Hamburg. Schulen und Eltern machen recht gute Erfahrung mit digitalem Unterricht. Doch nicht jeder hat einen Computer zu Hause.

Wenn Sonja Conradi in ihrer Küche in Hoheluft-Ost sitzt und an ihrem Rechner im Homeoffice arbeitet, hofft sie, dass ihr Sohn in seinem Zimmer ebenfalls seine täglichen Aufgaben erledigt. Denn ständig kontrollieren kann sie ihren 14-jährigen Sohn nicht, weil sie selbst für die Agentur Demodern arbeiten muss. Bis zum 19. April bleiben Hamburgs Schulen mindestens noch geschlossen.

Eine Herausforderung für etwa 22.000 Lehrer, die rund 200.000 Schülern zumindest einen Teil des Unterrichtsstoffes vermitteln müssen, für Eltern, die sich zwischen Homeoffice und der Unterstützung ihres Nachwuchses aufreiben, und auch für die Schüler, die so diszipliniert und selbstständig sein müssen wie wohl noch nie in ihrer Schullaufbahn.

Die eine Fraktion lässt ihre Kinder, auch wenn die Ferien längst zu Ende sind, weiterhin spät ins Bett gehen und ausschlafen. Das, so Experten, entspricht ja ohnehin eher dem Biorhythmus vieler Kinder. So macht es auch Sonja Conradi. Ihr Sohn geht in die 8. Klasse am Corvey-Gymnasium in Lokstedt und hat über den Server jede Menge Aufgaben von seinen Fachlehrern bekommen. „Ich soll mich aber raushalten und ihn nicht ständig kontrollieren, das kann ich auch gar nicht“, sagt sie. Sie vertraut Paul, dass er die Aufgaben tatsächlich in der dafür vorgeschriebenen Zeit erledigt.

Daddeln verboten

Die beiden haben einen Deal: „Wenn ich die Rückmeldung der Lehrer bekomme, dass es nicht gut läuft, muss Paul sein Handy bis zum Sommer abgeben.“ Ansonsten kann er sich seine Zeit – wann er am Computer daddelt und wann er etwas für die Schule tut – selbst einteilen. Aber ganz aus ihrer Aufpasserrolle raus kann Conradi doch nicht: Sie wünscht sich, dass die Fachlehrer auch den Eltern eine Übersicht geben über die Themen, die anliegen. Denn: Von pubertierenden Jugendlichen kommen solche Infos häufig nur spärlich. „Ein Feedback vonseiten der Lehrer fehlt total.“

Das klappt an den Schulen der Kinder von Sandra Cantzler aus der Sternschanze anscheinend gut. Die Journalistin gehört zu jener Elternfraktion, die ein Lotterleben ihrer Kinder nicht duldet. Sie weckt ihren 14-jährigen Sohn und ihre zehnjährige Tochter so, dass sie spätestens um kurz vor 9 Uhr an ihren Schulaufgaben sitzen. Sandra Cantzler ist sehr zufrieden mit den Lehrern: „Die machen das toll.“ Ihr Sohn geht in die 8. Klasse des Kaifu-Gymnasiums, ihre Tochter besucht die vierte Klasse an der Grundschule Sternschanze. „Dort haben sie einen Klassenchat eingerichtet, und die Lehrer haben Lernvideos in ihren Wohnungen aufgenommen. Das ist total süß erklärt.“

Stress für die Mutter, die Krankenschwester ist

Tochter Elenor freut sich, die Stimmen ihrer Lehrer auf diese Weise zu hören und sie zu sehen. Die Viertklässlerin vermisst ihre Lehrer sehr. „Ihre Lehrer sind aber in engem Kontakt mit ihren Schülern und antworten prompt auf Fragen und erzählen auch, was bei ihnen so los ist“, sagt Sandra Cantzler. Die Kinder erfahren eine hohe Wertschätzung. Weil es im Haushalt der Familie nicht genügend Rechner oder Tablets gibt, damit alle ihre Aufgaben machen können, wurde ein weiteres Tablet gekauft. „Dieser Kauf stand ohnehin an.“

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    Im Stress ist Elke W. in diesen Tagen. Sie arbeitet als Krankenschwester und hat drei Kinder im Alter zwischen zehn und 17 Jahren zu Hause. Vor allem ihr Jüngster braucht Hilfe bei den Schulaufgaben. „Er muss angetrieben werden. Das ist ex­trem stressig.“ Die Unterrichtsmaterialien des Viertklässlers durfte die Familie aus dem Klassenzimmer abholen.

    Nicht alle Familien sind für die digitale Herausforderung gerüstet

    Längst nicht alle Familien sind überhaupt mit entsprechenden Geräten ausgestattet, um die Aufgaben digital bearbeiten zu können. Eine Klassenlehrerin an der Schule am See in Steilshoop berichtet, dass sie erst jetzt in der vierten Klasse überhaupt alle E-Mail-Adressen der Eltern ihrer Klasse bekommen hat. So wie viele andere Kollegen hamburgweit auch, hat sie sich auf den Weg gemacht und den Schülern ihre Materialien und Aufgaben bis vor die Haustür gebracht. An der Stadtteilschule Alter Teichweg in Dulsberg sind es die 20 Honorarkräfte, die jeden Tag Unterrichtsmaterialien zu den Familien bringen. „Das ist gerade für die Schüler in der Lernförderung wichtig, individuelle Aufgaben zu bekommen“, sagt Schulleiter Björn Lengwenus. Digitalisierung hin oder her.

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    Bilanz nach einer Woche Unterricht daheim: „Es klappt überwiegend hervorragend“, sagt Marc Keynejad von der Elternkammer. Viele Lehrer seien per WhatsApp und Skype direkt erreichbar. Allerdings übertreiben es einige Pädagogen ein wenig: „Die Schüler melden zurück, dass es teilweise zu viele Aufgaben sind.“ In den sozialen Medien berichtet eine Pädagogin: „Einige meiner Schüler haben vor lauter Überforderung keine Aufgabe angefangen, diese habe ich über Videochat beruhigen müssen und ihnen einen Fahrplan gebastelt und ihnen gesagt, dass es okay ist, alles andere liegen zu lassen.“ Ein Problem bleibt: Nicht alle Familien haben einen Internetzugang oder sind mit Endgeräten ausgestattet. Keynejad: „Das muss geklärt werden.“

    Hamburgs Schulen hinken der Digitalisierung hinterher

    Tatsächlich hinken Hamburgs Schulen der Digitalisierung hinterher: „Diese Krise trifft uns zu früh. Wir sind digital noch nicht ausreichend ausgestattet“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Die Schulen müssen in diesen Zeiten kreative Wege gehen, auch wenn diese rein formal nicht immer korrekt sein mögen. Auch WhatsApp sei offiziell nicht erlaubt, „aber wir müssen pragmatische Lösungen finden“. Schulen, die bereits über digitale Geräte in Klassensätzen verfügen, könnten diese auch den Schülern für zu Hause überlassen.

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    Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erhält überwiegend positive Rückmeldung. Anja Bensinger-Stolze von der GEW: „Die Lücken des IT-Systems der Behörde werden allerdings deutlich.“ So war die digitale Kommunikation zwischendurch nicht möglich, weil Teile des Bildungsportals eduPort nicht erreichbar waren. Und Kinder in den Flüchtlingsunterkünften können kaum unterstützt werden. Bensinger-Stolze wünscht sich mehr Verbindlichkeiten vonseiten der Behörde, was den Datenschutz bei WhatsApp angeht oder den Einsatz von Schwangeren oder älteren Kollegen in der Notbetreuung. „Das muss einheitlich geregelt werden.“ Für die älteren Schüler sieht sie in dem Ganzen auch eine Chance: „Sie können selbstbestimmt lernen und sich ihren Tag frei einteilen.“