Hamburg. Start der Koalitionsverhandlungen ist offen, Senat hält Abstand, Bürgerschaft tagt auf Sparflamme, Grünen-Chef in Quarantäne.
Hat das jemand bemerkt? Seit diesem Mittwoch, 13.40 Uhr, ist der Hamburger Senat nur noch geschäftsführend im Amt. Zu dem Zeitpunkt trat erstmals die neu gewählte Bürgerschaft zusammen, womit laut Hamburgischer Verfassung auch die Amtszeit des Senats automatisch endete.
Ein Glück. Denn wann Amtsinhaber Peter Tschentscher (SPD) sich im Parlament zur Wiederwahl stellen wird, ist derzeit kaum absehbar. SPD und Grüne hatten den ursprünglich für vergangenen Montag angesetzten Start ihrer Koalitionsverhandlungen angesichts der heraufziehenden Corona-Krise zunächst um zwei Wochen verschoben – einerseits weil die Senatsmitglieder in den Verhandlungsgruppen alle Hände voll mit der Bekämpfung der Krise zu tun haben, andererseits weil sich mit dem Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks ein zentraler Teilnehmer der Verhandlungen freiwillig in die Quarantäne begeben hat.
Koalitionsgespräche vorbereiten
Der 39-Jährige war während der Schulferien Anfang März in der nachträglich als „Risikogebiet“ eingestuften Schweiz. Häusliche Isolation mit Frau und drei Kindern, die bei den Schulaufgaben zu betreuen und nebenbei aus dem Homeoffice weiter den Politikbetrieb am Laufen zu halten und die Koalitionsgespräche zumindest vorzubereiten, das sei schon eine anstrengende und herausfordernde Erfahrung gewesen, berichtete Tjarks.
Ob die Verhandlungen nun wirklich am übernächsten Montag beginnen oder noch einmal verschoben werden, ob der neue Senat dann möglicherweise Ende April/Anfang Mai steht oder doch viel später, das kann derzeit niemand bei SPD und Grünen sagen. Kein Wunder: In diesen Zeiten eine fast zehn Tage in die Zukunft reichende Prognose abzugeben, würde einem Blick in die Glaskugel gleichen.
Viel Abstand
Der politische Betrieb läuft zwar auf Hochtouren, aber in großen Teilen abseits eingespielter und bekannter Normen. Dabei lassen sich auch die Politikerinnen und Politiker von den Vorgaben leiten, möglichst wenig Kontakt zu haben, und wenn, dann möglichst viel Abstand zu halten. Dafür gibt es logischerweise zwei Hebel: mehr Raum. Oder weniger Teilnehmer. Oder beides.
So wurde am Dienstag die Senatsvorbesprechung, an der außer den Senatsmitgliedern auch deren enge Mitarbeiter, Staatsräte und die Fraktionsspitzen teilnehmen, vom recht beengten Raum II auf der Senatsseite des Rathauses in den deutlich größeren Bürgermeister-Saal an der Vorderseite des Gebäudes verlegt. Die reguläre Senatssitzung, die in der Regel sehr kurz ist, fand dann zwar in der angestammten Ratsstube statt, allerdings auch „mit gebührendem Abstand“ der Teilnehmer, wie es hieß.
Live-Stream und Fragen per Mail
Die folgende Landespressekonferenz wiederum wurde von ihrem „Stammplatz“ im nüchternen Raum 151 auf der Bürgerschaftsseite in den großen Kaisersaal verlegt. Da die Rathaus-Journalisten angehalten waren, der traditionellen Fragestunde mit dem Senat möglichst nicht persönlich zu folgen, sondern den Live-Stream zu nutzen und Fragen per Mail einzureichen, verloren sich bis auf einige Kameraleute nur wenige Besucher in dem herrschaftlichen Saal – für Bürgermeister Tschentscher und Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (beide SPD), die an diesem Tag über die aktuelle Corona-Lage informierten, eine neue Erfahrung.
Das setzte sich am Mittwoch fort: Alle fünf Bürgerschaftsfraktionen hatten ihre für Montag angesetzten konstituierenden Sitzungen auf diesen Tag verschoben, um sie kurz vor Beginn der ersten Bürgerschaftssitzung nach der Wahl abzuhalten – so mussten die Abgeordneten nur einmal ins Rathaus kommen. Um Abstand halten zu können, setzte eine größere Rochade ein: Alle Fraktionen nutzen statt des angestammten oder vorgesehenen Raumes den jeweils nächstgrößeren. So landete die SPD als größte Fraktion am Ende im Großen Festsaal: Wo sonst Veranstaltungen mit bis zu 1000 Gästen stattfinden, verloren sich nun ganze 30 Abgeordnete und einige Gäste wie der Bürgermeister und weitere Senatsmitglieder.
Gespenstisches Bild
Dass nur 30 statt der 54 gewählten SPD-Abgeordneten teilnahmen und sich die anderen 24 telefonisch zuschalten ließen, war der Reduzierung des Parlamentsbetriebs geschuldet: Alle Fraktionen hatten sich darauf verständigt, die erste Sitzung der Bürgerschaft nur mit gut der Hälfte der 123 Abgeordneten durchzuführen. So ergab sich am Mittwochnachmittag ein etwas gespenstisches Bild: Ausgerechnet die sonst sehr feierliche konstituierende Sitzung, die normalerweise viele Angehörige neu gewählter Abgeordneter verfolgen, fand vor halb leerem Haus statt und praktisch ohne Besucher.
Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen
- Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das Sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Händewaschen
- Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
- Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
- Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten, die Infektionssymptome zeigen
- Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen
Auch auf der Senatsbank, die sonst bei solchen Anlässen voll besetzt ist, saßen nur zwei Personen: Bürgermeister Tschentscher und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) – das aber mit einem Platz Abstand. Ein ungewohnter Anblick, denn von den zwölf Senatsmitgliedern haben nur diese beiden feste Plätze auf der Bank – direkt nebeneinander.
Weiteres Novum
Am Freitag dann ein weiteres Novum: Am frühen Nachmittag fand die Senatsvorbesprechung wohl erstmals überhaupt im Großen Festsaal statt. Auf den 720 Quadratmetern konnte die Linie „Zusammenhalt durch Abstand“ problemlos eingehalten werden. Allerdings war eine Mikrofonanlage nötig, damit die Teilnehmer sich hören konnten.
UKE-Virologin zur Corona-Krise:
Die anschließende Landespressekonferenz im Kaisersaal, auf der der Bürgermeister weitere Einschränkungen wie die Schließung aller Restaurants quasi als letzte Mahnung vor der Verhängung einer Ausgangssperre verkündete, folgte dem Muster vom Dienstag – so kann auch eine Ausnahmesituation schrittweise zur Routine werden.
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Dennoch sorgt die Lage nun für erste Verwerfungen: Nachdem der Linken-Abgeordnete Mehmet Yildiz im Interview mit dem Internetportal Avrupa Postasi die These vertrat, Corona sei „ein Laborvirus und dient den Imperialisten dazu, China aufzuhalten“, distanzierten sich die Partei und Fraktion scharf von ihrem Genossen: „Wir alle brauchen einen kühlen Kopf und überlegtes Handeln“, teilten Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus und Landessprecher David Stoop mit und betonten: „Wirre Theorien und durchsichtige Schuldzuweisungen helfen in dieser Situation absolut niemandem.“