Hamburg. Laut ADFC entsprechen Velorouten oft nicht den Senatsvorgaben. Verkehrsbehörde: Manchmal sind Kompromisse nötig.
Trotz der Ankündigung, Hamburg zu einer Fahrradstadt machen zu wollen, bauen Senat und Bezirke immer häufiger Radwege, die den eigenen Mindeststandards nicht entsprechen. Das jedenfalls hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) jetzt dem rot-grünen Senat vorgeworfen. Anlass sind die aktuellen Planungen für einen Abschnitt der Velorouten 5 und 6 am Mundsburger Damm.
Dort plant der Bezirk Nord Radwege mit einer Breite von teilweise nur 1,37 Meter Breite. Diese sollen auf den Nebenflächen neben Fußwegen verlaufen. Auf der von mehr als 40.000 Kraftfahrzeugen pro Tag befahrenen Strecke zwischen Schwanenwik und Mundsburger Brücke sei dafür kein Platz, so der Bezirk.
Stadt verstößt gegen Regelwerke
Mit der geringen Breite der Radwege zwischen 1,37 und 1,62 Metern verstößt die Stadt gegen eigene und bundesweit gültige Regelwerke. So sieht das Hamburger Veloroutenkonzept eine Mindestbreite von zwei Metern vor. Schließlich soll das Veloroutennetz aus den Fahrrad-Hauptstrecken bestehen, auf denen Radfahrer schnell und sicher vorankommen.
Auch die bundesweit gültigen Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) verlangen für Radwege eine „Regelbreite“ von zwei Metern, bei geringem Radverkehr 1,60 Meter. Für Radfahrstreifen auf Fahrbahnen sieht das „Hamburger Regelwerk für Planung und Entwurf von Stadtstraßen“ ein „Regelmaß“ von 2,25 Metern und ein Mindestmaß von 1,85 Metern vor.
Neubau einer Radstrecke abseits der Straße nicht möglich
Hintergrund: Auf dem Mundsburger Damm, der den Schwanenwik an der Außenalster mit Mundsburg und Hamburger Straße verbindet, wurden zuletzt etwa 41.000 Kraftfahrzeuge pro Tag gezählt, der „Schwerlastanteil“ lag bei drei Prozent. Auch der Neubau einer Radstrecke abseits der Straße als zweite Alternative zur Schaffung einer regelkonformen Veloroute ist aus Sicht des Bezirks nicht möglich. Denn dafür seien Baumfällungen und „großflächiger Grunderwerb“ nötig, so der Bezirksbericht. „Beides wurde geprüft und ist aufgrund der hohen Vitaltitätsstufe der Straßenbäume und der Bebauung entlang des Mundsburger Damms auszuschließen.“
Der Fahrrad-Club ADFC sieht in dieser Entscheidung ein völlig falsches Signal. Wer die Standards für Velorouten einhalten wolle, müsse den Straßenraum neu auf- und gerechter verteilen, so der ADFC in einer Pressemitteilung. „Nachhaltige Verkehre wie ÖPNV und das Fahrrad“ bräuchten auch am Mundsburger Damm deutlich mehr Platz, um eine gute Alternative zum Auto zu sein.
"In Zeiten der Klimakrise ist es unverständlich, wenn die Stadt die hohe Verkehrsbelastung durch Autos aufrechterhalten will, indem sie die Kfz-Fahrspuren nicht reduziert“, sagte Andrea Kupke vom ADFC. Am Mundsburger Damm müssten geschützte Radfahrstreifen gebaut werden, da zwischen Häusern und Baumreihen nicht ausreichend Platz sei für genügend breite Geh- und Radwege.
„Leider sind Planungen wie am Mundsburger Damm, die dem Radverkehr viel zu wenig Platz geben, derzeit kein Einzelfall“, so Kupke. „Gerade im Bezirk Nord häuften sich minderwertige Lösungen für den Radverkehr auch auf den Velorouten – obwohl diese das Hochwertigste sein sollten, das Hamburg seinen Radler*innen zu bieten hat.“
Fünf weitere Beispiele im Bezirk Nord
„Was die Stadt hier plant, ist ein Trauerspiel“, sagt Andrea Kupke vom ADFC. „Das unterschreitet nicht nur die Mindestmaße für Radwege, wie sie sich die Stadt in ihren Regelwerken selbst gegeben hat. Die mut- und perspektivlose Planung wird auch nicht ansatzweise dem Radverkehr gerecht, geschweige denn dem zukünftig hier erwarteten und politisch erwünschten.“ Laut ADFC-Sprecher Dirk Lau ist der Mundsburger Damm nur ein Beispiel für immer neue Regelverstöße beim Bau der so positiv beworbenen Velorouten.
ADFC-Sprecher Dirk Lau nannte fünf weitere Beispiele, an denen aus seiner Sicht die Vorgaben für den Veloroutenbau allein im Bezirk Nord nicht eingehalten würden. Diese beträfen außer dem Mundsburger Damm die Veloroute 4 an Hohe Liedt/Neubergerweg, Fuhlsbüttler Damm, Höpen und Langenhorner Chaussee und Veloroute 14 am Langenhorner Markt.
So werde teilweise kein Tempo 30 auf den Strecken eingeführt, es gebe gemeinsame Streckenabschnitte für Radfahrer und Fußgänger, es gebe Längsparkplätze an den Radstrecken – oder Zweirichtungsverkehr, sprich: Beide Fahrtrichtungen würden auf einer Straßenseite geführt, was Nachteile für die Sicherheit mit sich bringe. Solche Beispiele, in denen die Stadt ihre Regeln beim Veloroutenbau breche, gebe es in allen Bezirken in dieser Größenordnung, so Lau. Das sei „skandalös“.
Was Behörde, SPD und Grüne sagen
Die Verkehrsbehörde verwies am Montag darauf, dass es sich bei den Regelwerken nicht um Gesetze handele und Hamburg eine „fertig gebaute Stadt“ sei, in der man Kompromisse machen müsse. So sei es auch ein Ziel der Planung, auf Baumfällungen zu verzichten.
Ähnlich äußerte sich SPD-Radverkehrspolitiker Lars Pochnicht. „Hamburg hat sich bei der Förderung des Radverkehrs ehrgeizige Ziele gesetzt", so Pochnicht. "Deshalb investieren wir viel Geld in den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur und haben in den letzten Jahren allein bis Ende 2018 bereits 139 Kilometer Radverkehrsanlagen gebaut, saniert oder umgewidmet. Aber diese entstehen nicht am Reißbrett. Wo wenig Platz und gleichzeitig ein hohes Verkehrsaufkommen vorherrschen, können wir nicht nach Schema vorgehen, sondern müssen mitunter Einzelfallentscheidungen treffen, um Straßenbäume zu erhalten und die Verkehre vor Ort ganzheitlich zu verbessern.“
Grünen-Verkehrspolitiker Martin Bill ist mit der aktuellen Planung offenbar nur bedingt zufrieden. „Wir haben diese Sache auf dem Zettel und sind dazu in Gesprächen", sagte Bill dem Abendblatt. "Bei konkreten Planungen stoßen wir aber immer wieder auf praktische Schwierigkeiten, die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind. Ein Problem ist oft, inwiefern dem Autoverkehr Platz genommen werden kann. Unterm Strich muss ich aber sagen, dass die derzeitigen Planungen allemal besser sind als der Ist-Zustand.“