Hamburg. Vor der Bürgerschaftswahl demonstriert der FDP-Chef Optimismus. Er spricht über die Lehren aus Erfurt, Fridays for Future und die CDU.

Die Bürgerschaftswahl am Sonntag wird für die FDP zur Schicksalswahl. In der letzten Umfrage lagen die Liberalen nur noch bei 4,5 Prozent. Parteichef Christian Lindner über die Lehren aus Thüringen, die eigene Rolle und die Chancen in der Hansestadt.

Herr Kubicki hat bei seinem Auftritt vor vier Wochen mit vielen Hamburgern gewettet, die FDP bekomme 8,5 Prozent. Den Wein kann er schon einmal besorgen, oder?

Christian Lindner: Die Ereignisse von Erfurt haben natürlich viele Menschen irritiert. Wir haben uns von der AfD in eine Falle locken lassen, danach aber schnell Klarheit geschaffen. Wir lehnen jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD ab. Unser Fehler wird jetzt leider von Gegnern genutzt, Freie Demokraten als Nazis zu diffamieren. Es gibt Versuche, unsere Werte wie Freiheit oder Respekt­ vor Arbeit und Eigentum in eine rechte Ecke zu rücken. Alles, was nicht links oder grün ist, gilt plötzlich als rechts. Wir sind aber eine Partei der Mitte. Und wir werden uns nicht einschüchtern lassen.

Ein Ergebnis von Erfurt ist, dass in Umfragen sich erstmals seit Jahren wieder eine linke Mehrheit in Deutschland abzeichnet.

Das wird ja genau bezweckt. Erfurt war aber nicht gewollt, sondern das Ergebnis einer Fahrlässigkeit, mindestens einer Fehleinschätzung.

Auch Ihrer Fehleinschätzung?

Auch ich habe mir nicht vorstellen können, dass die AfD einen Kandidaten nur als Strohmann zur Wahl stellt, den sie dann selbst nicht wählt. Das ist ehrlos und soll Chaos stiften. Es empört mich, wenn der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagt, FDP und CDU stünden­ nicht uneingeschränkt zum Grundgesetz. So erreicht die AfD ihr Ziel, diese Gesellschaft zu spalten. Diesen Politikern geht es darum, eine rein linke Deutungshoheit über viele Themen zu erlangen. Da werden wir uns wehren.

Warum haben Sie so lange mit einem klaren Statement nach der Wahl in Thüringen gezögert?

Ich habe schon in meinem ersten Statement gesagt, dass ich mein Amt als Parteivorsitzender abgeben würde, wenn nicht jede Kooperation mit der AfD ausgeschlossen wird. Außerdem habe ich von Neuwahlen gesprochen. Am nächsten Morgen war ich in Erfurt zu Beratungen. Nach 23 Stunden wurde der Rücktritt des Ministerpräsidenten fixiert, bei Verzicht auf alle Bezüge – und trotz des Risikos hat die FDP Thüringen die Bereitschaft zu Neuwahlen.

Wie viele Mitglieder haben denn die FDP aus Protest verlassen?

Wir haben noch keine Zahlen, aber sicher keine Austrittswelle. Nach den ersten Trends kann man aber sagen, dass wir seit Jahresanfang mehr Mitglieder gewonnen als verloren haben. Und wer im ersten Schock ausgetreten ist, kann ja auch wieder gewonnen werden.

Wie lauten die Lehren aus Erfurt?

Die AfD ist in einer zerstörerischen Weise aufgetreten. Zur Demokratie gehört Verlässlichkeit. Der 5. Februar muss ein Wendepunkt sein – jetzt muss der Letzte erkannt haben, wie destruktiv diese Partei ist. Sie will keine Krisen lösen, sondern Krisen schaffen. Schon bei der nächsten Wahl des Bundespräsidenten in der Bundesversammlung können wir eine ähnliche Konstellation bekommen. Damit müssen sich alle Demokraten auseinandersetzen.

Manche Ihrer Funktionäre haben sich nach der Wahl Kemmerichs gefreut, andere waren erschüttert. Wie bekommt man die FDP wieder zusammen?

Die FDP steht zusammen. Manche haben ganz menschlich zunächst nur die Information wahrgenommen, dass einer von uns Ministerpräsident geworden ist. Erst danach ist ihnen bewusst geworden, wer diese Wahl ermöglicht hat. Ich habe mich dafür im Namen der FDP entschuldigt. Jetzt setze ich aber auch auf die Bereitschaft, dass diese Entschuldigung angenommen wird.

In Hamburg notiert die FDP in Umfragen inzwischen unter fünf Prozent.

Es gibt eine einzige unter fünf Prozent. Alle anderen sind darüber. Das erkläre ich mit der Irritation zur Position der FDP, die nun geklärt ist. Wir werden die Mitte in diesem Land nicht kampflos räumen. Wer steht denn noch für eine Mäßigung beim Klimanotstand und für technologische Innovation statt Verboten? Wer für Respekt vor Leistung und Eigentum statt Enteignungen? Wer traut den Menschen selbst etwas zu, statt zu entmündigen und zu bürokratisieren? Nun scheint das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Rot und Grün abgesagt. Man muss nicht mehr SPD wählen, um eine grüne Bürgermeisterin zu verhindern. Jetzt geht es um ein ordentliches Ergebnis für die FDP und darum, dass diese Stimme in der Bürgerschaft vernehmbar ist.

Was ist, wenn die FDP rausfällt? Ziehen Sie dann persönliche Konsequenzen?

Die FDP fällt nicht aus der Bürgerschaft.

Aber sollte es danebengehen, was wird dann aus Ihnen?

Ich bin gewählt bis 2021. In Hamburg geht es nicht um die FDP und Christian Lindner, sondern darum, welchen Weg diese Stadt und dieses Land gehen. Es geht nicht um mich, sondern um vernünftige Schulen, eine vernünftige Wirtschaftspolitik, eine vernünftige Klimapolitik. Es wäre schade, wenn diese Stadt um diese Stimme der Vernunft beraubt würde.

Wie groß ist inzwischen die Macht der AfD auf den Diskurs in Deutschland?

Es gibt zwei Pole, die die Debatte beherrschen: die AfD und die Reaktionen auf sie und die Grünen und ihr Umfeld. Ich setze diese Pole nicht gleich, aber sie sind sehr dominant im Meinungsklima. Das macht es für uns in der Mitte schwierig. Die Grünen sind die Partei des Klimanotstands – und auf der anderen Seite steht die AfD, die den Klimawandel leugnet. Diese Zuspitzung stärkt die Ränder, nicht die Mitte.

Zwei Tage vor der Wahl gibt es eine große „Fridays for Future“-Demo in Hamburg. Warum demonstrieren Sie da nicht mit?

Diese Bewegung predigt: Hört auf die Wissenschaft. Die Wissenschaft ist sich sicher, dass der Mensch das Klima verändert. Aber die Wissenschaft ist sich nicht einig, wie wir CO2 einsparen und Klimaschutz betreiben können. Unsere Position ist, mehr auf Ingenieure und Techniker zu hören, statt auf Verbots- und Symbolpolitik zu setzen. Es ergibt keinen Sinn, in Baden-Württemberg ein Atomkraftwerk abzuschalten und dann Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen zu importieren. Wir brauchen grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, die wir im industriellen Maße produzieren müssen. Aber wir diskutieren lieber über den Verbot von Ölheizungen, die eh niemand mehr einbaut.

Sie sind am Freitag in Hamburg, schauen Sie doch mal bei der Demo vorbei.

Ich diskutiere gern mit den Schülern, aber ich protestiere nicht zusammen mit einer Bewegung, die in Teilen Rechtsstaat und Marktwirtschaft infrage stellt. Ich erinnere daran, dass die UN 18 Menschheitsziele definiert hat – Klimaschutz ist einer davon, es gibt aber auch die Bekämpfung des Hungers, der Armut oder die Gleichberechtigung der Frauen. Das sind legitime Ziele, die wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen.

Eine letzte Frage. Die CDU sucht einen neuen Vorsitzenden. Haben Sie einen Lieblingskandidaten?

Ich schätze alle drei Persönlichkeiten. Wir regieren in NRW sehr erfolgreich, und ich habe 2017 mit Armin Laschet die Koalition bilden dürfen. Diese Regierung arbeitet sehr erfolgreich.

Herr Merz müsste Ihnen doch programmatisch näher sein.

Friedrich Merz plädierte kürzlich für die Vergemeinschaftung von Schulden in Europa und will den Spitzensteuersatz erhöhen. Das ist nicht sehr nah an unserer Programmatik.

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