Hamburg. Forsa-Chef Güllner über Eigenheiten der Hamburger Wahl, den Nutzen von Kampagnen – und wie die Umfragen funktionieren.

Die SPD mit drei Prozentpunkten Vorsprung auf die Grünen auf Platz 1 (SPD: 29 Prozent, Grüne: 26, CDU: 16, Linke: 10, FDP und AfD je 7), der Bürgermeister beliebter als seine Stellvertreterin und Herausfordererin. Das waren zwei der Ergebnisse der exklusiven Abendblatt-Umfrage zur Bürgerschaftswahl, die wir vergangene Woche veröffentlicht haben.

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte 1009 Hamburger repräsentativ befragt. Chef des Instituts ist Manfred Güllner (78). Er ist seit 1964 Mitglied der SPD, weshalb ihm regelmäßig eine zu große Nähe unterstellt wird. Güllner gilt aber als starker Kritiker seiner Partei.

Herr Güllner, es spricht viel für einen ganz engen Wahlausgang zwischen Rot und Grün. Was kann jetzt noch einen Ausschlag in die eine oder andere Richtung auslösen?

Manfred Güllner: Es wird sehr stark davon abhängen, wer wie seine Anhänger mobilisieren kann und ob die Wahlbeteiligung noch steigt gegenüber 2015. Was noch eine Rolle spielen könnte, ist, wie weit die Präferenz für Personen die Wähler bewegt, auch bei der entsprechenden Partei das Kreuz zu machen. Denn hier liegt Amtsinhaber Peter Tschentscher deutlich vor Katharina Fegebank.

Ist die Fokussierung der SPD auf Tschen­tscher richtig? Der ist laut Umfrage deutlich beliebter als die Konkurrentin. Von den Anhängern der SPD erhält er zudem mehr Zuspruch als Fegebank von den Anhängern der Grünen.

Manfred Güllner: Der Zustand der SPD ist nicht optimal. Umso wichtiger ist eine Spitze, die von der Bevölkerung akzeptiert wird. Das ist bei der Bundes-SPD aktuell nicht der Fall.

Auf das Thema Bundes-SPD kommen wir später noch. Inwieweit kann eine Kampagne noch zu einer Mobilisierung oder gar einer Wahlentscheidung beitragen? Die Grünen setzen in ihrer aktuell vorgestellten stark auf Katharina Fegebank – „die erste Frau nach 199 Männern“.

Manfred Güllner: Man darf die Wirkung der Kampagnen nicht überschätzen. Die dienen in erster Linie der Mobilisierung der Potenziale, aber gar nicht so sehr, Leute zu überzeugen oder von anderen Parteien herüberzuholen. Früher hat man im Wahlkampf gesagt, dass drei Punkte nach unten oder nach oben noch möglich sind. Aber die Grundstruktur der Stimmungslage wird nicht verändert.

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Bürgerschaftswahl: Das erwarten junge Hamburger von der Politik

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    Es soll noch eine Großdemonstration vor der Wahl geben durch die Klimaschützer von „Fridays for Future“. Kann die die Kraft entfalten, Wähler zu mobilisieren?

    Manfred Güllner: Das ist eine Bewegung, die im Wesentlichen von Schülern und Studenten getragen wird. Das ist nicht die Gruppe, die sich primär für die lokale Politik interessiert. Die Wahl ist zwar formal eine Landtagswahl, aber aus Sicht der Hamburger eher eine Kommunalwahl. Ich glaube nicht daran, dass von solch einer Demonstration eine große Mobilisierung ausgehen kann.

    Ist das nicht blauäugig? Im Sommer demonstrierten alleine an einem Tag an die 100.000 Menschen für besseren Klimaschutz. Eine Massendemonstration wäre doch ein starkes Signal.

    Manfred Güllner: Klimaschutz ist nichts, was in erster Linie im Hamburger Rathaus entschieden wird. Bei der Bürgerschaftswahl geht es darum, wer Bürgermeister werden soll und dann die Geschicke der Stadt bestimmt. Es geht um ganz andere Themen als nur um Umwelt- und Klimaschutz. Wir haben in der Umfrage gesehen, dass die Verkehrsprobleme die Alltagsprobleme sind, die die Hamburger bewegen. Da kann „Fridays for Future“ auch keine Lösung anbieten.

    Ein Ergebnis der Umfrage lässt sich so zusammenfassen: Je gebildeter und je jünger – desto grüner; älter und nicht ganz so gut gebildet: SPD. Was beutetet das für die SPD beziehungsweise für die Grünen?

    Manfred Güllner: Die Grünen erleben so etwas wie eine zweite Geburt. Sie waren bundesweit in der Gefahr, zu einer Ein-Generationen-Partei derjenigen zu werden, die in den 80er-Jahren Grüne geworden sind. Eine Zeit lang kamen keine Jungen mehr dazu. Jetzt haben es die Grünen geschafft, wieder Zulauf durch junge Menschen zu haben. Und jetzt müssen sie dafür sorgen, dass aus diesen jungen Neu-Grünen auch ständige Wähler werden. Das ist deren strategische Hauptaufgabe. Die Alt-Grünen waren eine homogene Wertegemeinschaft, die immer zur Wahl ging. Die Neu-Grünen müssen aus Sicht der Partei aus Zwischenparkern zu Dauerwählern gemacht werden.

    Und was bedeutet das für die SPD, wenn die größte Zustimmung von den ältesten Wählern kommt?

    Manfred Güllner: Das Problem ist auch das der Union. Betrachtet man die Wahlstatistik der Europawahl vom Mai, sieht man, wie drastisch der Vertrauensverlust für beide ehemaligen Volksparteien bei den Jungen ist. Die älteren Wähler sterben ihnen irgendwann weg. Bei der CDU sind allein von 2013 bis zur Bundestagswahl 2017 bundesweit 1,6 Millionen Wähler gestorben. Das heißt, von den Verlusten von 2,8 Millionen sind 1,6 durch Tod zu erklären. Beide Parteien haben noch gar nicht richtig begriffen, dass sie nicht mit irgendwelchen Mätzchen die Jungen überzeugen können, sondern nur durch überzeugende personale und inhaltliche Angebote.

    Ein Thema, das junge Wähler neben dem Klimawandel bewegt, ist die Digitalisierung und ihre Folgen, das andere die Generationengerechtigkeit. Themen gibt’s jedenfalls.

    Manfred Güllner: Die Jugendlichen sind ja nicht völlig anders als die Erwachsenen. Mich erschreckt manchmal, dass die Jugendlichen manchmal sogar erwachsener sind als die Erwachsenen. Die denken auch schon an die mögliche Altersarmut und wie man sich davor absichern kann. Die ganzen Alltagssorgen treiben auch die Jugendlichen um. Die Digitalisierung darf man nicht unterschätzen, aber die analoge Welt wird dadurch nicht aufgehoben.

    Zum ersten Mal gibt es in Hamburg ein Duell um die Macht zwischen den aktuellen Koalitionspartnern. Je näher die Wahl rückt, desto rauer und unversöhnlicher wird der Ton zwischen ihnen. Ist das politische Folklore und Teil einer üblichen Inszenierung?

    Manfred Güllner: Es gibt auch in Teilen der akademischen Politikforschung das Missverständnis, dass man als Wahlkämpfer Konflikte zelebrieren und Unterschiede herauskehren muss. Das ist aber falsch, die Wähler sind nicht dumm. Sie kennen die Unterschiede. Oft wird den Parteien geraten, ,die Konturen zu schärfen‘. Dabei sind die Wähler viel konsensorientierter. Wir sehen das auch bei der abgefragten Koalitionspräferenz. Die Leute möchten, dass SPD und Grüne weiter zusammen regieren. Unklar ist nur, wer die führende Kraft sein soll. Da möchte man nicht, dass sich beide Parteien im Wahlkampf zerstreiten.

    Die große Mehrheit der Hamburger ist für Rot-Grün oder Grün-Rot. Wäre es eine Missachtung des Wählerwillens, wenn sich die SPD für eine „Deutschland-Koalition“ mit CDU und FDP oder wenn sich die Grünen für „Jamaika“ mit CDU und FDP entscheiden würden?

    Manfred Güllner: Das würde zu Irritationen und zunächst einmal zu Unwillen führen. Wenn die neue Koalition dann gut arbeiten würde, würde der Unwille wohl abgebaut. Aber in Hamburg ist ein großer Konsens vorhanden, dass die beiden jetzigen Koalitionspartner weitermachen sollen.

    Wie stark schätzen Sie den Druck des grünen Bundesvorstands auf Katharina Fegebank ein, unbedingt die nächste Koalition zu führen? Auch wenn die Grünen gar nicht stärkste Kraft werden?

    Manfred Güllner: Das ist ein Machtdenken, das den Grünen schlecht bekommen würde. Die Grünen haben bundesweit einen Höhenflug, weil sie einen pragmatisch-rationalen Politikstil und keine Machtspiele ze­lebrieren.

    Die Hamburger SPD ist in der Stadt deutlich anerkannter als die Bundes-SPD. Das zeigt sich auch in der Umfrage, wonach zwar 29 Prozent der Hamburger bei der Bürgerschaftswahl die SPD wählen wollen, aber nur 16 Prozent bei einer Bundestagswahl. Was leiten Sie daraus ab?

    Manfred Güllner: Bei den beiden vergangenen Bürgerschaftswahlen hatte die Hamburger SPD unter Olaf Scholz einen Bonus und deutlich mehr Wähler als bei den voraus­gegangenen Bundestagswahlen. Die Umfrage zeigt, dass der Bonus noch da ist. Sie zeigt aber auch, wie schlecht das Ansehen der Bundes-SPD ist. Hamburg ist noch eine Oase, in der die SPD Vertrauen genießt.

    Ist es richtig von Tschentscher, im Wahlkampf auf die neue SPD-Doppelspitze zu verzichten, die regelrecht unerwünscht in der Stadt ist, und stattdessen auf gestandene Sozialdemokraten wie Stephan Weil, Manuela Schwesig oder Franziska Giffey zu setzen?

    Manfred Güllner: Aus Hamburger Sicht ist das absolut richtig, auch wenn es für die Bundes-SPD eine traumatische Situation ist, wenn sie im Wahlkampf nicht auftreten darf. Nur: Die Hamburger SPD ist ja nicht Schuld an der Situation.

    Lassen Sie uns noch über die Methodik der Umfrage sprechen. Das Verfahren nennen Sie „computergestützte Telefoninterviews“. Was ist das genau?

    Manfred Güllner: Das ist in der Wahlforschung das Standardverfahren. Tür-zu-Tür-Befragungen sind als Instrument in unserer schnell­lebigen Zeit für solche Umfragen zu langsam. Leute per Telefon von zentralen Telefonstudios aus zu befragen, geht schneller. Die Auswahl der Befragten erfolgt mithilfe einer ausgeklügelten Methode, sodass in unserem Fall jeder Hamburger Wahlberechtigte die Chance hatte, in die Stichprobe zu gelangen. Nach der systematischen Auswahl der Telefonnummern wird dann in den Mehrpersonenhaushalten nochmals per Zufall die Person ausgewählt, die befragt wird. Das alles stellt sicher, dass in der Stichprobe alle Bevölkerungs- und Wählergruppen mit dem Anteil vertreten sind, der ihrer Verteilung in der Gesamtheit der Hamburger Wahlberechtigten entspricht.

    Was nutzen Sie: Festnetz oder Mobil?

    Manfred Güllner: Immer mehr Menschen haben keinen Festnetzanschluss mehr, deshalb nutzen wir beides.

    Das heißt, die Erhebung ist repräsentativ für den Bevölkerungsquerschnitt in Alter, Geschlecht, Beruf und Bildung, wie auch eine unserer Leserinnen fragt?

    Manfred Güllner: Ja. Wir bilden die Grundbefindlichkeit der Hamburger gut ab: was ihre Sorgen sind, was ihre Präferenzen für Parteien oder Personen anbelangt. Allerdings muss man auch sagen: Was wir erheben, sind Stimmungen, die müssen nicht mit den Stimmen am Wahltag übereinstimmen. Es gibt noch eine Reihe von Unsicherheiten: Viele wissen noch nicht einmal, dass Wahl ist; viele haben sich noch nicht entschieden, ob sie hingehen. Wir können nur die Stimmung des Zeitraums abbilden, in dem wir fragen. Unsere Zunft muss da auch redlicher sein. Wir dürfen keine Genauigkeit suggerieren, die unsere Instrumente nicht haben.