Hoffentlich war diese Entscheidung richtig: Das Abitur 2020 birgt Risiken, die auch die Bildungsminister nicht abwehren können.
Wenn es nach den Prinzipien von Fairness und Gerechtigkeit geht, dann müssen die Schülerinnen und Schüler des Abitur-Jahrgangs 2020 ihre Prüfungsklausuren schreiben. Auch in diesem besonderen, vom Coronavirus geprägten Jahr. Fair und gerecht ist das allen früheren und künftigen Abiturienten gegenüber, die den Stress der Prüfungssituation durchstehen mussten.
Fair und gerecht aber auch im Interesse der Schüler selbst: Ein Abi light – ohne die „Königsdisziplin“ schriftlicher und mündlicher Prüfungen – wäre mit einem Makel behaftet und könnte später eventuell Nachteile bei der Bewerbung um einen Studienplatz bedeuten.
Abitur 2020: Konsens ist wichtig
Insofern ist die Entscheidung der Kultusministerkonferenz richtig, die Prüfungen trotz aller Schwierigkeiten, Belastungen und Einschränkungen durch die Pandemie stattfinden zu lassen. Wichtig ist, dass diese Entscheidung gemeinsam getroffen wurde und dass sich alle 16 Länder in einer zentralen Frage der Bildungspolitik tatsächlich einmal einig sind. Dieser Konsens ist eine Voraussetzung für die wechselseitige Anerkennung der Zertifikate.
Politisch gesehen musste der unglückliche Vorstoß der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die Prüfungen abzusagen, in die Sackgasse führen. In Hessen und Rheinland-Pfalz wird schon geprüft, Bayern und Baden-Württemberg wollen die Termine verschieben, was den Ländern leichter fällt, weil die Sommerferien dort erst im August beginnen.
Machen die Gesundheitsminister dem Abitur noch einen Strich durch die Rechnung?
Wären die übrigen Kultusminister dem im Augenblick vielleicht bequemeren Weg einer Prüfungsabsage gefolgt, die Einigkeit wäre dahin gewesen. Zu Recht hat schon mancher Bildungspolitiker für diesen Fall vorsorglich das Ende des Bildungsföderalismus ausgerufen.
Trotzdem ist die Entscheidung der Kultusminister mutig, denn sie birgt ein enormes Risiko. Und die Bildungsexperten sind sich dessen auch sehr bewusst. „Zum heutigen Zeitpunkt“, heißt es in der Erklärung der Kultusministerkonferenz, sei „eine Absage von Prüfungen nicht notwendig“.
Das heißt nichts anderes, als dass die Gesundheitsminister im Verein mit den Virologen des Robert-Koch-Instituts den Bildungspolitikern noch einen kräftigen Strich durch die Rechnung machen können, wenn die Zahl der Infektionen noch einmal deutlich steigt und der Schutz der jungen Menschen während der Abiprüfungen aus medizinischer Sicht auf keinen Fall mehr gewährleistet werden kann.
Hamburger Notfallplan
Dann gäbe es zwei Verlierer: Die Abiturienten wären dem Prüfungsstress und der langen Ungewissheit unnötig ausgesetzt gewesen. Und die Kultusminister stünden blamiert da, weil sie mit ihrem Plan gescheitert wären.
So weit ist es nicht, und deswegen muss es jetzt darum gehen, für das Abitur 2020 – wie für die anderen schulischen Abschlussprüfungen – Rahmenbedingungen zu schaffen, die der besonderen Situation, in der die Schüler ohne ihr Verschulden geraten sind, Rechnung tragen. Fairness und Gerechtigkeit – das gilt natürlich auch für diesen Schülerjahrgang gegenüber den früheren und späteren Abiturientengenerationen, die die die Last der Pandemie-Begleitumstände nicht schultern mussten.
Auf der organisatorischen Ebene ist es wichtig, spätere Prüfungstermine für diejenigen anzubieten, die sich, möglicherweise als direkt vom Coronavirus Betroffene, nicht optimal vorbereiten konnten. Wenn wie jetzt in Hamburg überlegt wird, Klausuren auch in die Maiferien zu verlegen, sollte das nicht von vornherein verworfen werden.
Und: Es wird auf das Engagement der Lehrer ankommen, die ihre Schüler noch intensiver vorbereiten müssen als ohnehin. Das gilt besonders für diejenigen, die von zu Hause wenig Unterstützung bekommen. Es wird ein Kraftakt.