretungen der Gymnasien und Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein zeigt. Ein Oberstufenschüler des Freiherr-vom-Stein Gymnasiums in Oldenburg in Holstein, die "Auch wenn pro Raum nur zwei Personen sitzen, sollten Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bekommen ihre Prüfungen zu absolvieren." Ein MItschüler schlägt vor, das per Videochat mündlich zu prüfen.Für einen anderen Schüler steht die Gesundheit an erster Stelle.
Ein Oberstufenschüler der Inselschule Fehmarn schreibt, er würde sehr gerne sein Abi auf dem normalen Weg schreiben. "Seit 13 Jahren freut man sich auf Dinge wie Mottowoche, Abistreich und den Abiball." Die Prüfungen seien auch eine Chance, sich noch einmal selbst etwas zu beweisen und den Grundstein für seine berufliche Karriere zu legen."
Schüler aus Kiel appelliert, Experten im Ministerium zu vertrauen
Ein Mitschüler schließt sich der Meinung an: "Ein Abitur ohne Abschlussprüfungen ist für mich kein richtiges Abitur." Ein anderer schriebt: "Ich bin dafür, dass die Abiturprüfungen abgesagt werden, da aufgrund dieser ungewissen Lage es kaum möglich ist, sich konzentriert auf das Abitur vorzubereiten."
Ein Schüler an der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel findet, man solle den Experten im Schulministerium vertrauen: "Wir dürfen aus der Diskussion um die Absage jetzt keine ,Ist das jetzt gut für mich oder nicht?`-Diskussion werden lassen. Fakt ist: Auch für das Ministerium ist eine Absage nur der letzte Schritt und sie werden das nur tun, wenn es nicht anders geht. Argumente für oder gegen das Schreiben oder Nicht-Schreiben können nur solche sein, welche eine risikofreie Durchführung der Prüfung nachweisen oder aber berechtigt anzweifeln."