Hamburg. Erstmals und exklusiv gewährte die Stiftung Zutritt zu den privaten Wohnräumen des Kanzler-Ehepaars im 1. Stock des Doppelhauses.
Alles wirkt so, als sei Hannelore Schmidt zu einem Spaziergang „um den Pudding“ am Neubergerweg aufgebrochen, wie die Ehrenbürgerin selbst zu sagen pflegte. Denn ihr persönliches Schlaf-, Wohn- und Arbeitszimmer ist so ordentlich in Schuss, als würde Loki gleich wiederkommen.
Im Schrank hängen ihre Blazer; zwei Paar Gummistiefel stehen daneben. Zeichensachen sind ebenso ordentlich verwahrt wie eine alte Blockflöte, Skizzen von seltenen Pflanzen und die einst häufig genutzten Nähutensilien. Und im Bilderrahmen auf dem Schreibtisch, neben einem Schullineal, einem Stifteköcher, dem Briefbeschwerer aus Glas und einem Schminkspiegel, ist eine handschriftliche Botschaft des Ehemanns Helmut zu sehen: „Ich liebe Dich!“ Verfasst am 3. März 1989. Es war ihr 70. Geburtstag. Es handelt sich um einen einmaligen Einblick in das private Leben einer Hanseatin von Format.
Handverlesene Besucher
Nur mit Losglück und langen Wartezeiten sind Führungen durch das Privathaus von Hannelore und Helmut Schmidt in Langenhorn möglich. Bei diesen handverlesenen Besuchen war der erste Stock des geschichtsträchtigen Doppelhauses am Neubergerweg bisher stets tabu. Um die Privatsphäre des verstorbenen Ehepaars posthum zu achten, blieb die Tür verschlossen. Wegen der nachträglichen Feiern anlässlich des 100. Geburtstages von Loki Schmidt am 31. August und einer großen Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte gibt es eine Ausnahme.
„Frau Schmidt war eine selbstständige Frau mit einer eigenen Agenda“, sagt der für die Schmidt-Stiftung verantwortliche Geschäftsführer Stefan Herms bei einer Tasse Kaffee im Wohnzimmer. Auf dem Holztisch steht ein aus Messing gearbeiteter Kerzenleuchter, einst von Hannelores Vater Hermann Glaser in Handarbeit gefertigt.
„Mich beeindruckt besonders der gediegene, indes bescheidene Lebensstil dieses Kanzlerehepaars“, ergänzt Barbara Duden, seit 2004 Vizepräsidentin der Bürgerschaft und ebenfalls in der Stiftung aktiv. Beiden zur Seite sitzt die promovierte Kunsthistorikerin Friederike Weimar. Gemeinsam mit einer studentischen Hilfskraft kümmert sich die Publizistin, Kuratorin und Dozentin um die Inventarisierung im Hause Schmidt – seit zweieinhalb Jahren. Bisher wurden mehr als 6300 Objekte akkurat erfasst. Darin enthalten sind die Bücher. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Weder Luxus noch Pomp
Somit entsteht die umfassende Datenbank zweier Hamburger und deutscher Leben in entscheidenden Jahren der Nachkriegsgeschichte. Auch winzige Details des Haushaltes sind aufgelistet und präzise beschrieben. Beispiele sind Zigarettendosen und Sammelstücke des Hausherrn, aber auch Lokis jahrzehntelang verwendetes Tablett und ihr Lieblingsporzellan. Von Luxus und Pomp ist in diesen Räumen wirklich nichts zu erkennen. „Genau das macht den Charme“, sagt Frau Dr. Weimar. Den Auftrag der Inventarisierung erhielt sie vor allem durch ihr außerordentliches Wissen über die norddeutsche Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Eben dieser hatte sich das Ehepaar Schmidt besonders verschrieben.
Doch gönnen wir uns noch ein paar – keinesfalls indiskrete – Blicke in das Schlafzimmer im oberen Wohnbereich des Hauses. Das Bett hat Kojencharakter. Davor liegt ein von Hand geknüpfter Teppich. Bei einigen Erinnerungsstücken wagt man gar nicht, sie in die Hand zu nehmen.
Barbara Duden, Friederike Weimar und Stefan Herms nehmen gefühlvoll die Scheu. Respekt bleibt. „Die Ausstellung wird unter den Schwerpunkten Lehren, Forschen und Schützen stehen“, sagt Herms. Um ein langes, intensives Leben verstehen zu können, gehört der private Bereich dazu.
Unter Nummer 63 war Helmut im Arbeitszimmer erreichbar
Das verbaute Holz und das Mobiliar stammen aus den 1960er-Jahren, waren seinerzeit modern und wurden von einer Tischlerei aus Heimfeld eingerichtet. Ohnehin bewiesen die Schmidts ihnen einmal verbundenen Handwerkern oder Lieferanten lebenslange Treue. „Sie mochten Menschen in Berufen mit Begeisterung“, weiß Friederike Weimar.
An den holzgetäfelten Wänden hängen Bilder mit Motiven aus Hamburg oder aus der Botanik. Damals moderne Kunst ist ein Kontrast. Freunde haben eine „Ode an eine ungewöhnliche Frau“ verfasst. Auch sie bleibt der Nachwelt erhalten. Auf den Regalbrettern stehen vor Jahrzehnten angesagte Literatur, ein Führer über Gesteine sowie ein Band mit dem Titel „Freude durch Zeichnen“. Skizzen aus der Natur liegen nicht weit entfernt. Ebenso wie ein ganz gewöhnlicher Tuschkasten sowie eine umfangreiche Palette wertvoller Buntstifte.
In einer Vase hatte Hannelore Schmidt ihren Gehstock aufbewahrt. Auf dem Seitenschrank befindet sich ein Grundig-Radio „Yachtboy“. Heutzutage ist so etwas fast schon museumsreif. Dies betrifft nicht minder das Telefon auf dem Schreibtisch. Zumindest verfügt es über Tasten. Unter der Nummer 45 war eine Pflegekraft erreichbar, unter 65 klingelte es unten in der Diele. Und bei Anwahl der 63 hatte Loki Schmidt direkten Draht zu ihrem Helmut.