Hamburg. Überlebender Henri Zajdenwerger schildert im Prozess gegen Ex-SS-Wachmann Bruno D. schlimmste Torturen.

Als er die Gefangenenschaft im Konzentrationslager Stutthof überlebt hatte, mit viel Durchhaltevermögen und noch mehr Glück, da wog Henri Zajdenwerger gerade noch 30 Kilogramm. Der damals 17-Jährige war als französischer Staatsbürger jüdischen Glaubens zunächst nach Litauen und Estland deportiert worden und von dort im August 1944 in das Konzentrationslager bei Danzig gekommen. Und dort, erzählt der heute 92-Jährige, sei er für das Wachpersonal „nur noch eine Nummer“ gewesen. 80409, so hieß er damals. „Man behandelte uns schlimmer als Tiere“, sagt Zajdenwerger. „Man hatte mehr Respekt für Tiere als für uns.“

Henri Zajdenwerger kam fast zur gleichen Zeit in Stutthof an wie der Angeklagte Bruno D., der als SS-Wachmann im Konzentrationslager tätig war und dem die Staatsanwaltschaft im Prozess vor dem Landgericht Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorwirft. Laut Anklage war der 93-Jährige ein „Rädchen der Mordmaschinerie“ und hat mit seiner Tätigkeit im KZ die Tötung insbesondere jüdischer Gefangener unterstützt.

Henri Zajdenwerger erlebte in Sutthof Erhängungen mit

Er habe in Stutthof „große Angst gehabt“, sagt Henri Zajdenwerger als Zeuge. Er habe gesehen, wie die Gefangenen Schläge bekommen haben. Auch er selber sei geschlagen worden. Er sei zum Arbeitsdienst im Wald eingeteilt worden und habe Bäume fällen müssen. „Bei der Arbeit war die SS auch immer dabei. Die waren brutal.“ Auch Erhängungen habe er miterlebt, schildert der 92-Jährige. Ein Mithäftling habe zur Abschreckung den ganzen Tag bis zum Abend am Galgen gehangen. Außerdem hätten die Appelle manchmal stundenlang gedauert. „Wir mussten zählen, und wenn wir uns verzählt hatten, mussten wir wieder von vorn anfangen.“

Einmal seien sie im Winter bei Eiseskälte dazu gezwungen worden, ihre Kleidung in einer Flüssigkeit tränken und dann wieder anzuziehen. „Es war sehr nass und bitterkalt.“ Bei den Torturen im Lager habe er „ein bisschen meinen Glauben verloren und gefragt: Wo ist er, der Gott?“

Er verstehe nicht, dass Bruno D. nicht früher, sondern „erst jetzt angeklagt wurde“, sagt Henri Zajdenwerger — woraufhin die Vorsitzende Richterin antwortet: „Das verstehe ich auch nicht.“ Das sei „ein großes Versagen der Justiz“ gewesen. Der Zeuge bezeichnet die Qualen, die er und viele andere unter der Herrschaft der Nationalsozialisten erlebt haben, als „etwas Unvorstellbares. Ich habe dem Angeklagten nichts zu sagen. Da ist eine große Distanz zwischen ihm und mir. Er muss mit seinem Gewissen zurecht kommen und was er getan hat. Und ob das menschlich war oder nicht.“

Angeklagter Bruno D. erlitt Schwächeanfall

Die Zeugenaussage des 92-Jährige hatte für eine längere Pause unterbrochen werden müssen, weil der Angeklagte Bruno D. einen leichten Schwächeanfall hatte. „Ich kann jetzt nicht“, hat der 93-Jährige gesagt, während der Zeuge seine Erlebnisse schildert. Nach der Pause, in der der Senior von Ärzten betreut wurde, wirkt er kräftiger. „Ich bin wieder da.“

Auch die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld, die durch ihr Engagement bei der Aufklärung und Verfolgung von NS-Verbrechen bekannt wurde, ist am Mittwoch Zuhörerin im Prozess. Solche Verfahren wie das gegen Bruno D. seien „symbolisch und wichtig“, sagt die 80-Jährige.

Es gehe darum, vor allem jüngeren Menschen vor Augen zu führen, was an Orten wie dem Konzentrationslager Stutthof geschah. „Wir müssen dagegen kämpfen, dass die Rechtspopulisten mehr Stimmen gewinnen.“