Hamburg. Kurz vor der Wahl schlägt die Stunde der Trolle. Was Hamburger Politiker im Internet ertragen müssen ist oft primitiv.
Um seinen Auftritt in den sozialen Medien hat sich Arne Nüchterlein (29) sieben Jahre kaum gekümmert. Auf Facebook hat er aus Rücksicht auf seinen Job beim Staatsschutz der Hamburger Polizei bisher so gut wie nichts veröffentlicht. Doch statt im Verborgenen zu bleiben, investiert er gerade viel Energie, um öffentlich wahrgenommen zu werden. Seitdem er für die CDU um ein Bürgerschaftsmandat (Listenplatz 7) kämpft, vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht etwas postet, vor allem zu mobilen Polizeiwachen an Kriminalitäts-Brennpunkten wie dem Hansaplatz. Sie sind seine Idee, Nüchterlein brennt dafür. Doch der Politik-Neuling hat ernüchtert registriert, dass er so nicht nur potenzielle Wähler erreicht, sondern auch Internet-Trolle anlockt. Ein Kommentator schrieb unter ein Video „Heuchler“, ein anderer „ACAB“ (All Cops Are Bastards), „es versucht zu reden“ ein Dritter. „Haut die Ausländer raus“, „Scheiß CDU“ und so weiter. In der Gesamtheit seien die Kommentare „vielleicht noch ,hinnehmbar‘“, als Politiker müsse man ja „einiges abkönnen“, findet Nüchterlein. Trotzdem hat er sich gefragt: „Warum soll ich mir das eigentlich antun?“
Menschen als Zielscheibe, auf die man ungestraft drauflos ballern darf
Es geht nicht darum, dass hier einer den Wechsel vom Bällchenbad ins Haifischbecken nicht verkraftet, Nüchterlein bettelt auch nicht um Welpenschutz. Es geht darum, dass selbst Jung-Politikern die Übernahme eines öffentliches Amtes mitunter vergällt wird, weil andere in ihnen eine Art Zielscheibe sehen, auf die man im Internet ungestraft drauflos ballern darf. Erst allmählich greift die Justiz in diesem toten Winkel der Rechtsstaatlichkeit durch.
Frageportal und Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de
Gerade jetzt, drei Wochen vor der Bürgerschaftswahl, schlägt die Stunde der Trolle, neudeutsch „Hater“. Sie schwärmen aus ihren Echokammern aus und hämmern sich an der Tastatur den Hass von der Seele. Futterplätze gibt es reichlich, denn die Politiker werben aktuell intensiv für ihre Positionen. Betroffen sind vor allem Kandidaten, deren Schwerpunkte auf der Reizachse Kriminalität, Ausländer, Islam, Links-Rechts-Extremismus, Verkehr und Klimaschutz liegen. Die sozialen Medien sind dabei Fluch und Segen zugleich: Sie sind nützlich, weil Politiker ungefiltert Werbung in eigener Sache machen können.
Gerade bei emotional aufgeladenen Themen aber gleitet die Diskussion in den Kommentarspalten schnell ins Unsachliche ab – so entsteht ein schmieriger Nährboden, auf dem Diffamierungen, Pöbeleien und Bedrohungen prächtig gedeihen. Nichts gegen kontroverse Diskussionen und Zuspitzungen, das müsse ein Politiker aushalten, findet Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Aber das Maß an Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen und Hass im Netz ist auf einem unerträglich hohen Niveau.“
Viel Hass und Häme einstecken müssen
Ähnlich sehen es die Hamburger Grünen. „Übelste rassistische und sexistische Kommentare sind keine Seltenheit“, sagt Mareike Engels, stellvertretende Fraktionschefin. Dies zeige sich in „alltäglichen, grenzüberschreitenden Kommentaren“. Insbesondere die Neue Rechte habe die „Grenzen des Sagbaren“ verschoben. Dem gelte es, entschieden entgegenzutreten. Wer Streit als das Ringen um Überzeugungen versteht, merkt schnell, dass in den sozialen Medien häufig nicht mit dem Florett gefochten, sondern mit der Keule geknüppelt wird.
Gladiator hat bereits viel Hass und Häme einstecken müssen, seit er die innere Sicherheit für die CDU verantwortet. Anecken und die Lust am Streit gehören praktisch zur DNA des Ressorts. Seine Themen - Rote Flora dichtmachen, harte Kante gegen Kriminelle und Islamisten, die Polizei stärken - polarisieren. Sie sind wie geschaffen für linke und rechte Sektierer, für Radikale jeder Couleur. Der bullige CDU-Mann, der gern markig austeilt, hat sich in den vergangenen Jahren ein dickes Fell wachsen lassen müssen. Zuschriften wie „Du widerlicher CDU-Spinner“ löscht er zwar sofort. Doch im Herbst war es mit dem Langmut vorbei. Da hatte ihm ein Mann im Wahn eine Morddrohung geschickt, einfach so. Zum ersten Mal seit G 20 musste Gladiator die Polizei einschalten.
Schmaler Grad zur Realität
Wie schmal der Grat zwischen Hass im virtuellen Raum und Gewalt im echten Leben ist, zeigt der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Der verdächtigte Todesschütze Stephan E. trieb sich früher in rechtsextremen Internet-Foren herum und verfasste Hasskommentare. Um „Hate-Speech“ im Internet effektiver zu verfolgen, hat der Senat vor wenigen Wochen eine Bundesrats-Initiative gestartet. Das Ziel: Anbieter sozialer Netzwerke sollen nach dem „Marktortprinzip“ gesetzlich verpflichtet werden, die Urheber (anonymer) Hass-Postings preiszugeben. In Zukunft sollen sie bei derartigen Anfragen nicht mehr auf ihren Sitz im Ausland verweisen können.
Seit die Staatsanwaltschaft im Juli 2018 begonnen hat, Straftaten aus dem Bereich Hass-Kriminalität gesondert zu erfassen, sind die Fallzahlen deutlich gestiegen. Im Vorjahr leitete sie 184 Ermittlungsverfahren ein; die Justizbehörde betont ausdrücklich, dass sie von einer Vielzahl weiterer, nicht angezeigter Taten ausgeht. Rund 42 Prozent der Fälle (74) spielen im Internet. Im Zentrum der meisten Verfahren stehen fremdenfeindliche Straftaten (111 Fälle), antisemitische (31), islamfeindliche (27) und solche gegen die sexuelle Identität und Orientierung (22). Es geht vor allem um die Straftatbestände Gewaltdarstellung und Volksverhetzung (64), Beleidigung (67) und Körperverletzung (30). Wie viele Politiker Opfer des Hasses im Netz werden, wird zwar nicht erfasst. „Aber wir sehen schon, dass diese Gruppe immer wieder betroffen ist“, sagt Behördensprecherin Marayke Frantzen.
Abaci schlug blanker Hass entgegen
Betroffen war auch der SPD-Abgeordnete Kazim Abaci – und wie. Los ging es an einem Donnerstag Ende Januar, eine Mail nach der anderen landete in seinem Postfach, das Telefon im Büro stand nicht still. In jeder Mail, in jedem Telefonat schlug ihm blanker Hass entgegen. „Schon in naher Zukunft“, drohte jemand, „werden Sie zusammen mit dem anderen Kanacken-Dreck in die Lager wandern.“ Es ist ein Beispiel von vielen.
Anlass für die Hetze war ein Interview mit der Hamburger Morgenpost, in dem Abaci von einem Treffen mit dem Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu berichtet hatte. Dieser unterstütze seine Bemühungen, die Wahlbeteiligung der Deutschtürken in Hamburg zu erhöhen. Auf diese Weise, wird Abaci zitiert, „könnte Hamburg das erste Bundesland werden, das die AfD wieder aus dem Parlament schmeißt“. Kaum hatte die AfD als Reaktion auf den Artikel eine Stellungnahme veröffentlicht, quoll Abacis Facebook-Profil über vor Beleidigungen und Bedrohungen. „Erst habe ich das nicht ernst genommen, aber es hörte nicht auf“, sagt er. Am Ende habe er über 150 Hass-Mails gezählt. Gegen die Absender habe er Strafanzeige gestellt, die Kommentare auf Facebook gelöscht. Einschüchtern lasse er sich aber nicht, er sei Attacken aus dem rechten Spektrum „gewohnt“. Dennoch: „Ich habe keine Angst, aber ich bin vorsichtiger geworden, achte mehr auf Personen in meinem Umfeld, die sich auffällig verhalten.“
Wut-Walze donnertte über Ilkhanipour
Auch über seinen Parteifreund Danial Ilkhanipour donnerte eine Wut-Walze hinweg, nachdem die AfD ein Foto eines Wahlposters in den sozialen Medien geteilt hatte. Auf dem Poster, das in iranischen und afghanischen Restaurants hängt, bietet er Menschen mit Migrationshintergrund seine Hilfe an. Bei Fragen zum komplizierten Hamburger Wahlrecht könnten sie ihn anrufen. Nur weil er den Aufruf in persischer Sprache verfasst hatte – das gleiche Poster gibt es auch auf Deutsch –, brannten bei einigen Menschen die Sicherungen durch. „Ich bekomme Anrufe, SMS und Mails mit teils harten Beschimpfungen, unter anderem hieß es, ich solle deportiert werden“, sagt Ilkhanipour dem Abendblatt. Wie er damit umgeht? „Ich versuche jedes Gespräch anzunehmen und zu argumentieren.“ Am Ende habe ihm „so mancher wütende Kritiker recht gegeben“.
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Mit Verbal-Dreck von Rechtsaußen mussten sich auch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), die Ex-Bürgerschaftsabgeordnete Stefanie von Berg (Grüne), jetzt Altonaer Bezirksamtsleiterin, und Karin Prien, ehemalige Hamburger CDU-Fraktionschefin, herumplagen. Sie erhielten jeweils Hunderte Mails und Anrufe, die meisten boshaft, kränkend, sexualisierend, ekelerregend, zum Gruseln primitiv. Veit hatte zuvor einem AfD-Mann in der Bürgerschaft das Wort entzogen und des Plenarsaals verwiesen, von Berg im Parlament von einer „superkulturellen Gesellschaft“ gesprochen, Prien hatte vorgeschlagen, Flüchtlinge in Privathaushalten unterzubringen, wenn sich Hamburger freiwillig dafür meldeten.
Carola Veit ging in die Offenisve
Das reichte, um den Internet-Mob in Raserei zu versetzen. Ein Mann wünschte von Berg, sie möge von einem „Maximalpigmentierten vergewaltigt“ werden, ein anderer tobte „kauf dir einen Kanister Benzin und verbrenn dich öffentlich“, ein weiterer hetzte „Ab nach Auschwitz“. Von Bergs Peiniger, jener, der ihr die Vergewaltigung an den Hals wünschte, wurde ein Jahr später zu einer Geldstrafe verurteilt. Veit ging in die Offensive, indem sie einige Mails auszugsweise bei Twitter veröffentlichte – und die Absender-Adresse gleich mit.
Bemerkenswerterweise hat Cansu Özdemir, obgleich linke Spitzenpolitikerin und kurdischer Abstammung, bisher kaum Post von Rechtsextremen erhalten. Umso gnadenloser wird sie von türkischen Nationalisten mit Hass-Mails bombardiert. „Immer dann, wenn ich von meinem demokratischen Recht Gebrauch mache, und meine Meinung zu Vorgängen in der Türkei kundtue“, sagt Özdemir. Die Attacken könne sie gar nicht mehr zählen, so viele seien es gewesen. Seit 2014 registriere sie einen deutlichen Anstieg derartiger Zuschriften, vor allem auf Instagram, weniger auf Facebook und Twitter. „Mein Eindruck ist: Die Leute fühlen sich hinterm PC oder am Smartphone einfach sicher.“
Morddrohungen: Staatsschutz ermittelt
Der Hass ist wie ein Hintergrundrauschen. Eines, das immer lauter wird, abhängig davon, was Özdemir sagt, über wen sie es sagt und wie stark sie in den Medien präsent ist. Besonders schlimm, sagt Özdemir, sei es nach den türkischen Angriffen auf die kurdische Enklave Afrin (Syrien) gewesen. Auch Morddrohungen habe sie erhalten, etwa: „Wag es mal in die Türkei zu kommen, dann schlachten wir deinen Kopf!“ Die Ermittlungen überließ Özdemir dem Staatsschutz. Auch wenn sie sich nicht einschüchtern lasse, so sei da doch ein Gefühl der Unsicherheit entstanden, nicht der Angst, wie sie betont. Sie achte darauf, spätabends nicht mehr allein unterwegs zu sein oder in Begleitung. Und wenn sie öffentlich auftrete, suche sie zuvor schon mal die nächste Polizeiwache auf – nur um vorsichtshalber „Bescheid zu sagen“. Man weiß ja nie.
Keine Hasstaten im Internet hat bisher die FDP-Fraktion registriert. Anders sieht es bei den Jungliberalen (JuLis) aus. „Es gab Beleidigungen bezüglich meines Aussehens oder meiner deutsch-türkischen Abstammung“, sagt etwa der Hamburger JuLis-Chef Carl Cevin-Key Coste. Macht das etwas mit einem? „Ich lese darüber hinweg“, sagt Coste. Mit Anzeigen gegen die Trolle werde er seine Zeit jedenfalls nicht verplempern.
Arne Nüchterlein, der junge CDU-Mann, würde bei der Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet gern viel früher ansetzen. „Wir brauchen eine Cyberstreife, die das Internet bereits präventiv nach Straftätern durchsucht“, sagt er. Ein kühner Vorschlag angesichts der jüngsten Meldungen über die maximal ausbaufähige digitale Infrastruktur der Hamburger Polizei.
Nüchterleins politische Karriere fängt aber auch gerade erst an.