Hamburg . Hamburger Juristin bietet mit ihrem Verein neues Veranstaltungsformat an – und hat für den Klimaschutz ihr Leben komplett geändert.
Es waren zwei Schlüsselerlebnisse im Jahr 2019, die das Leben von Silke Quathamer und ihrer Familie komplett umkrempelten: die Hitze, die vertrockneten Bäume und ausgetrockneten Flüsse entlang der A7 bei der Rückkehr aus dem Urlaub Anfang August, und die Unwetter auf Sardinien im Herbst, bei denen das Meer unglaubliche Müllmengen an die Strände spülte. Da beschloss die Hamburger Familienrichterin und zweifache Mutter zum ersten Mal, der Schädigung der Umwelt nicht länger tatenlos zuzuschauen – und klaubte mit ihrer älteren Tochter den Müll aus dem Sand.
Danach fing es an, in ihr zu arbeiten. „Mir wurde plötzlich bewusst, auf welchen Abgrund wir mit unserem Konsumverhalten zusteuern. Das hat mich völlig fertig gemacht“, erinnert sich die 47-Jährige. Gegen Ende des Jahres sei es ihr richtig schlecht gegangen. Auch aus Sorge, dass ihre Töchter durch Klimawandel und Umweltschädigung wohl nicht die unbeschwerte Zukunft haben werden, die jede Mutter ihren Kindern so sehr wünscht.
Projekt wird vom Behörde gefördert
Heute, ein Jahr später, sieht alles ganz anders aus. Die Probleme der Menschheit und des Planeten bestehen weiterhin. Aber Silke Quathamer und ihre Familie haben ihr Konsumverhalten komplett geändert und tragen kaum noch selbst dazu bei. Außerdem hat die Juristin mit ihrem Mann Tobias, einem Arzt, Sozialunternehmerin Anna Pflug und weiteren Mitstreitern den gemeinnützigen Verein Fairbunden gegründet und die Veranstaltungsreihe „Klimasofa“ ins Leben gerufen – eine Art Salon, der Menschen zu mehr Klimaschutz im Alltag motivieren soll. Gerade hat die Umweltbehörde zugesagt, das Projekt im kommenden Jahr mit etwa 15.000 Euro aus dem Klimafond #moinzukunft zu fördern.
Ein Abend rund um den Klima- und Umweltschutz
Das „Klimasofa“ ist ein Abend rund um den Klima- und Umweltschutz. Gastgeber laden Freunde und Bekannte zu sich nach Hause ein. Dort halten vom Klimasofa-Team vermittelte Fachleute zunächst einen Vortrag. Für die drei Probeveranstaltungen, die seit September stattgefunden haben, konnte Silke Quathamer unter anderem einen Klimaforscher vom Climate Service Center und eine Meeresbiologin vom Baltic Environmental Forum gewinnen.
Der zweite Teil der Veranstaltung besteht aus kleinen Workshops und Infostationen, die teilweise von den Referenten selbst, von Ehrenamtlichen oder von Silke und Tobias Quathamer angeboten werden. Darin kann es in Absprache mit dem Gastgeber um klimafreundliche Ernährung, nachhaltige Digitalisierung, Ökostrom, die Herstellung eigener Putzmittel, grüne Geldanlagen, Zero Waste (komplette Müllvermeidung), nachhaltigen Konsum und weitere Themen gehen.
Bekleidung und Spielsachen Second Hand
Sehr viel hiervon praktiziert das Ehepaar mittlerweile selbst. „Vor einem Jahr habe ich beschlossen: So kann es nicht mehr weitergehen. Wir Menschen lassen uns von der Konsumindustrie wie Lämmer zur Schlachtbank führen“, so die Juristin, die damals noch in der Elternzeit war. Sie beschäftige sich immer mehr mit der Umweltproblematik: las statt Romanen nur noch Fachliteratur, wurde Greenpeace-Fördermitglied, ging auf „Fridays for Future“-Demonstrationen und kaufte nur noch schadstoff- und überwiegend verpackungsfrei ein.
Vegane Ernähung, keine Flüge, nur noch Second Hand
Schon vorher hatten die Quathamers ihr Auto kaum genutzt und Ökostrom bezogen. Jetzt fliegen sie nicht mehr, bestellen nur noch in Ausnahmefällen im Internet, kaufen Bekleidung und Spielsachen nur noch nachhaltig und fair produziert oder gleich Second Hand, ernähren sich vegetarisch und auch mal vegan und achten noch mehr darauf, keine Lebensmittel zu verschwenden. Sie haben die Bank gewechselt, legen ihr Geld „grün“ an, ermittelten mit einen entsprechenden Zähler den Stromverbrauch ihrer Haushaltsgeräte und stellen Putzmittel mittlerweile aus den fünf Zutaten Soda, Natron, Essig, Kernseife und Zitronensäure selber her.
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Nach der Umstellungen in ihrem Leben haben sie ihren CO2-Fußabdruck errechnet und den Rest dann über Atmosfair ausgeglichen. Dennoch würden sie immer weiter prüfen, in welchen Bereichen sie noch nachhaltiger werden könnten, sagt Silke Quathamer, beispielsweise bei der Nutzung digitaler Medien.
Klimasofa-Team sucht Verstärkung
Als Einschränkung empfänden sie das nicht. „Unser neues Leben hat nichts mit Verzicht zu tun“, betont sie. „Im Gegenteil: Es fühlt sich ehrlich, authentisch und richtig an.“ Das letzte Jahr sei das kreativste und lebendigste ihres Lebens gewesen – aber auch überaus anstrengend. Sie hat wieder angefangen, in Teilzeit zu arbeiten, den Rest ihrer Zeit nehmen die Vorbereitung der nächsten „Klimasofas“ (vier noch im Januar und bislang fünf im Februar) und ihre Familie in Anspruch. Dass sie es trotzdem schafft, noch zweimal in der Woche zum Yoga zu gehen, verdankt sie ihrem Organisationstalent und ihrer Energie.
Dringend weitere Unterstützer gesucht
Silke und Tobias Quathamer, Anna Pflug und das Klimasofa-Team wünschen sich, in diesem Jahr etwa 100 Veranstaltungen durchzuführen. Daher sucht das Projekt dringend weitere Unterstützer: Ehrenamtliche, die bei der Organisation der Abende helfen und vor Ort Ansprechpartner für die Gastgeber sind; Menschen, die in Mini-Workshops ihr Wissen zum klimabewussten handeln weitergeben möchten; und natürlich Gastgeber, die sich mit dem Abend für den Umwelt- und Klimaschutz einsetzen möchten – die Buchung unter Klimasofa.com ist kostenfrei, es wird aber um Spenden gebeten.
„Wir haben bislang von allen Beteiligten ein tolles Feedback bekommen“, betont Silke Quathamer. „Die Referenten freuen sich, mal nicht vor Fachpublikum, sondern vor interessierten Laien sprechen zu können. Und als Workshopleiter und Organisator ist es toll, Leute in Bewegung zu bringen und etwas auf die Beine zu stellen.“
Der Hamburger Klimafond
Der Hamburger Klimafond #moinzukunft wurde im September 2019 von der Umweltbehörde und der Hamburger Klimaschutzstiftung ins Leben gerufen. Rund 20 Projekte erhalten nun insgesamt 175.000 Euro für die Umsetzung ihrer Konzepte – mit dabei sind neben dem „Klimasofa“ auch das Schülerprojekt „Ackerdemia“, bei dem es um den Gemüsanbau geht, oder der Plan des Billstedter Kulturpalastes, öffentliche Räume im Stadtteil temporär zu begrünen.
Mit Jahresbeginn ist die zweite Bewerbungsrunde gestartet. Für 2020 stehen 275.000 Euro zur Verfügung. Ab sofort können Förderanträge bis 20.000 Euro per Email an moinzukunft@klimaschutzstiftung-hamburg.de eingereicht werden. Mitmachen können gemeinnützige Initiatoren aus dem Non-Profit-Bereich. Weitere Infos unter www.moinzukunft.hamburg/klimafonds.