Hamburg. 92-Jähriger berichtet vor dem Hamburger Landgericht von den Gräueltaten im KZ Stutthof und dass dort jeder davon wusste.

Es sind Bilder, die sich unauslöschlich in sein Gehirn gebrannt haben. Im Prozess gegen einen ehemaligen SS-Wachmann vor dem Landgericht Hamburg beschreibt der heute 92-jährige Abraham Koryski, wie Menschen totgeprügelt wurden, wie er Menschenknochen einsammelte, die noch brannten und erinnert sich an den Geruch, der aus dem Krematorium strömte. Damit wirft der Zeuge aus Israel ein anderes Licht auf die Situation im Konzentrationslager Stutthof als der Angeklagte Bruno D. bisher.

Koryski war im Winter 1944 etwa ein halbes Jahr Insasse in dem Lager bei Danzig. Von der Gaskammer hätten alle gewusst, „das war kein Geheimnis“, sagte er. Und auch, dass im Krematorium Menschen verbrannt wurden, sei offensichtlich gewesen, denn das habe man überall vor den Baracken gerochen.

Bruno D. wird Beihilfe zum Mord in mehr als 5.230 Fällen vorgeworfen. Er war zwischen August 1944 und April 1945 im Konzentrationslager Stutthof als 17-Jähriger als Wachmann tätig. D. sieht keine Schuld bei sich, da er seiner Aussage nach zum Dienst in Stutthof gezwungen worden sei. Von vielen in dem Lager geschehenen Grausamkeiten will er nichts gewusst haben.

Koryski musste das Krematorium säubern

Der Angeklagte verbirgt sein Gesicht hinter einer Mappe.
Der Angeklagte verbirgt sein Gesicht hinter einer Mappe. © dpa | Unbekannt

Koryski schilderte am neunten Verhandlungstag sadistische Aktionen. Einmal habe ein Sohn seinen Vater zu Tode prügeln müssen, vor den versammelten Häftlingen. Ein SS-Offizier haben einen Stuhl zerbrochen und gedroht, irgendeinen der Gefangenen zu erschießen, wenn nicht der Vater den Sohn oder der Sohn den Vater mit einem Stuhlbein erschlage. Daraufhin habe sich der Vater von dem Sohn zu Tode prügeln lassen, der hinterher selbst erschossen wurde.

„Wir wurden immer und ständig geschlagen, am schlimmsten waren die Peitschen“, sagte er. Es habe spontan sogenannte Shows gegeben, in denen die Insassen gequält wurden: „Man wusste nicht, ob die Offiziere das auf Befehl machten oder in ihren Pausen.“

Koryski wandte sich mit lauter, bewegter Stimme an die Anwesenden im Gerichtssaal: „Ich frage euch alle hier: An was kann man glauben, wenn Menschen so etwas Menschen antun können?“ Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring antwortete: „Das ist eine Frage, die wir nicht beantworten können.“

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Die Wachmänner seien „überall dabei gewesen“, sagte Koryski. „Die waren nicht nur auf dem Turm.“ Man habe sie aufgrund ihrer eigenen Uniform von anderen SS-Männern gut unterscheiden können. Hinrichtungen seien direkt gegenüber der Wachtürme vorgenommen worden.

Seine „Arbeit“ sei die Säuberung des Krematoriums gewesen, sagte Koryski. Er habe die menschlichen Knochen, die teilweise noch brannten, aufsammeln und auf einen Wagen werfen müssen. Danach seien sie in umliegende Gräben gekippt worden. Dass ihm als 16-Jährigem mehrere Zähne ausfielen, habe er niemandem erzählt, „denn das wäre der Anfang vom Ende gewesen.“ Ständig sei nach Wegen gesucht worden, die Menschen zu vernichten.

Koryski berichtete auch, dass auch sein Onkel und eine Tante in Stutthof inhaftiert gewesen seien. Eines Tages habe sein Onkel es gewagt, der Tante im Frauenlager eine Zwiebel über den Zaun zuzuwerfen. Beim Versuch, die Zwiebel aufzuheben, sei die Frau gegen den Elektrozaun gekommen und habe einen tödlichen Stromschlag erlitten. Sein Onkel habe sich danach erhängt.

Esther Bejarano erträgt die Gerichtsverhandlung nicht mehr

Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano verfolgt am Montag den Prozess im Hamburger Landgericht.
Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano verfolgt am Montag den Prozess im Hamburger Landgericht. © dpa | Unbekannt

Als „Farce“ und „furchtbar“ bezeichnete die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano den Prozess. Die 95-Jährige war als Besucherin anwesend und sagte anschließend, sie werde auf keinen Fall noch einmal kommen. Sie könne es nicht ertragen, dass ein Mensch, der im KZ dabei war, behaupte, er habe nichts gesehen. „Wer dabei war, hat alles gewusst und damit ist er meiner Meinung nach auch schuldig“, sagte sie.

Ihr gehe es nicht darum, dass der Angeklagte mit 93 Jahren ins Gefängnis komme, sondern darum, dass er verurteilt werde, sagte Bejarano. Sie ist eine Überlebende des KZ Auschwitz-Birkenau und engagiert sich als Künstlerin und Aktivistin gegen den Faschismus. Sie wurde kürzlich mit der Ehrendenkmünze des Hamburger Senats ausgezeichnet. Es sind noch zwölf Verhandlungstage bis Ende Februar angekündigt.