Hamburg. Bis vor kurzem kellnerte er noch, nun modelt Nicolas Jost für Dolce & Gabbana. Entdeckt hat ihn eine Hamburger Modelagentur.
Die größte Chance, Nicolas Jost dieser Tage zu sehen, hat man wohl am New Yorker Flughafen oder am Milano Centrale, dem Hauptbahnhof von Mailand. Denn unter anderem dort wirbt die italienische Luxusmarke Dolce & Gabbana seit Anfang des Jahres auf riesigen Plakaten mit dem 18-Jährigen aus Lüneburg. Der Abiturient (Schnitt: 2,1) ist „das neue Gesicht“ der internationalen Kampagne – und seither, fast über Nacht, eines der gefragtesten Männer-Models der Welt.
Wenn Nicolas Jost in einer der Modemetropolen ankommt und sich einen Augenblick lang quasi selbst begegnet, sei das ein „gutes Gefühl“, aber auch ein bisschen unwirklich. „Ich bin ja in die ganze Sache so reingerutscht“, sagt er ganz bescheiden über seine Blitzkarriere, für die Millionen Models auf der ganzen Welt alles tun würden.
Hamburger Agentur entdeckte ihn auf Instagram
Entdeckt wird er vor gut einem Jahr im Geschichtsunterricht. Na ja, fast jedenfalls. Nicolas Jost selbst entdeckt nämlich nach Ende der Schulstunde die Nachricht eines Scouts der Hamburger Agentur MGM, die mit 1100 Models unter Vertrag, Dependancen in Düsseldorf und Paris und einem Jahresumsatz von elf Millionen Euro innerhalb Europas zu den größten und renommiertesten Unternehmen der Branche zählt. Ob er nicht Lust habe, zeitnah mal in der Zentrale am Mittelweg für Probeaufnahmen vorbeizuschauen, die Fotos auf seinem Instagram-Account seien sehr vielversprechend, heißt es.
„Da war ich total überrascht. Ich hatte da immer bloß Schnappschüsse gepostet, vom Fußball mit meinen Jungs oder vom Schüleraustausch in Genf. Normale Bilder eben, ohne Posen und Filter“, erzählt der 18-Jährige, der bis vor Kurzem noch in einer Pizzeria in Lüneburg gekellnert und im Baumarkt gejobbt hat.
Eltern haben Nicolas ermutigt
Die Eltern – Vater in der Finanzbranche, Mutter Heilpraktikerin für Psychotherapie – bestärken Nicolas darin, „die Sache doch einfach mal auszuprobieren und sich vorzustellen“. Dass es ihren Sohn nur wenig später von Lüneburg aus auf die Laufstege der Welt führen würde, dass er auf der Mailänder Fashion Week läuft, vor internationaler Top-Prominenz die Mode von Armani präsentiert und andere Luxushäuser um ihn buhlen, das hätten wohl weder sie noch Nicolas selbst gedacht. Marco Sinervo dagegen schon.
Als der Chef von MGM Models, der einst Supermodel Eva Herzigova groß machte, den Jungen aus Lüneburg zum ersten Mal sieht, erkennt er sofort dessen Potenzial. „Dass die Parameter stimmen, ist ja offensichtlich“, sagt Marco Sinervo. Heißt: 1,88 Meter groß, dunkles Haar, tiefer Blick aus braunen Augen, markantes Gesicht. Mindestens so überzeugend sei jedoch die Persönlichkeit. „Nicolas ist höflich, charmant, zuverlässig und zielstrebig.“ Attribute, die im Modelgeschäft verlangt, aber bedauerlicherweise nicht mehr selbstverständlich seien, sagt Sinervo, der seine 2007 gegründete Agentur erst Anfang des Monats allein räumlich auf 1200 Quadratmeter vergrößert hat und im kommenden Jahr ein Büro in den USA eröffnen will.
Sinervo: Mittlerweile glaubt jeder, dass er modeln könnte
„Ich erlebe, dass mir Mädchen sagen: Wie, ich muss dann nach Paris? Da hat aber meine Oma Geburtstag. Da bin ich fassungslos.“ Models aus Südamerika, aus Osteuropa hätten mehr Disziplin, deutlich mehr Biss. „Bei uns sind viele einfach übersättigt.“ Auch im wahrsten Sinne des Wortes. Magersucht – oft mit der Branche assoziiert, weil in Mailand und Paris beispielsweise ein Hüftumfang von 90 Zentimetern nicht überschritten werden darf – sei derzeit nicht das Problem. „Ich lerne Bewerberinnen kennen, die mir erzählen, dass sie Angst hätten, magersüchtig zu werden. Da muss ich dann leider offen sagen: Nee, du liegst 15 Kilo über Normalgewicht!“
Mittlerweile glaube, begünstigt durch Unterhaltungsformate wie „Germany’s Next Topmodel“, einfach jeder, dass er modeln könnte. „Nach dem Motto: Wenn ich etwas fülliger bin, dann bin ich eben ein Curvy Model. Wenn ich schon etwas reifer bin, dann mache ich halt auf Best-Ager-Model. Aber das sind Nischen, da spielt sich nicht das Geschäft ab“, sagt der Hamburger, Sohn einer Finnin und eines Italieners, der seit mehr als 25 Jahre in der Branche arbeitet.
Bis zu 500 Bewerbungen gehen pro Monat ein
Bis zu 500 Bewerbungen gehen jeden Monat in seiner Agentur in Rotherbaum ein. „Selten passt mehr als eine“, sagt Marco Sinervo. Viele würden ihre Fotos einfach so stark bearbeiten und filtern, dass sie mit der Realität schlicht nichts mehr zu tun hätten. „Da sage ich dann auch: Du weißt selbst, dass du nicht so aussiehst wie auf den Bildern, die du uns geschickt hast, oder?“ Die Antwort sei, dass man halt mal eine internationale Modelagentur von innen sehen wolle.
Gut, das lohnt sich schon, denn ein bisschen sieht es in dem sanierten Altbau aus wie in einem edlen Club, alles in Schwarz und Chrom, an den Wänden Sedkarten, also Porträtaufnahmen, der Models – 70 Prozent davon Deutsche –, die hier unter Vertrag stehen. Drei Scouts suchen derzeit für MGM Models allein in Deutschland nach neuen Gesichtern. Dass sie, wie im Fall von Nicolas Jost, bei Instagram fündig würden, sei eher die Ausnahme. „In der Regel läuft das noch ganz klassisch“, sagt Marco Sinervo. „Man sieht jemanden an der Autobahn-Raststätte, in der Tiefkühlabteilung im Supermarkt oder beim Shopping in der Stadt.“
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Topmodel Nicolas Jost will ab Herbst studieren
Darüber hinaus habe sich das Modelgeschäft jedoch stark verändert: Magazine starben, Agenturen mussten schließen, die Gagen schrumpften. Bei 2000 Euro pro Tag läge sie bei seinen Models im Schnitt, sagt Sinervo. „Es gibt keine Kataloge mehr. Heute machen die Aufträge großer Online-Shops den Großteil unseres Umsatzes aus“, sagt der vierfache Vater. Darauf, dass alles schnelllebiger geworden sei, habe er sich mit seiner Agentur früh eingestellt. „Wenn ein Model heute für ein Shooting in 70 bis 80 Outfits pro Tag posen muss, dann hat das mit Glamour wenig zu tun.“
Auch Nicolas Jost hat schon einen solchen E-Commerce-Job gemacht. „Anstrengend, aber auch spannend.“ Er schaue, was noch so komme. Einen Studienplatz ab Herbst will er sich aber sichern – Wirtschaftsrecht sei sein Ding.