Hamburg. Zwei Geschäftsinhaber geben dort auf. Verbandschefin warnt: “Einzelhändler müssen sich was einfallen lassen, um zu bestehen.“

Der Mühlenkamp in Winterhude war früher eine lebendige Einkaufsstraße. Trubel herrscht dort noch immer. Doch das liegt eher an den vielen Cafés, Bäckereien und Restaurants. Das Einzelhandelsangebot ist stark zurückgegangen.

Der enorme Verlust wird bei einem Blick auf den Flyer klar, mit dem die IG Mühlenkamp im April 1995 zu einem festlichen „Frühlingserwachen“ lud. Damals gab es unter den 95 Läden sechs Gastronomiebetriebe (vier Restaurants, den Alster- und den Heraklion-Grill) drei Kaffeegeschäfte, zwei Fleischer, einen Fisch- und einen Weinladen, zwei Schuster, mehrere Boutiquen für Damen, Herren und Kinder, ein Autohaus, zwei Blumenläden und Fachgeschäfte für Fotografie, Schreibmaschinen, Brillen und Tierbedarf.

Restaurants statt Einzelhandel

Heute sind von diesen Einzelhändlern nur noch wenige da: die Juweliere Cherubin und Köster, das Schlüsselzen­trum, Fisch Böttcher, die Buchhandlung, die beiden Apotheken, die Tanzschule Tanzkult, das Kosmetikinstitut Mistel und der Ledergürtelhersteller Toggery. Die Läden, die Mode und Interieur anbieten, kann man an zwei Händen abzählen.

Damit zeigt sich ein ähnlicher Trend wie in Ottensen. Aber es gibt zehn Restaurants, drei Cafés und zwei Bars. Die Bäckerei Junge, die mittlerweile auch auf die Verköstigung vor Ort setzt, ist sogar auf jeder Straßenseite vertreten. Und dort, wo bis vor zwei Jahren der Autohändler saß, wird Gastronom Dirk Block bald ein Restaurant eröffnen.

„Gastronomie ist überall auf dem Vormarsch“, bestätigt Brigitte Nolte vom Hamburger Einzelhandelsverband. In diesem Jahr hätten Vermieter erstmals mehr Mietverträge für Gastronomie als für Textileinzelhandel abgeschlossen worden. „Das war bislang umgekehrt“, so die Handelsverbandschefin. Grundsätzlich wäre das in Ordnung, denn Einzelhändler profitierten normalerweise von attraktiver Gastronomie.

Der Facheinzelhandel kämpft ums Überleben

Doch durch Onlinehandel und Preistransparenz gingen ihre Umsätze zurück. Viele kleinere Händler müssten daher ihre Läden aufgeben. Auf diese Flächen gebe es mancherorts einen regelrechten Run – mit der Absicht, dort Gastronomie zu eröffnen. „Im Fach­einzelhandel kann oft nur überleben, wer ein ganz spezielles Angebot hat und konsequent kundenorientiert ist – ansonsten herrschen große Ketten vor“, sagt Brigitte Nolte. Diese Entwicklung betreffe mittlerweile fast alle Quartierseinkaufsstraßen.

Die Platzhirsche in Winterhude heißen Edeka, Budnikowsky und Penny. „Nur dieser Läden wegen funktioniert die Nahversorgung noch – und das sogar besser als in anderen Quartieren“, sagt Bernd Kroll von der IG Mühlenkamp. Ein eigenes Verdienst sei das aber nur bedingt, eher eine Folge des Niedergangs anderer Gebiete: des Winterhuder Markts etwa, der Jarrestadt und der Dorotheenstraße. Doch auch am Mühlenkamp sei der Kampf der Einzelhändler ums Überleben groß.

Baustellen zur Busbeschleunigung brachten das Aus

So geben beispielsweise der Feinkostladen D’Agate (nach 60 Jahren) und die Weinhandlung Weinlust (nach 15 Jahren) auf, wenn ihre Mietverträge 2022 auslaufen. Vincenzo D’Agate und Wolfgang Kaufholz würden ihre Läden gern schneller loswerden. Doch in so kurze Mietverhältnisse steige keiner mehr ein, außerdem werde die Miete exorbitant steigen. Beide Einzelhändler haben das von Brigitte Nolte empfohlene „spezielle Angebot“, und lange lief es damit auch gut.

Bis ihnen die Baustelle für die Busbeschleunigung, der Wegfall von Parkplätzen für die Radwege und Straßensperrungen in der Umgebung Umsatzeinbußen bescherten. „Einzelhandel am Mühlenkamp kann man mittlerweile vergessen“, schimpft Vincenzo D’Agate, der sein Geld jetzt fast ausschließlich mit Catering verdient.

Mühlenkamphändler kämpfen

Das liege aber auch an dem „Schickimickipublikum, das gar nicht mehr selbst kocht, sondern nur noch essen geht“. Auch Weinhändler Kaufholz beobachtet „Strukturveränderungen in der Einwohnerschaft“. Bei den Anwohnern und Besuchern des Mühlenkamps stehe vor allem das Treffen und Begegnen in Bars und Restaurants im Fokus. „Für zu Hause gekauft wird immer weniger“, sagt auch er.

„In zehn Jahren sind 50 Prozent der Einzelhandelsgeschäfte weg“, befürchtet Kroll. Auch das aktuelle Nahversorgungskonzept, das die sieben Hamburger Bezirke hätten erstellen lassen, gehe davon aus, dass noch mehr Umsatz in den Onlinehandel verlagert werde.

Mühlenkamp lockt mit CandleLIght-Shopping

Dagegen wollen die Geschäftsinhaber vom Mühlenkamp etwas tun. Da sie wegen der hohen Auflagen nicht mehr an den verkaufsoffenen Sonntagen teilnehmen können (diese müssen mit kulturellen Veranstaltungen kombiniert werden, die nachweislich mehr Menschen anlocken als die Geschäfte), planen sie ein CandleLight-Shopping. Und erstellen, 25 Jahre nach dem „Frühlingserwachen“, wieder einen Flyer mit Lageplan. „Die Leute sollen wissen, wo sie welche Läden finden“, sagt Bernd Kroll. Auch Geschäfte in den unmittelbar anschließenden Straßen Gertigstraße und Poelchaukamp werden in die Karte eingezeichnet, die alle zwei Jahre aktualisiert werden soll.

Vor massivem Leerstand und einer Lethargie der Stadtzentren müsse man in einer Metropole wie Hamburg keine Angst haben, sagt Brigitte Nolte. „Doch die Einzelhändler müssen sich etwas einfallen lassen, wenn sie bestehen wollen.“ Das gelte vor allem in den Einkaufsstraßen der Quartiere. Neben Onlinehandel und Preisdumping werde den Händlern dort nämlich auch der Zuwachs von Einzelhandelsfläche in der Innenstadt gefährlich.