Hamburg. Der Sänger Bob Geldof und der Ex-St. Pauli-Profi Benny Adrion trafen sich zum Gespräch über ihre Hilfsorganisationen.
Dranbleiben, auch wenn es mal schwierig wird, ein großes Ziel nicht aus den Augen verlieren: Darum ging es beim diesjährigen Pawlik Congress im Hamburger Gastwerk. Prominentester Redner war Bob Geldof, bekannt geworden zunächst als Sänger der Boomtown Rats („I Don’t Like Mondays“), dann als Organisator des Allstar-Projekts Band Aid („Do They Know It’s Christmas?“) und des legendären Live-Aid-Konzerts, mit dem Mitte der Achtziger viele Millionen für Hungernde in Afrika gesammelt wurde. In Hamburg traf Geldof auf Benny Adrion, ehemals Fußballprofi beim FC St. Pauli und Gründer der Initiative Viva con Agua, die sich seit 2006 für weltweiten Zugang zu sauberem Trinkwasser und eine sanitäre Grundversorgung einsetzt. Ein Gespräch über Erfolge, Rückschläge und die Notwenigkeit, sich vollkommen einer Sache zu verschreiben.
Hamburger Abendblatt: Was war die Ausgangslage, als Sie mit Ihren karitativen Unternehmungen begannen?
Bob Geldof: Ich wollte verhindern, dass in Afrika weiterhin Menschen an Hunger sterben. Eine ganz praktische und konkrete Sache also. Geld und Nahrungsmittel besorgen, darum ging es.
Benny Adrion: Bei mir war es etwas anders. Ich habe damals überlegt, wie es wohl machbar wäre, durch den FC St. Pauli so viele Menschen wie möglich miteinander zu verbinden und etwas Gutes zu tun. Als wir mit der Mannschaft ein Trainingslager auf Kuba hatten, wo es einen Mangel an frischem Trinkwasser gab, entstand die Idee zu unserem ersten Projekt.
Gab es damals einen konkreten Plan? Ging es darum, eine bestimmte Zahl an Menschen zu bewegen, eine kritische Masse zu erreichen, um Erfolg zu haben?
Geldof: Meine Band, die Boomtown Rats, hatte damals schon länger keinen Hit mehr. Und der gesunde Menschenverstand sagte mir, dass das wohl auch so bleiben würde. Aber ich hatte nach wie vor viele Freunde im Musikgeschäft. Und die sprach ich an, ob sie ins Studio kommen würden, um den Song „Do They Know It’s Christmas?“ zu singen. Ich hatte gehofft, dass wir zwei, drei Wochen in den Charts wären und 100.000 Pfund einnehmen würden. Eigentlich kein großer Unterschied zu Bennys Aktion mit den Fußballspielern, nur dass es bei mir eben Popsänger waren.
War der Zeitpunkt der Single-Veröffentlichung ganz bewusst gewählt?
Geldof: Es war die Vorweihnachtszeit, in der Menschen in unserer Kultur karitativer denken als sonst. Und vielleicht auch merken, dass es ihnen besser geht als vielen anderen auf der Welt. Diese emotionalen Trigger waren da, und so wurden aus den erhofften 100.000 Pfund bis Weihnachten 1984 mehr als sechs Millionen Pfund. Es war die Zeit von Margaret Thatcher in Großbritannien, die sagte, es gebe so etwas wie gesellschaftliche Verantwortung nicht, und jeder müsse sich um sich selbst kümmern. Aber die Menschen sahen das anders und kümmerten sich sogar um jene, die sie persönlich überhaupt nicht kannten. Wenn man etwas anfängt, das ein solcher Erfolg ist und ganz konkret hilft, dann hat man die Verpflichtung, damit weiterzumachen. Das jedenfalls ist mein Gefühl. Ich habe dann verstanden, dass nicht der Hunger tötet, sondern die Armut. Also müssen wir die Armut besiegen. Und um das zu tun, müssen wir politisch Einfluss nehmen.
Adrion: Auch bei uns gab es von Beginn an mehr Aktivismus als einen konkreten Plan. Mit Viva con Agua sind wir in niemandes Fußstapfen getreten. Es gab kein konkretes Vorbild. Auch wenn ich 1985, als das Live-Aid-Konzert stattfand, erst vier Jahre alt war, so hat mich dieses Konzert doch geprägt. Die Bilder von damals sind ja zeitlos und tauchen immer wieder auf. Für mich war Live Aid eine Inspiration und ist es heute noch. Die Idee, ein Netzwerk rund um Musik, Kunst und Sport aufzubauen und sich freudvoll um eine Verbesserung der Verhältnisse zu bemühen, ist also ein bisschen auch durch Live Aid passiert.
Herr Geldof, Sie melden sich immer wieder zu politischen Fragen zu Wort. Welche Rolle spielt die Politik im Zusammenhang mit dem 1985 gegründeten Band Aid Trust?
Geldof: Wir dürfen eines nicht vergessen: Die wichtigen politischen Kräfte in Afrika sind heute China und Russland. Ich traue keiner einzigen afrikanischen Regierung unter den derzeitigen Umständen zu, wirklich etwas zu bewirken. Aber die Gesellschaften dort werden sich radikal ändern, die Mittelklasse wird deutlich größer werden, und das macht die Märkte wirtschaftlich interessant. Wir Europäer haben bislang nicht einmal Lösungen für den Wandel bei uns. Und erst recht nicht für Afrika. Die liberale Demokratie ist ein schwer beweglicher Supertanker; hat sie Antworten auf die drängenden Fragen? Vielleicht nicht. Hat die Autokratie, die überall im Vormarsch ist, Antworten? Gewiss nicht, aber es scheint so, dass sich eine Menge Menschen einfache, autokratische Lösungen wünschen, um wieder Sicherheit zu gewinnen. Das müssen wir erkennen – und es gleichzeitig auf allen Ebenen bekämpfen. Damit meine ich zum Beispiel die autokratischen Regierungen in Ungarn und Polen, aber auch die AfD in Deutschland und den Brexit.
Wenn man etwas wie Live Aid oder Viva con Agua beginnt, welchen Einsatz erfordert das?
Geldof: Wenn du etwas anfängst, hast du nur eine Chance, wenn du vollkommen davon überzeugt bist, dass es klappen wird und dich zu 100 Prozent darauf einlässt. Das ist im Privatleben doch genauso. Wenn du dich nicht vollkommen auf deine Beziehung einlässt, scheitert sie. Eigentlich wollte ich damals nur einen Song aufnehmen, aber eins führte zum anderen. Es kam der Moment, in dem ich wusste, dass das Leben von vielen hungernden Menschen ganz konkret von meinem Handeln abhängt. Und natürlich erwuchs daraus eine Verpflichtung.
Adrion: Nur wenn du mit dem Herzen voll dabei bist, funktioniert so etwas. Es gab auch Momente in der Viva-con-Agua-Geschichte, in denen wir alles auf diese Karte gesetzt haben – unter hohem persönlichen Aufwand. So was geht nur mit einem guten Team, als Alleinunterhalter ist es nicht möglich. Bei uns waren es sehr viele Menschen, die unser Netzwerk zu dem gemacht haben, was es heute ist. Manchmal sind die Synergien, die auf dieser Plattform passieren, schon fast magisch. Regelmäßig bin ich positiv überrascht, wie immer neue Ebenen aufgehen und neue Dinge entstehen.
Besteht bei Ihnen beiden die Gefahr, über all der Arbeit das private Umfeld zu vernachlässigen?
Geldof: Klar. Je größer unsere Projekte wurden, desto zeitintensiver wurden sie, einfach weil sich immer mehr Möglichkeiten ergaben zu helfen. Aber das ist kein spezielles Band-Aid-Phänomen. So etwas gibt es auch in ganz normalen Jobs, wenn man sehr in ihnen aufgeht. Man läuft Gefahr, sein privates Umfeld aus den Augen zu verlieren. Ich glaube, mir ist das nicht passiert, ich war nie für ein halbes Jahr von zu Hause weg und bin auch immer rechtzeitig zurückgekommen, wenn meine Kinder zum Beispiel eine Aufführung in der Schule hatten. Aber: Man muss sehr aufpassen, und man verliert definitiv Freunde. Einfach weil man für sie zum Langweiler wird, wenn man sich einer Sache so verschrieben hat und ständig davon redet.
Adrion: Ein Vorteil ist, dass ich damals wie heute mit Freunden zusammenarbeite, die ich schon seit 25 Jahren kenne, die mit mir zur Schule gegangen sind. Viva con Agua ist Family Business! Im Laufe der Zeit wurden viele Mitstreiter bei Viva con Agua auch zu Freunden. Unser Plan war ursprünglich, Viva con Agua zwölf Jahre lang am Leben zu halten – jetzt sind wir bald bei 15 Jahren angekommen. Das ging aber nur, weil wir uns von Anfang an voll eingesetzt und eingebracht haben, mit viel Herzblut und Einsatz. Gerade wenn man es mit Freunden gemeinsam stemmt, kann man Durststrecken leichter überwinden.
Geldof: Dieselben Leute, die 1985 den Band Aid Trust gegründet haben, sind 34 Jahre später immer noch zusammen. Und das war damals eine riesige Verantwortung, immerhin mussten wir 200 Millionen Dollar Spendengelder verwalten. Diese sechs Menschen standen und stehen persönlich dafür ein. Für mich war das nur ein weiterer Schritt, denn ich habe schon als 13-Jähriger in einer Anti-Apartheid-Gruppe mitgemacht, mich mit 15 um Obdachlose gekümmert. Meine Sicht auf die Dinge war immer, dass sie sich bei entsprechendem Einsatz ändern lassen. Aber: Als Menschen treibt uns vor allem anderen das Eigeninteresse voran. Natürlich sorgen wir uns um die Zukunft unserer Kinder, vielleicht noch um die unserer Enkel, aber schon unsere Urenkel können wir uns gar nicht mehr richtig vorstellen, und sie spielen für unser heutiges Leben kaum eine Rolle. Ich glaube nicht daran, dass die Idee der Nachhaltigkeit unser Leben bestimmen wird. Was uns vorantreibt, ist Wachstum.
Adrion: Es kommt darauf an, dass die Menschen begreifen, dass das, was in Afrika passiert, etwas mit ihnen hier zu tun hat. Dass sich die Welt auch für sie zum Negativen verändert, wenn wir so weiterleben wie bisher, wenn uns das Auto, mit dem wir schnell zum Einkaufen fahren können, wichtiger ist als nachhaltiges Wirtschaften. Wenn verstanden wird, dass sich tatsächlich Millionen Afrikaner auf den Weg nach Europa machen werden, falls ihre Lage noch aussichtsloser wird. Nachhaltigkeit ist pures Eigeninteresse, das muss bei uns ankommen!
Geldof: Die einzige Möglichkeit, langfristig zu helfen, besteht darin, in Afrika eine neue Wirtschaft zu entwickeln. Die Menschen müssen genug Geld haben, damit eine Nachfrage nach Produkten entsteht, die idealerweise aus Afrika selbst kommen. Also afrikanische Smartphones, afrikanische Sneakers, eben das, was die jungen Leute dort alle haben wollen. Dann kommt die Wirtschaft nachhaltig in Schwung, und die Regierungen haben Steuereinnahmen, von denen sie zum Beispiel eine Justiz und einen Polizeiapparat bezahlen können, der nicht mehr korrupt ist. Nur so lässt sich ein grundlegender Wandel in Gang setzen.
Der Kongress
- Der Pawlik Congress versammelt seit 2002 einmal im Jahr prominente Referenten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport in Hamburg. Bisher sprachen hier unter anderen Edward Snowden, Yanis Varoufakis, Uli Hoeneß, Richard-David Precht, Gerhard Schröder, Peter Sloterdijk, Boris Becker und Barbara Schöneberger.
Haben Sie Rückschläge verkraften müssen?
Geldof: Die gibt es immer mal wieder, manches geht eben einfach schief. Für mich ist noch bedeutsamer, dass wir ständig Entscheidungen von großer Tragweite treffen müssen. Letztlich geht es darum, wem wir helfen können und wem nicht. Ganz konkret: Wenn ich dem einen helfe, wird der andere verhungern, aber ich kann nichts für beide tun. Also muss ich entscheiden, in welchem Fall es wahrscheinlicher ist, dass die Hilfe ankommt und einen Effekt hat. Auf der positiven Seite steht: Noch immer kommt sehr viel Geld durch den Song „Do They Know It’s Christmas?“ rein. Mel Gibson hat ihn vor ein paar Jahren für einen Film benutzt, das hat uns 600.000 Pfund für ein paar Sekunden Musik gebracht. Außerdem läuft er jedes Jahr zur Weihnachtszeit im Radio und in den Geschäften, auch das bringt Geld. Und immer wieder setzen uns Menschen als Erben ein.
Adrion: Natürlich gibt es Rückschläge. Man arbeitet schließlich mit Menschen und macht auch selbst mal einen Fehler. Aber Krisen sind für mich der beste Weg, zu lernen und zu wachsen – privat und in Bezug auf Viva con Agua. Es sind die Krisen, die uns in unserer Entwicklung voranbringen. Bis heute ist es jedoch so, dass wir bei Viva con Agua sehr viel mehr Rückenwind und Unterstützung erfahren haben, als dass es Probleme gibt.
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Geldof: Wichtig war für mich, als wir School Aid ins Leben riefen. Ich war im Fernsehen und sprach die Schüler direkt an: „Wenn ihr nach Hause kommt, fragt eure Mutter, ob sie Reis, Zucker oder Salz hat. Auch wenn die Packung nur noch halb voll ist, bringt sie mit zur Schule.“ Ich wollte die Kinder ganz konkret einbeziehen. In den Schulen gab es Säcke, in denen alles gesammelt wurde, und ich hatte organisiert, dass British Rail den Transport zum Fährhafen übernimmt. Von dort aus ging alles nach Afrika, und wir begleiteten die Reise, sodass jeder Schüler sehen konnte: Der Reis, der vor zwei Wochen noch in meiner Küche war, den hat jetzt ein äthiopisches Kind in einem Flüchtlingslager bekommen. Wenn ich heute eine Schule in Afrika besuche, die es ohne den Song von vor 34 nicht geben würde, oder eine Familie, die nicht überlebt hätte, dann zählt nur das. Vor vielen Jahren wurde im britischen Fernsehen ein kleines äthiopisches Mädchen gezeigt, das dem Tode nahe war. Wir haben es gefunden und es und seinen Vater gerettet. Inzwischen hat sie einen Uni-Abschluss. Wenn all das, was ich getan habe, nur für sie gewesen wäre, hätte es sich schon gelohnt.
Adrion: Da gibt es sehr viele Momente. Sicherlich gehört die erste Reise nach Äthiopien zu einem der Schlüsselmomente, als ich zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen habe, was passiert, wenn durch unseren Einsatz vor Ort ein Brunnen entsteht und die Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung haben. Ansonsten habe ich an unseren Water Walk einzigartige Erinnerungen, als wir über 500 Kilometer von Kigali nach Kampala gelaufen sind und auf dem Weg direkt mit der Lebensrealität und Gastfreundschaft in Kontakt gekommen sind. Das bleibt für immer, diese Erfahrungen bleiben hängen bis zum Rest meines
Lebens.