Hamburg. Der langjährige Hamburger SPD-Abgeordnete Thomas Böwer lebt in Peking. Gespräch über Deutschlands Kampf gegen Corona.

Von 1997 bis 2011 saß er für die SPD in der Bürgerschaft, seit 2013 lebt Thomas Böwer mit seiner Familie in Peking. Im Interview schildert er die Lage im Corona-Ausnahmezustand – und sagt, wie er Deutschlands Umgang mit dem Virus aus der Ferne wahrnimmt.

Hamburger Abendblatt: Herr Böwer, wie ist die Situation derzeit in Peking?

Thomas Böwer: In normalen Zeiten ist Peking eine pulsierende Metropole. Jetzt sind die Straßen leer, die meisten Geschäfte und Restaurants geschlossen. Das öffentliche Leben ist nahezu zum Erliegen gekommen. Ganz allmählich kehren Menschen in ihre Büros zurück. Wer kann, macht weiter Homeoffice.

Heißt das: Die Lage entspannt sich?

Böwer: Man gewöhnt sich an die Situation. Von Entspannung sind wir weit entfernt.

Was sind bisher noch die größten Veränderungen im Pekinger Alltag?

Böwer: Schulen, Kindergärten und Universitäten sind seit Wochen geschlossen. Meine Söhne genießen eine Art Online-Beschulung zu Hause. Frühestens am 16. März sollen die Schulen wieder öffnen. Geht man aus dem Haus, trägt man Maske, für Brillenträger eine besondere Herausforderung. Besuch zu Hause empfangen ist nahezu unmöglich. Beim Betreten der Wohnanlage wird Fieber gemessen. Der öffentliche Nahverkehr wird gemieden.

Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen

  • Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Händewaschen
  • Regelmäßig die Hände waschen
  • Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
  • Coronavirus: Ein bis zwei Meter Abstand zu Erkrankten halten

Wie gehen Sie mit der Lage um? Haben Sie Angst vor Ansteckung und um die Familie?

Böwer: Angst nein, Respekt ja. Niemand hier, den ich kenne, nimmt die Situation und das Virus auf die leichte Schulter. Normalerweise sind die Pekinger zehn von zwölf Monaten im Jahr draußen, auf den Straßen, in den Parks, man geht oft und gerne essen und trifft Freunde. All das gibt es derzeit nicht. Es mutet alles sehr surreal an. Das Leben hat sich in die eigenen vier Wände verlagert. Von Hysterie kann ich aus Peking aber nicht berichten.

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Wie schützen Sie sich und Ihre Familie?

Böwer: Draußen Atemmaske tragen. Das ist auch Pflicht. Mehrmals am Tag die Hände waschen und möglichst zu Hause bleiben.

Welche weiteren Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie gibt es?

Böwer: Fiebermessen an nahezu allen Eingängen ist Routine, das gilt auch beim Besuch von Supermärkten, Gebäuden und den wenigen geöffneten Restaurants. Dort gilt: nur zwei maximal drei Personen an einem Tisch. Die Tische müssen einen Mindestabstand haben. Gerade das wird hier sehr streng kontrolliert.

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Was passiert, wenn Fieber festgestellt wird?

Böwer: Dann kommt man weder in ein Restaurant noch in seine eigene Wohnung. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man dann ins Krankenhaus gebracht wird.

Wie versorgen Sie sich?

Böwer: Wir verhungern nicht. Die Supermärkte sind geöffnet. Manchmal sind die Regale übersichtlicher als gewohnt. Mit der Zeit arrangiert man sich mit dem Angebot.

Wie kommt das chinesische Gesundheitssystem mit der Epidemie zurecht?

Böwer: Es mag sein, dass das Virus anfangs in Wuhan unterschätzt wurde. Ich halte die jetzigen Maßnahmen für gerechtfertigt und notwendig. Die Bekämpfung des Virus hat oberste Priorität, und da sind Bewegungseinschränkungen hinzunehmen.

Coronavirus: Das müssen Sie über Fachbegriffe wissen

  • Coronavirus: Eine Klasse von Viren, zu denen der neuartige Erreger gehört
  • SARS-CoV-2: Die genaue Bezeichnung des Virus, das sich von China aus verbreitet
  • Covid-19: Die Erkrankung, die das Virus auslöst.

Welche wirtschaftlichen Folgen gibt es?

Böwer: In nahezu allen Branchen gibt es zum Teil dramatische Umsatzeinbrüche. Insbesondere die Mitarbeiter sind derzeit die Leidtragenden. Ich vermute, dass viele der kleinen und mittleren Unternehmen nur mit großen Anstrengungen den Sommer erleben werden.

Laut Satellitenbildern hat sich die Luftqualität in China deutlich verbessert.

Böwer: Die Luftqualität ist zuletzt sowieso besser geworden. Nun wird dies durch ruhende Produktion und Straßenverkehr verstärkt. Was diese Bilder nicht zeigen: Man kann in Peking wieder Vögel zwitschern hören. Ein Hauch von Frühling.

Mit Ihren Erfahrungen: Glauben Sie das Deutschland derzeit angemessen reagiert?

Böwer: Ich wünsche Deutschland alles Gute und den notwendigen Respekt vor dem Virus. In China macht es Sinn, Schulen und Kitas langfristig zu schließen, um das Virus wirksam einzudämmen. Wenn es eine Lehre gibt, dann den Menschen sehr rechtzeitig reinen Wein einzuschenken – und bitte in aller Konsequenz zu handeln. Ohne spürbare Einschränkungen wird es keinen Erfolg beim Kampf gegen das Virus geben.